Erster „Runder Tisch“ zu Flüchtlingsunterkünften im Bezirk fand ohne Anwohner statt. Die sind deshalb stocksauer
Harburg. Mit der nötigen Transparenz beim Thema Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk tun sich Politik und Verwaltung weiter schwer. Als es vergangenen Dienstag um 17 Uhr im Raum B.4.03 des Elbcampus am Handwerkerzentrum 1 zum ersten Runden Tisch zu den Einrichtungen des zuständigen städtischen Unternehmens „fördern und wohnen" (f & w) kam, fehlten ausgerechnet die Vertreter der Anwohner. Als hätte es das ganze Kommunikationsdesaster rund um die Einrichtung der Zentralen Erstaufnahme und den Aufbau des neuen Camps in Bostelbek nie gegeben.
Laut offizieller Mitteilung von f & w seien selbstverständlich auch Abgesandte der Bürgerinitiativen eingeladen worden. Iwona Mazurkiewicz, Sprecherin der BI Wetternstraße, bestreitet das. Und bekommt Unterstützung von Ineke Siemer, Sprecherin der BI Bostelbek (BIB). „Auch wir haben nur per Zufall von dem Termin erfahren. Und nur, weil wir mehrfach nachgehakt haben, konnten wir dann tatsächlich einen Vertreter entsenden“, sagte sie dem Abendblatt.
Tatsächlich ist schleierhaft, nach welchen Gesichtspunkten f & w die Teilnehmerliste aufgestellt hat. Während das Bezirksamt durch Sozialdezernent Holger Stuhlmann sowie den neuen Flüchtlingskoordinator Gert Steinbrecher und die Harburger SPD durch Fraktionschef Jürgen Heimath vertreten waren, suchte man Vertreter der CDU und der Grünen vergebens. Dafür saßen aber zwei Abgeordnete der Linkspartei und Carsten Schuster von der FDP mit am Tisch. Obgleich die Liberalen in der neuen Bezirksversammlung nicht einmal mehr Fraktionsstatus besitzen.
„Die Vorgehensweise bei der Einladung zum Runden Tisch war doch sehr dilettantisch“, sagte Britta Herrmann, die neue Fraktionschefin der Grünen, dem Abendblatt: „Wir Politiker sollen Verantwortung tragen und Entscheidungen fällen, auch zum Thema Flüchtlinge, werden bei solchen Diskussionsrunden aber nicht beteiligt.“
Dabei gibt es im Umfeld der Flüchtlingsheime nach wie vor viele Probleme, die durchaus von öffentlichem Interesse sind. So berichtete der Leiter der Unterkunft Wetternstraße, wo ausnahmslos alleinstehende Männer untergebracht sind, von „kritischen Verhältnissen gerade in der Gruppe der wohnungslosen Deutschen“. Andererseits schaue der georderte Wachdienst laut f & w-Bereichsleiterin Anka Pötting nach wie vor nur „fünfmal die Woche sporadisch“ vorbei. Die werktäglichen Visiten würden jeweils „etwa 30 Minuten“ dauern. Was nicht nur nach Ansicht der BI Wetternstraße völlig unzureichend sei.
„Da wünscht sich fördern und wohnen wegen des äußerst dürftigen, offiziellen Stellenschlüssels für die Flüchtlingseinrichtungen mehr freiwilliges Engagement, doch die Bürgerinitiativen, die den besten Zugang zu den Anwohnern haben, werden zum Runden Tisch nicht eingeladen. Das verstehe, wer will“, sagt BIB-Sprecherin Ineke Siemer. Überdies habe sie nach wie vor den Eindruck, dass Senat und Bezirksamt nicht mit offenen Karten spielen.
Ein Beispiel: Beim Runden Tisch in Bostelbek am 4. Juni dieses Jahres hatte Bezirksamtsleiter Thomas Völsch zugesagt, Vertreter der Bürgerinitiative dürften das Lärmtechnische Gutachten zur Siedlung am Radeland, ohne das der Bauantrag für das Flüchtlingscamp nicht genehmigt werden kann, unentgeltlich einsehen. Als Siemer dies am vergangenen Freitag tat, wurden ihr jegliche Aufzeichnungen des Dokuments untersagt. Ganz nebenbei erfuhr sie, dass das Gutachten nicht unter das Transparenzgesetz fällt. Weshalb weitergehende Recherchen zu dem Dokument nicht gestattet seien.
Aus gutem Grund, glaubt Ineke Siemer. Das neue Lärmgutachten fußt zu weiten Teilen auf jenem des Büros Lärmkontor aus dem Jahre 2007. Das hatte seinerzeit das Bezirksamt beauftragt, weil Bostelbeker Siedler eine rückwärtige Bebauung ihrer Privatgrundstücke beantragt hatten.
„Die validen Zahlen zum Verkehrsaufkommen stammten schon 2007 vom August 1995“, so Siemer. Dass sie nun erneut lediglich prognostisch hochgerechnet wurden, weil eine aktuelle Verkehrszählung zu teuer sei, ergebe aus ihrer Sicht kein realistisches Bild. Seinerzeit habe der Anteil des Schwerlastverkehrs auf der Straße am Radeland gerade bei sieben bis acht Prozent gelegen. „Heute donnern täglich bis zu 80 Lkw mit leeren Containern zu den benachbarten Werkstätten, was allein schon eine neue, äußerst belastende Lärmquelle darstellt“, erklärt Siemer.
Als lärmmindernd wird die Herabsetzung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 60 auf 50 Stundenkilometer sowie der Bau einer Schallschutzwand zur Bahntrasse gewertet. „Dass die Lärmschutzwand allerdings kurz hinter dem Bostelbeker Damm endet und die Wiese, auf der das Flüchtlingslager entstehen soll, nach wie vor voll beschallt wird, steht nirgends“, sagt Siemer.
Dennoch stellt das neue Gutachten durchweg Messwerte fest, die stets knapp unterhalb des Grenzwerts für eine nicht mehr zulässige Lärmbelastung von 75 Dezibel liegt. Im hellhörigeren Obergeschoss wurden am Tag zwischen 65 und 70 Dezibel gemessen, nachts zwischen 60 und 65. Weshalb das Lärmschutzgutachten zu dem Schluss kommt, dass der temporären Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft nichts im Wege steht. So sie mit etwas dickeren Wänden und speziellen Lärmschutzfenstern ausgerüstet wird. „Natürlich haben wir nichts anderes erwartet“, sagt Ineke Siemer mit sarkastischem Unterton. „Für private Erweiterungsbauten war die Lärmbelastung vor einigen Jahren zu hoch. Nun, wo sie erheblich zugenommen hat, ist der Bau eines Containerdorfes für knapp 200 Flüchtlinge unbedenklich.“ So sei es auch in diesem Fall, wie es fast immer ist: Gutachten helfen vor allem denen, die sie bestellen.