Nazis wollten in Hamburgs Westen eine gewaltige Hochbrücke über die Elbe bauen lassen. Für Arbeiter wurde in Neugraben ein Barackenlager eingerichtet. Beim Rundgang war zu hören wie alles anders kam.

Neugraben. Dass im Abschnitt Falkenbergsweg/Neugrabener Heideweg in Kriegszeiten vor rund 70 Jahren bis zu 1000 Männer und Frauen als Zwangsarbeiter in einem Barackenlager einquartiert waren und auf einem höher gelegenen Plateau dahinter weitere Baracken standen, die als sogenanntes Frauenaußenlager Neugraben des Konzentrationslagers Neuengamme genutzt worden waren, lässt sich heute kaum noch erkennen – wären da nicht zwei kleine Schilder, am Wegesrand, die auf einen KZ-Gedenkstein hinweisen. Etwa 500 tschechische Jüdinnen waren in den Baracken auf dem Plateau vom 13. September 1944 bis zum 8. Februar 1945 unter schlechtesten Lebensbedingungen einquartiert, mussten harte Arbeit, Verletzungen, Erkrankungen, Hunger und bittere Kälte ertragen. Vier Frauen starben. An sie erinnern Stolpersteine im Gehweg am Falkenbergsweg.

Heute kreuzen zahlreiche Spaziergänger und Radfahrer die Wege durch die bewaldete Geest- und Heidelandschaft, sehen aber kaum die Betonreste der Baracken-Fundamente, die vereinzelt noch aus der Erde ragen. Der Neugrabener Heiner Schultz vom „Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme“ ist kein Freund des Vergessens. Er sagt, es sei ein Stück Erinnerungskultur, kein Gras über die Geschehnisse der Nazizeit wachsen zu lassen, sondern nach Möglichkeit auch heute noch nachzuforschen, was damals passierte und Wissenslücken zu schließen. Etwa 20 Männer und Frauen waren am Wochenende der Einladung des Freundeskreises zu einem Rundgang über das KZ-Gelände gefolgt.

Eine der Teilnehmerinnen war Inge Hönig, die erst kürzlich von Eppendorf nach Neugraben umgezogen war. „Rundgänge in Eppendorf habe ich auch mitgemacht“, sagt sie, „die jüngste Vergangenheit interessiert mich einfach. Ich kann einfach nicht verstehen, dass so viele Hamburger von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern nichts mitbekommen haben wollen. Die Menschen sind hier doch durch die Straßen zu ihrer Arbeit gebracht worden.“

Wolfgang Dryhola aus Meckelfeld ist als Kind am Falkenbergsweg groß geworden und hat auch Erinnerungen an den Kindergarten, der in der Nachkriegszeit in einer ehemaligen Aufsichtsbaracke der SS untergebracht war. Er sagt: „In den Baracken des Arbeitslagers wohnten auch nach dem Krieg noch Menschen, zumeist waren es wohl Ukrainer, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten. Sie galten als heimatlose Ausländer.“

Die letzten Holzgebäude auf dem Gelände sind in den 1970er Jahren abgerissen worden, erklärt Heiner Schultz, der viele Jahre in Archiven die Geschichte des Barackenlagers und des KZ-Außenlagers recherchiert hat. Bei einem Besuch Israels hatte er mit einem Leserbrief in einer deutschsprachigen Zeitung auch Erfolg und Kontakt zu Familienangehörigen dreier Frauen aufnehmen können, die im KZ Neugraben waren. Schultz: „Es ist schwierig, die tatsächliche Zahl der Toten zu bestimmen. Bekannt ist beispielsweise auch, dass eine Mutter ihr neugeborenes Kind selbst getötet hat, um es vor Leiden zu bewahren. SS-Arzt Josef Mengele hatte verfügt den Säugling nicht stillen zu lassen, um festzustellen, wie lange er ohne Nahrung überleben kann. In einem anderen Fall sind Zwangsarbeiterinnen beim Trümmerräumen in Harburg von einer umstürzenden Mauer so schwer verletzt worden, dass sie später an den Verletzungen starben.

Pläne für das Barackenlager am Falkenbergsweg 71 gehen in die Anfangsjahre der nationalsozialistischen Diktatur zurück. Hitler wollte nach den Worten von Heiner Schultz, dass Hamburg neben Berlin und Nürnberg zur „Führerstadt“ ausgebaut wird. Hamburg als das „Tor zur Welt“ sollte durch eine mächtige Hochbrücke über die Elbe, zwischen Ottensen und Waltershof, an Bedeutung gewinnen. Problem: Beide Elbseiten waren nicht hamburgisches sondern preußisches Gebiet. Es folgte 1937 die Gebietsreform durch das Groß-Hamburg-Gesetz.

Vom Brückenbauamt waren für das Bauvorhaben mehr als zehn Jahre Bauzeit kalkuliert worden sowie etwa 12.000 Fachkräfte, die dafür in Hamburg hätten arbeiten müssen. So entstand am Falkenbergsweg das Barackenlager für 1500 Menschen, das zunächst als Brückenbaulager bezeichnet wurde, wegen des Krieges aber nie als solches genutzt wurde. Vor Ort fehlt heute jeder Hinweis auf die damalige Nutzung des Geländes.