Von weitem wirkt der Moorgürtel wie eine große, gleichförmige Fläche. Erst bei näherem Hinsehen fällt die Vielfalt des Gebietes ins Auge. Bruchwälder, Schilfzonen, Gebüsche und Hochgraswiesen wechseln sich kleinteilig ab.
Neugraben. Den Wachtelkönig hört man, aber er lässt sich nicht blicken. So ist das mit dem Prinzip Tarnung: Wildtiere, die nicht gesehen werden wollen, sieht man auch nicht. „Das ist aber auch nicht wichtig“, sagt Frederik Schawaller vom Naturschutzbund (NABU), „der Wachtelkönig ist auch nicht der alleinige Grund, dieses Gebiet zu schützen. Aber der Vogel ist ein wichtiger Indikator: Wo der Wachtelkönig brütet, ist die Natur noch hundertprozentig intakt.“
Wo der Wachtelkönig von der intakten Natur knarzt, ist das Naturschutzgebiet Moorgürtel zwischen Neugraben und Fischbek auf der Nordseite und Francop und Neuenfelde auf der Südseite. Landschaftlich stellt es die Übergangszone von den Obstmarschen des Alten Landes zu den Geesthängen der Harburger Berge dar, ein Randmoor des Urstromtals der Elbe.
Unter Naturschutz wurde der Moorgürtel erst 2001 gestellt. Zuvor wurden Teile des Moors als Grünland genutzt und plante die Stadt Hamburg dort ein riesiges Neubaugebiet. Naturschützer protestierten, der Wachtelkönig wurde ihr wichtigster Verbündeter – und landesweit berühmt: Ein unsichtbarer Vogel hatte den Hamburger Senat ausgebremst.
Der Wachtelkönig ist allerdings in der Tat nur ein Indikator für die Qualität der Natur im Moorgürtel. Er ist auch ihr Nutznießer: Wohnt der Vogel doch üblicherweise in Schilf oder oder Gebüschen, braucht jedoch in der Brut und Mauserphase trockene Hochgraswiesen, in denen er sich und die seinen verstecken kann.
Als Übergangslandschaft bietet der Moorgürtel beides – und das nicht nur dem Wachtelkönig: Auch der Kiebitz, anderswo längst auf dem Rückzug, fühlt sich auf den Moorwiesen wohl, ebenso, wie andere Vögel: Bekassine, Neuntöter, Schwarzkehlchen, Wiesenpieper und Feldschwirl finden hier Nahrung in Mengen.
Feuchtgebiete, Tümpel, Trockenzonen und Gesträuch beherbergen Insekten in großer Vielfalt: „Wir haben hier alleine 60 verschiedene Schmetterlingsarten“, sagt Frederik Schawaller. Auch Libellen gibt es in großer Zahl, allerdings mindestens ebenso viele Stechfliegen und Mücken. Wer hier spazieren geht, sollte darauf eingestellt sein und entweder langärmlige Kleidung oder Insekten vertreibende Mittel auf der Haut tragen.
Von weitem wirkt der Moorgürtel wie eine große, gleichförmige Fläche. Erst bei näherem Hinsehen fällt die Vielfalt des Gebietes ins Auge. Das liegt daran, dass sich Bruchwälder, Schilfzonen, Gebüsche und Hochgraswiesen nicht in große Zonen aufteilen, sondern sich kleinteilig abwechseln, wie ein Mosaik.
Wer das Naturschutzgebiet betritt, sollte sich deshalb unbedingt an den befestigten Feldweg halten. Abseits davon kann trittfester Grund von einem Schritt auf den anderen schmatzigem Morast weichen. Zwar ist noch niemand im Naturschutzgebiet zu Tode gekommen, aber des öfteren brauchten Menschen in misslicher Lage dort schon fremde Hilfe.
Betreten kann man das Gebiet zum vom alten Neugrabener Dorf aus. Die Verlängerung der Dorfstraße führt mitten ins Moor hinein. nach einigen hundert Metern geht nach links ein großer Feldweg ab. Von diesem aus kann man das Naturschutzgebiet bestens erkunden.
Seit 2001 hat der NABU als Träger des Naturschutzgebietes viel der ehemaligen Kulturlandschaft renaturiert: Mit einem Damm wurden die Gräben am Ablaufen gehindert und die einst trocken gelegten Äcker versumpften. Moorfrösche fühlen sich nun wohl hier. Über die Auswirkungen auf die Artenvielfalt kann sich Frederik Schawaller nur freuen, allerdings muss der NABU stets ein wachsames Auge auf das Moor haben, denn anders, als andere Naturschutzgebiete kann man dieses nicht sich selbst überlassen: „Wir müssen die Wiesen von Zeit zu Zeit mähen lassen, sonst setzen sich dort über die Jahre einige wenige Grasarten durch und die anderen verschwinden“, sagt Frederik Schawaller, „und wir müssen andererseits die Wasserstände im Auge haben, damit einige Stellen nicht zu sehr verlanden.“
Das seinerzeit gescheiterte Neubaugebiet wurde komplett neu gedacht und geplant – kleiner, als es die alten Pläne vorsahen. Ein breiter Streifen mit extensiven Kulturflächen trennt nun den Moorgürtel von der Besiedlungsgrenze, ebenso, wie ein eingezäunter Wassergraben, der verhindern sollen, dass die Hauskatzen der Neu-Neugrabener sich die Vogelvielfalt schlicht einverleiben.
Auf den Kulturflächen stehen Pferde und Rinder. Außerdem wächst hier Gras für Heu und Silage. Nicht nur für den Wachtelkönig ist dieser Streifen ein Segen, sondern auch für die menschlichen Neuzuzügler: In der Balzzeit knarzt der männliche Wachtelkönig die Nächte durch. Man kann ihn nicht sehen, aber ganz sicher hören.