Einsicht in die Diplomarbeit des Terroristen, die er an der TU Harburg verfasst hat. Thema ist die Sanierung eines Viertels der syrischen Stadt Aleppo. Keine Bibliothek möchte die Arbeit haben.
Unveröffentlichte Diplomarbeit von 09/11-Todespilot Atta: Bibliotheken scheuen sich, Dokument zu archivieren
Hamburg. Erstmals konnten Medien die unveröffentlichte Diplomarbeit einsehen, die 9/11-Terrorpilot Mohammed Atta im August 1999 an der Technischen Universität Hamburg-Harburg im Fach Stadtplanung eingereicht hatte. Attas 152 Seiten dicke Arbeit, die dem ARD-Magazin „Panorama“ und der Süddeutschen Zeitung unlängst vorlag und von den Ermittlern inhaltlich nicht ausgewertet worden war, ist in gutem Deutsch verfasst und gestattet ungewöhnliche Einblicke in die Gedankenwelt des Operationschefs und Todespiloten des 11. September.
Atta, der am 11. September 2001 ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers steuerte, befasst sich in der Diplomarbeit mit der Sanierung eines Altstadtviertels der nordsyrischen Handelsmetropole Aleppo. Der 1968 in Ägypten geborene Atta studierte von 1992 bis 1999 Städtebau in Hamburg.
In seiner Diplomarbeit zeigt er ein enormes Interesse, die von Abriss und Verfall bedrohten Altstädte des islamischen Orients zu sanieren. Die traditionellen Wohnstrukturen böten den Bewohnern eine bessere Lebensqualität als Neubaugebiete mit modernen Hochhäusern, argumentiert Atta. Wörtlich schreibt er: „Der Mensch steht im Mittelpunkt des planerischen Interesses.“
Atta führt den schlechten Zustand arabischer Altstädte auf die Bevölkerungsexplosion, das Desinteresse der jeweiligen Regierungen und auch auf den in seinen Augen schädlichen Einfluss europäischer Berater zurück. In seiner Diplomarbeit entwirft er einen Vorschlag, wie eine Abrissfläche in Aleppo sinnvoll wieder bebaut werden kann. Seine islamische Frömmigkeit verheimlicht Atta in dem Text nicht. Allerdings wird darin paradoxerweise das Profil eines Mannes deutlich, der aufbauen und nicht zerstören will.
BKA hat die Arbeit inhaltlich nie ausgewertet
Sein inzwischen emeritierter Betreuer Dittmar Machule erklärt, er habe die Diplomarbeit nach den Anschlägen von Washington und New York bewusst nicht thematisiert. „Ich hatte das Gefühl, man würde das nicht verstehen. Man liest da ja das Gegenteil von dem, was man vermutet, wenn man die Bilder von 9/11 sieht.“ Dass Atta die Diplomarbeit schrieb, um seine Terrorpläne zu vertuschen, schließt Machule aus. „Das ist eine ernsthafte, ehrliche Arbeit“, sagt der Professor für Städtebau.
Das Bundeskriminalamt zog sich nach den Terroranschlägen, bei denen 3000 Menschen ermordet wurden, eine Kopie der Diplomarbeit. Gegenüber „Panorama“ und SZ erklärte eine Sprecherin des BKA, dass die Arbeit inhaltlich jedoch nicht ausgewertet worden sei.
„Niemand möchte die Diplomarbeit haben“
Machule plädiert dafür, Forschern und Interessierten den geregelten Zugang zu dem Dokument der Zeitgeschichte zu ermöglichen. Bislang hat die Diplomarbeit jedoch keinen offiziellen Archivar gefunden. „Niemand möchte die Diplomarbeit haben“, so Machule. „Es ist nicht unsere Aufgabe, eine unveröffentlichte Diplomarbeit in den Lesebestand aufzunehmen“, sagte eine Mitarbeiterin der Hamburgischen Staats- und Universitätsbibliothek auf Anfrage von „Panorama“ und SZ.
Die Leiterin der Bibliothek der TU Harburg antwortete auf die Frage, ob sie bereit sei, die Diplomarbeit von Mohammed Atta zu archivieren: „Ungern bei uns. Wir sind kein Archiv, sondern eine Gebrauchsbibliothek.“ Sie fügte jedoch hinzu: „Wenn sich sonst niemand findet, würde ich das zumindest bei uns zwischenlagern. Das ist ja Teil unserer Geschichte.“ Nach der gängigen Regel gibt die TU Harburg unveröffentlichte Diplomarbeiten nach fünf Jahren dem Verfasser zurück. Ist der Verfasser verstorben und sind keine Erben erreichbar, wird die Diplomarbeit nach fünf Jahren vernichtet.