Seit 1999 führt Kristin Schwarz die Fleischwarenfabrik Schwarz Cranz. Es läuft rund im Unternehmen. Doch: Beim Thema „Leiharbeiter“ geriet es bereits mehrfach in die Schlagzeilen.
Neu Wulmstorf. Es ist gar nicht lange her, da war Kristin Schwarz noch die Gute. Hamburger Unternehmerin des Jahres 2013. Eine Frau, die es geschafft hat, sich in einer Branche mit scharfem Verdrängungswettbewerb und harten Kerlen an der Spitze zu behaupten. Selbst Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch war beeindruckt von ihrem unternehmerischen Geschick. Er würdigte ihre Leistung, den gelungenen Generationenwechsel, den vervielfachten Umsatz. Doch das Bild von der guten Wurstkönigin hat in den vergangenen Wochen empfindliche Kratzer bekommen.
Erst zuletzt protestierten rumänische und bulgarische Arbeiter vor den Toren der Birservice GmbH, ein Personaldienstleister, mit dem Schwarz Cranz einen Werkvertrag abgeschlossen hatte. Ihr Vorwurf: Sie hätten zu wenig Lohn ausbezahlt bekommen. Im Zuge des Streits schlug ein Arbeiter dem Angestellten des Personalvermittlers sogar ins Gesicht. Die Rumänen und Bulgaren waren zuvor über den Personaldienstleister zu Schwarz Cranz gekommen. In der Branche ist das nicht ungewöhnlich.
Schwarz Cranz ist mit 130 Millionen Euro Umsatz keiner der Großen der Branche. Die heißen Tönnies, Vion und Westfleisch mit zwei bis vier Milliarden Euro Umsatz. Aber Schwarz Cranz konnte sich erfolgreich gegen Übergriffe wehren. Seitdem Kristin Schwarz das Ruder im Jahr 1999 übernommen hat und das Unternehmen in siebter Generation leitet, ging es nur noch bergauf. Der Umsatz stieg um mehr als das Vierfache, die Zahl der Mitarbeiter von 200 auf 650.
Jetzt sitzt Kristin Schwarz am Glastisch in ihrem Büro. Die dunklen Haare zum lockeren Zopf zusammengebunden. Rechts von ihr eine leitende Mitarbeiterin, links der Betriebsratschef Jörg Michaelsen. Die Unternehmerin legt eine Hochglanzbroschüre von Schwarz Cranz vor und führt Beispiele für die Konzentration in der Branche an. Von der Schweizer Grossmetzgerei Bell, die Abraham Schinken aufgekauft hat. Vom Fleischriesen Tönnies, der Böklunder und Redlefsen geschluckt hat. „Wir wachsen, um zu überleben“, sagt Kristin Schwarz.
Und Schwarz Cranz wächst, weil die Firma günstig produziert. „Alles, was billig ist, nehmen die Verbraucher an“, sagt Kristin Schwarz. Längst beschäftigt die Fleischindustrie kaum noch deutsche Arbeiter. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind bei den Fleischriesen allenfalls noch zehn bis 30 Prozent der Belegschaft fest angestellt.
Um die Belegschaften aufzufüllen, locken Subunternehmen Arbeiter aus Osteuropa an. Rumänen, Ungarn, Bulgaren oder Polen zerschneiden das Fleisch und verpacken Wurst im Akkord.
Dieses Spiel spielt Schwarz Cranz nur bedingt mit. „Fast 70 Prozent unserer Belegschaft sind Festangestellte. Werkverträge mit Personaldienstleistern sind aber unvermeidlich, um Auftragsspitzen abzudecken“, betont Kristin Schwarz. Denn die Firma muss von einem Tag auf den anderen flexibel reagieren, wenn Aufträge hereinkommen. Im vergangenen Jahr kritisierte zum ersten Mal „Spiegel TV“, dass Schwarz Cranz mit Subunternehmen Werkverträge schloss, die dann die ausländischen Mitarbeiter ausgebeutet haben sollen.
Schwarz Cranz reagierte, wechselte zum Personaldienstleister BIR Group mit Sitz in Lübeck. „Schwarz Cranz hatte sich vor gut einem Jahr aufgrund der hervorragenden Referenzen für die BIR Group als Partner entschieden“, teilte das Unternehmen mit. Nicht zuletzt, weil der geschäftsführende Gesellschafter der BIR Group, Atilla Karka, von der SPD mit dem Innovationspreis ausgezeichnet wurde.
„Wir wollten einen Großen mit gutem Namen“, sagt Kristin Schwarz. „Er war der teuerste Dienstleister, den wir je hatten.“ Tätig wurden dann vier Unternehmen der BIR Group. Dazu handelte Kristin Schwarz Verträge mit BIR Food, BIR Contract, BIR Personal und zuletzt mit Birservice aus. Mal ging es um den Einsatz von Personal in der Reinigung, mal um Arbeiter für die Verpackung und mal um die Arbeit in der Fleischverarbeitung. Zunächst lief „alles super.“
Bis hundert Arbeiter dann am 16. Juni wegen Lohnausfall auf die Straße gingen. Die Gruppe drängte sich in das Gebäude der Birservice GmbH und blockierte auch kurze Zeit das nur wenige Meter entfernte Werkstor von Schwarz Cranz. Die Birservice GmbH begründete den Protest damit, dass die ausländischen Mitarbeiter falsche Lohnsteueridentifikationsnummern angegeben hätten und es so zu hohen Abgaben kam.
Doch dabei verschwieg die Birservice GmbH ein wichtiges Detail. Dem kam Ingo Ebling, Rechtsanwalt aus Buxtehude, auf die Spur. Ihn hatte die Polizei gerufen, um die aufgebrachten rumänischen Arbeiter zu beruhigen und die Situation zu klären. Der Anwalt sah sich sechs Abrechnungen an und wunderte sich, dass den Arbeitern lediglich zwischen ein Drittel und ein Viertel des Bruttolohnes ausgezahlt wurden.
Ein Mitarbeiter habe 300 Euro pro Monat Miete zahlen müssen für ein Bett in einem Zimmer, das er sich mit sieben Männern teile, sagt Ebling. „Die Arbeiter haben mir gesagt, dass es keine vertragliche Grundlage für den Abzug der Mietkosten gibt“, so der Anwalt.
Auch der Landkreis Harburg hat die Wohnsituation der Rumänen untersucht. Für ein Haus am Nincoper Deich 2 in Rübke hat die Kreisverwaltung dem Eigentümer jetzt mit einer Nutzungsuntersagung gedroht. Zu viele Personen sind in dem Haus auf zu engem Raum untergebracht. 40 Menschen leben in sechs Wohnungen. Das Haus ist lediglich als Wohngebäude und nicht als Beherbergungsstätte für diese hohe Zahl an Bewohnern genehmigt.
Just in den Tagen, als die Mitarbeiter das Büro der Birservice GmbH stürmten, benannte sich die Gesellschaft in Verpackung und Logistik Dienstleistungs GmbH um. Und jetzt will die BIR Group nichts mehr von Birservice wissen. Fragen des Abendblatts zu Beschäftigungs- und Mietverhältnissen der Firma Birservice beantwortet ein Anwalt der BIR Group.
„Soweit die Verpackung und Logistic Dienstleistungs GmbH (vormals Birservice GmbH) bis zu ihrer Umbenennung einen übereinstimmenden Namensbestandteil („Bir“) in der Firma geführt hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung.“
Soll heißen: Der ähnlich lautende Name sei reiner Zufall. Weiter lässt die BIR Group über den Anwalt wissen: „Es gibt keine gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen der BIR Group und der Verpackung und Logistik Dienstleistungs GmbH. Gesellschaften der BIR Group waren zu keinem Zeitpunkt an der Verpackung und Logistic Dienstleistungs GmbH beteiligt. Jede Form einer Berichterstattung, durch die der falsche Eindruck erweckt würde, die BIR Group sei an der Verpackung und Logistic Dienstleistungs GmbH beteiligt gewesen, habe Wohnungen gemietet oder habe ,Wanderarbeiter’ beschäftigt, wäre daher grob unrichtig und unzulässig.“
Allerdings ist der geschäftsführende Gesellschafter der BIR Group, Atilla Karka, im Handelsregister auch als Geschäftsführer der Birservice GmbH, die jetzt Verpackung und Logistik Dienstleistungs GmbH heißt, eingetragen. Am 30. September wurde das Unternehmen im Register angemeldet. Den Vertrag legte Kristin Schwarz dem Abendblatt bei dem Termin in ihrem Unternehmen vor.
Sie hat ihn mit der Birservice GmbH 2013 geschlossen. Er ist auf den 16. Oktober 2013 datiert. Unterschrieben hat Atilla Karka. Die Wurstfabrikantin versichert, sie habe es in der Zusammenarbeit mit BIR Group immer mit Atilla Karka zu tun gehabt.
Zu den Vertragsbedingungen mit dem Personaldienstleister sagt Kristin Schwarz, sie habe stichprobenartig die Abrechnungen kontrolliert und nichts Auffälliges entdeckt. Die Arbeiter hatten sogar im Büro der Birservice GmbH an der Gottlieb-Daimler-Straße ganz in der Nähe des Werkes eine Anlaufstelle, wo sie Schuhe und Arbeitskleidung hinterlegen konnten. Auch Betriebsratschef Michaelsen war zufrieden. Massenunterkünfte, dubiose Lohnabzüge.
Von alldem will Kristin Schwarz nichts gewusst haben. „Ich habe mir einige Unterkünfte vor einem Jahr selbst angeschaut“, sagt sie. Auch der Betriebsratschef war dabei. Für eine Unterkunft an der Süderstraße habe sie sogar neue Matratzen aus privater Tasche bezahlt. Bei der Vertragsgestaltung mit den Unternehmen der BIR Group habe Schwarz Cranz größten Wert auf die sozialen Standards gelegt. Ähnlich lauten die Erklärungen des Anwalts der BIR Group: „Es gehört zum Selbstverständnis der BIR Group, dass in allen aktiven Gesellschaften der Gruppe seit ihres Bestehens am Markt Löhne nach Tarif gezahlt werden sowie sämtliche arbeitsrechtlichen Vorschriften und Grundlagen nicht nur eingehalten, sondern übertroffen werden.“
Die Lage in Neu Wulmstorf verschlimmerte sich, als die Verpackung und Logistic Dienstleistungs GmbH (ehemals Birservice GmbH) am 23. Juni Insolvenz anmelden musste. Als Grund verwies der vorläufige Insolvenzverwalter Gideon Böhm darauf, dass die Vergütung von Schwarz Cranz nicht ausgereicht habe, um die Lohnkosten zu decken.
Schwarz Cranz reagierte empört auf den Vorwurf. Das Management der Birservice GmbH sei allein verantwortlich für die Probleme, argumentiert der Wurstfabrikant. Erst in den vergangenen Wochen sei Birservice nach dem Austausch eines Subunternehmers in Schwierigkeiten geraten. Schwarz Cranz zeigte sich entsetzt darüber, „wie sich sie BIR Group als namhaftes Personaldienstleistungsunternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern aus der Verantwortung zu stehlen versucht“.
Es scheint wie das berühmte Schwarze-Peter-Spiel. Doch ist Schwarz Cranz tatsächlich ein unschuldiges Opfer der Machenschaften von Personaldienstleistern? Rüdiger Winter, Leiter der Beratungsstelle für mobile europäische Arbeiter, die zur DGB-Organisation „Arbeit und Leben Hamburg“ gehört, zeichnet ein anderes Bild.
Seit anderthalb Jahren hat er das Unternehmen Schwarz Cranz im Visier. „Wir kennen die Firma schon länger“, sagt er. In einem Papier vom März 2013 gibt ein Mitarbeiter des Projekts „Faire Mobilität“ Schilderungen von Ungarn wieder, die bei Schwarz Cranz von Personaldienstleistern eingesetzt waren. Die Mitarbeiter von „Faire Mobilität“ kooperieren mit Rüdiger Winter.
Bei den Ungarn sollen Lohnzahlungen ausgeblieben sein, Arbeiter hätten trotz Krankmeldung arbeiten müssen oder seien willkürlich entlassen worden. Ehemalige Beschäftigte der Firma BIR Food wandten sich ebenso an „Faire Mobilität“. „Ständiges Antreiben, Schreien, Behandlung wie Menschen zweiter Klasse, das alles war der Alltag“, schreiben sie in einer Mail.
„Unzählige Überstunden, Arbeit über zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, fehlende Zuschläge für Überstunden und Nachtarbeit, das alles konnten wir schon im ersten Arbeitsmonat beobachten.“ Schwarz Cranz habe von den Arbeitsverhältnissen gewusst, sagt Rüdiger Winter.
Auch der Mitarbeiter von „Faire Mobilität“ sagt: „Es ist schwer vorstellbar für mich, dass die Firma Schwarz Cranz von den Schilderungen der osteuropäischen Arbeiter nichts mitbekommen hat.“ Trotz mehrfacher Anfragen seitens des Hamburger Abendblatts hat Schwarz Cranz keine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen abgegeben.
An die Mitarbeiter hat der Wursthersteller einen offenen Brief geschrieben. „Wir sind entsetzt und schockiert, dass die Birservice GmbH Insolvenz angemeldet hat“, heißt es darin. Bitte seien Sie – ALLE – versichert, dass wir alles tun werden, was möglich ist, um Ihnen in Ihrer schlimmen Situation, die die Firma Birservice GmbH zu verantworten hat, zu helfen.“
Wer Fragen hat, solle sich an den Betriebsratsvorsitzenden wenden. Jörg Michaelsen versichert, immer auf Handy erreichbar zu sein. „Schwarz Cranz GmbH & Co KG wird gemeinsam mit dem Betriebsrat alles versuchen, so viel wie möglich an Mitarbeitern der Birservice GmbH zu übernehmen.“
Mindestens 90 Arbeiter will Schwarz Cranz befristet einstellen. Um die Unterkünfte müssen sich die Mitarbeiter nun selbst kümmern. 76,3 Prozent der 90 Festangestellten hätten aber eine eigene Wohnung, so Schwarz Cranz. Jetzt will der Wurstfabrikant mit anderen Unternehmen überlegen, wie er Qualitäts- und Arbeitsstandards nachprüfbar verbessern kann.
Ein ehemaliger Direktor eines Arbeitsgerichts soll einen Arbeitskreis koordinieren. „Ein wichtiger Schritt“, sagt Rüdiger Winter. „Ich bin gespannt.“ Es könnte der erste Schritt für Kristin Schwarz sein, wieder aus den Schlagzeilen zu kommen.
Mitarbeit: ivr, rz