In seiner neuesten Kolumne befasst sich Helge Adolphsen mit der Liebe im Alter und kommt dabei zu der These: Zuneigung und Sinnlichkeit bleiben erhalten.

Die Ampel auf der Cuxe steht auf rot. Mein Blick fällt auf eine große Werbetafel: eine schöne junge Frau. Überschrift: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über PARSHIP.de“. Mit den verheißungsvollen Worten „glücklich“ und „erfolgreich“. Partnersuche über das Internet ist offenbar lohnend. Warum auch nicht? Es ist doch schön, wenn Singles sich neu verlieben...

Aber ich wünsche mir endlich auch ein Plakat mit einer älteren Frau! Oder einem älteren Mann. Ich weiß, dass da die Werbewirkung nicht so stark ist. Wäre aber dennoch gut und sinnvoll. Denn Verlieben kennt keine Altersgrenze. Ich kenne viele 60-, 70- und 80-Jährige, die als Witwe oder als Geschiedener allein nicht glücklich sind. Eine 75-jährige Frau sagte zu mir: „Es ist ziemlich öde, immer allein zu essen. Da hat man doch keinen Appetit! Und ich merke besonders, wie trostlos meine Tage sind.“ Hanne Huntemann hat in ihrem Buch „Liebe auf den späten Blick“ gut 50 Männer und Frauen jenseits der 60 interviewt. „Am meisten überrascht hat mich, dass so viele Paare gesagt haben, dass sie nie zuvor eine so intensive Liebe erfahren hätten wie jetzt im Alter. Die haben keine Zeit mehr zu verlieren für Spielchen. Sie wissen, dass es wohl die letzte Chance für sie ist.“

In Deutschland gibt es mehr als sechs Millionen Menschen, die älter als 60 sind. Offensichtlich haben viel mehr als früher den Mut, sich ernsthaft auf eine neue Beziehung einzulassen. Ich erinnere mich noch gut an die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Da schüttelten manche älteren Leute den Kopf und zeigten mit dem Zeigefinger auf Altersgenossen, die in einer „wilden Ehe“ oder einer „Onkelehe“ lebten. Schon damals habe ich an das Bonmot von Helmut Qualtinger gedacht „Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen“. Ich vermutete, dass sie einfach neidisch waren. Heute ist das gottlob anders. Jeder und jede lebt selbstbestimmt. Was „man“ tut, ist unwichtig. Die Chancen für eine erfüllende Liebe in der zweiten Lebenshälfte sind gut.

Aber die Autorin Hanna Huntemann hat Interessantes festgestellt: „Viele können sich gar nicht mehr vorstellen, dass es für sie noch mal Schmetterlinge im Bauch geben könnte, dass sie Liebe mit allem Drum und Dran erleben.“ Ein Grund dafür ist, dass das Alter immer noch nur negativ und defizitär gesehen wird. Die Klischees sind langlebig und zäh: Alte haben ausgedient, sind schwach, kränklich und zu nichts mehr zu gebrauchen.

Ein 85-Jähriger sagt: „Von Angst vor dem Pflegeheim wissen wir selbst genug. Lasst uns in selbst gewählten Partnerschaften weiterleben und Beziehungen aufbauen, auch zwischen den Generationen. Wir wollen ein mitverantwortliches Leben führen.“ Kein Einzelfall!

Das Leben Älterer kreist um Themen und Fragen, die auch Jüngere bewegen: Vertrauen und Liebe, Lebensmut und Suchen nach Sinn. Alle, auch alte Menschen sehnen sich nach Nähe, Zuwendung und Zärtlichkeit. Im Alter gewinnen Ehrlichkeit, Treue, Füreinander-Dasein Priorität.

Und Erotik gehört dazu. Ich habe das bei einer früheren Mitarbeiterin erlebt. Nach dem Tod ihres Mannes war sie lange kränklich. Die Anzeichen von Demenz wurden stärker. Sie kam in ein Heim und lebte auf. Sie war glücklich, dass sie von einem männlichen Mitbewohner angelächelt wurde. Daraufhin ließ sie sich frisieren und lackierte ihre 84 Jahre alten Fingernägel.

Ein bekannter amerikanischer Altersforscher spricht in seinem Buch „Alte Liebe rostet nicht“ von der zweiten Sprache der Sexualität. „Zuneigung, Erotik und Sinnlichkeit müssen mit dem Alter nicht zwangsläufig verschwinden.“ Aber ältere Menschen sind wählerischer, bedachtsamer und vorsichtiger. Sie haben halt im Leben ihre Erfahrungen gemacht und eigenen Prägungen erlebt. Sind also nicht mehr so forsch und wild wie Jüngere. Die Liebe wandelt sich.

Das drückt der Prediger Salomo im Alten Testament so aus: „So ist’s ja besser zu zweien als allein; denn sie haben guten Lohn für ihre Mühe. Fällt einer von ihnen, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! Dann ist kein anderer da, der ihm aufhilft. Auch, wenn zwei beieinander liegen, wärmen sie sich; wie kann ein einzelner warm werden? Einer mag überwältigt werden, aber zwei können widerstehen, und eine dreifache Schnur reißt nicht leicht entzwei.“ Man kann das auch Treue und Trost, Lebenskraft und Glück nennen.

Übrigens warnt Hanna Huntemann in ihrem Buch vor kommerziellen Partnervermittlungen. Die stellen oft eine unangemessene Gebühr in Rechnung. Sie schreibt: „Wir können nur dringend davor warnen, sofort einen Vertrag zu unterschreiben, ohne ihn in aller Ruhe zu Hause regelrecht durchgearbeitet zu haben.“

Aber das traue ich den vorsichtigen, bedachtsamen und lebenserfahrenen Älteren zu. Ihr Herzenswunsch nach einem Lebenspartner ist ihnen zu wichtig. Und auf ihr Geld achten sie sowieso.

Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Hamburger Michel. Er lebt in Hausbruch.