Winsen. Dietrich Westphal gibt seine Ämter beim Naturschutzbund und der Gemeinde Stelle aus Altersgründen auf
Am Anfang war das Ei. Dietrich Westphal stromerte mit Freunden durch die Winsener Feldmark, als er ein kleines olivbraunes Oval im Gras entdeckte. Die Jungs untersuchten es neugierig. Ob da ein Küken drin war? Und was für ein Vogel es wohl gelegt hatte? „Dieses ausgetrocknete Rebhuhnei weckte unser Interesse für die Natur. Wir beschlossen, eine biologische Sammlung anzulegen“, erinnert sich Dietrich Westphal an jenen Frühlingstag vor mehr als 50 Jahren.
Das Ei ist verloren gegangen. Die Begeisterung für die heimische Fauna ist geblieben und prägt seither Beruf und Hobby. Seit Jahrzehnten wirkt er als Umweltschutzbeauftragter der Gemeinde Stelle und als Vorsitzender des Nabu Winsen. Jetzt zieht er sich zurück. Der 64-Jährige geht in Rente und gibt sein Ehrenamt im Vorstand der Nabu-Ortsgruppe auf. Im Verein wird er sich aber weiterhin engagieren.
Das Projekt, um dessentwillen der damals frisch gebackene Diplom-Biologe 1981 dem Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) – dem heutigen Nabu – beitrat, war die unter-Schutz-Stellung der Ilmenau-Luhe-Niederung. „DBV-Mitglieder hatten damals bereits den Wert des Naturraums dargestellt: Sie hatten Vogelarten und Pflanzenbestände kartiert, Insekten- und Amphibienarten erfasst, die Lebensräume bis ins Detail untersucht. Das hatte den Stellenwert einer wissenschaftlichen Arbeit. Mich hat das sehr beeindruckt. Da wollte ich auch mitmachen“, sagt Dietrich Westphal.
Er nahm Wasserproben im Süßwasserwatt, zählte und bestimmte Kleinstlebewesen, die bei Flut Fischen und bei Ebbe Vögeln als Futter dienen, aktualisierte erst 1990, dann 2004 die Erfassung der Vogelbestände. „Damals haben wir darüber gewitzelt, dass wir über das Verfahren wohl alt und grau werden würden. Und genauso ist es dann ja auch gekommen“, sagt Westphal mit Ironie in der Stimme. Erst 2014 wurde die Ilmenau-Luhe-Niederung zum Naturschutzgebiet ausgewiesen, dreieinhalb Jahrzehnte nach Antragstellung. Eine Zeitspanne, die dem Erfolg für Westphal einen faden Beigeschmack gibt.
Der Rückblick auf seine Naturschutzarbeit ist von ambivalenten Gefühlen geprägt. Die Zusammenarbeit mit den aktiven Vereinsmitgliedern, jenem „Haufen von Individualisten“ (Westphal), der einander fachlich inspiriert, Erkenntnisse und oft unterschiedliche Ansichten austauscht, bereitet ihm große Freude. Er genießt das Bewusstsein, gesellschaftlich Relevantes zu leisten: Exkursionen und Vorträge sensibilisieren interessierte Laien für heimische Tiere, Pflanzenarten und Ökosysteme. Außerdem ist da die praktische Nabu-Arbeit: Die Betreuung und Pflege mehrerer Schutzgebiete mit insgesamt rund zwölf Hektar Fläche. Das Installieren von Nisthilfen für Fledermäuse und Vögel. Das regelmäßige Säubern der Wiesen von aufkommendem Gebüsch, damit Orchideen und andere lichtliebende Pflanzen gedeihen können. Das Schneiden der Kopfweiden, damit in den hohlen Stämmen Tiere Nahrung und Unterschlupf finden.
Dietrich Westphal hat im Namen des Nabu Winsen Stellung genommen zum dreigleisigen Ausbau der Bahnstrecke nach Lüneburg, zur Verlegung der nordeuropäischen Erdgasleitung, zum Bau von Lichtfunkmasten und landwirtschaftlichen Bauvorhaben. Er erlebt sein vielfältiges Nabu-Engagement als sinnvoll und befriedigend. Einerseits.
Andererseits sind immer wieder herbe Rückschläge hinzunehmen. „Einige unserer Hauptanliegen sind übergeordneten Interessen zum Opfer gefallen: Dem Siedlungs- und Verkehrswegebau, der Landwirtschaft“, stellt der Biologe fest. Dass die hoch subventionierte Agrarwirtschaft mit Dünger- und Pestizid-Einsatz, mit Maisanbau, Entwässerung von Feuchtflächen und Walzen von Wiesen zur Brutsaison viel Schaden an der Natur anrichtet, macht ihn wütend. Die intensive Landnutzung habe insbesondere den Vogelarten, die auf offenen Flächen brüten, schwer zugesetzt, berichtet er. Kiebitze und Uferschnepfen, Bekassinen und Rotschenkel, der Große Brachvogel und die Feldlerche seien stark dezimiert oder ganz verschwunden.
Immerhin geht es nicht der gesamten Vogelwelt schlecht. Der Bestand von Gartenvögeln ist gleichbleibend und die Zahl der Graugänse hat stark zugenommen. Auch einige spektakuläre Arten gibt es wieder häufiger: Etwa 30 Storchennester sind zurzeit besetzt, es gibt mehr Wanderfalken und sogar Seeadler, Kranich und Schwarzstorch brüten in der Elbmarsch. Zurzeit bemüht sich der Nabu Winsen darum, Schwalben und Eisvögeln mit künstlichen Nisthilfen mehr Brutmöglichkeiten zu anzubieten. Mit Erfolg.
Ebenfalls erfreulich ist die Entwicklung des Nabu Winsen. Die Ortsgruppe zählt aktuell etwa 300 Mitglieder, darunter etwa 20 Aktive. „In den 90er Jahren waren wir bei den monatlichen Treffen nur vier bis sechs Leute“, erzählt Dietrich Westphal. Das Engagement Interessierter ist somit gewachsen. Dennoch glaubt Westphal zu beobachten, dass sich immer weniger Menschen mit dem Thema Flora und Fauna auseinandersetzen. Insbesondere die Artenkenntnis habe stark abgenommen, selbst bei naturaffinen Nabu-Mitgliedern. Dietrich Westphal selbst, der so ziemlich alles kennt, was kreucht und fleucht, fühlt sich „fast als Fossil“. Dabei liegt er mit 64 vom Alter her im Mittelfeld der Nabu-Mitglieder. Auch Jürgen Hülskämper, der bei der Hauptversammlung höchstwahrscheinlich als sein Nachfolger gewählt werden wird, ist älter als er. In Puncto Naturschutz zur Ruhe setzen will Dietrich Westphal sich noch lange nicht. Im Gegenteil: Er möchte das erledigen, was lange zu kurz gekommen ist. Die Reinigung der Nistkästen hat er sich vorgenommen. Und er möchte sich künftig mehr als bisher konstruktiv an Planverfahren beteiligen und den Belangen von Natur und Landschaft durch seine Stellungnahme stärken. „Aber das mache ich natürlich nur“, sagt er, „wenn der neue Vorsitzende das auch so will.“