Bernd Muss entwirft mit der vierjährigen Ava die Bilder, die Harburger in der Haut tragen wollen

Eissendorf . Manche Leute sagen, „Das Geschäft brummt“, wenn es gut läuft. Bei Bernd Muss kommt die Beschreibung mit „Brummen“ nicht aus. Die Frequenz ist höher: Hier summt und sirrt es, wenn der Laden läuft. Ansonsten ist wenig zu hören, außer etwas Hintergrundmusik. Die Tätowierer sind hochkonzentriert bei der Arbeit. Das Medium Haut verzeiht keine Fehler, man kann nicht kurz mal radieren oder gar das Werk zerknüllen und neu anfangen. Drei Kunden werden gleichzeitig behandelt. Einer beim Chef und zwei bei seinen Mittätowierern. Bernd Muss ist seit 18 Jahren im Geschäft und seit zehn Jahren selbstständig und betreibt ein Studio in Eißendorf und eines in Eimsbüttel. Seine Spezialtät: Kunst auf Haut zu verwirklichen. Seine Wunderwaffe: seine Tochter. Die Vierjährige ist Muse und Mitgestalterin gleichermaßen. Man könnte sagen: Ava Muss ist Deutschlands jüngste Tattoo-Künstlerin, denn einiges, was Vater und Tochter gemeinsam auf Papier erarbeitet haben, ist durch Vaters Hand schon auf Haut kopiert worden. Die Kombination aus kindlicher Naivität und professionellem Strich sagt Menschen dermaßen zu, dass sie es ihr Leben lang tragen wollen.

„Das war zuerst nicht so geplant", sagt Bernd Muss. „Ich hatte aus Spaß mit meiner Tochter zusammen gezeichnet . Leute, die die Bilder sahen, wollten sie tätowiert haben.“ Von Haus aus erstellt Bernd Muss surreale Motive. Knochen, Schädel, Fabelwesen und wuchernde Pflanzen sind häufig wiederkehrende Elemente seiner Werke. Außer mit der Tintennadel verwirklicht Muss seine Kunst auch mit Stift, Feder, Acrylfarbe und Sprühdose.

„Ich habe als Graffiti-Sprüher angefangen“, erinnert sich der 40-Jährige. „Parallel habe ich mich an der Kunsthochschule beworben und dafür auch privaten Kunstunterricht genommen.“ Mit der Hochschule wurde es für Bernd Muss nichts, dafür nahm sich die Schule des Lebens seiner Talente an: Als Graffitikünstler sollte er die Wand des Tattoo-Studio Harburg gestalten. Dessen legendärer Chef „Oschi“ bot Bernd einen Job im Studio an.

„Da lernte ich die Technik von Grund auf an. Zuerst habe ich nur Flächen aufgefüllt“, sagt Muss, „die Linien hat der Chef vorgegeben. Erst nach und nach durfte ich eigenständiger arbeiten.“

Seit er anfing zu tätowieren, hat die Tätowierkunst nicht nur einen gewaltigen Boom erlebt, sondern auch künstlerisch große Entwicklunen erfahren. „Es gibt zwar immer noch einige Tätowierstuben alter Schule, die den Katalog an der Wand hängen haben, sodass viele Kunden sich dann dieselben Motive aussuchen, aber ich will so nicht arbeiten. Ich habe in meiner Lehrzeit genug Indianerköpfe gemacht“, sagt Bernd Muss.

Seit er mit seinem Studio „Tattoo Freestyle" selbstständig ist, hat er kein Motiv zweimal gestochen – mit Ausnahme von Club- oder Gruppenemblemen, denn auch Motorradvereine und Bands kommen zu ihm – oder er zu ihnen: So hat Bernd Muss’ Crew kollektiv die Musiker von Rihanna im Backstagebereich tätowiert.

Auch Erfolgsgeschichten verlaufen allerdings nicht immer geradlinig und so erwischte Bernd Muss vor etwa einem Jahr eine Krise. „In der Zeit habe ich mich auf Menschliches zurückbesonnen und mich auch mehr für meine Tochter geöffnet.“ Ava lebt mal bei ihm in Eißendorf und mal bei der Mutter in Altona. „Die Kleine fing damals gerade an, zu zeichnen und ich wollte ihr Talent unterstützen und machte einfach Bilder mit ihr zusammen. Was dabei herauskam, erstaunte selbst mich“, sagt er. Als Tattoo-Motive waren die Gemeinschaftswerke anfangs nicht gedacht: „Ich dachte eher an Drucke auf Kinderklamotten und Bilderbücher. Das plane ich auch immer noch“, sagt Bernd Muss. „Aber die Arbeit mit Ava hat mich auch anderweitig wieder inspiriert und außerdem teilen ja einige meiner Kunden meine Begeisterung für die Werke.“

Mindestems fünf dieser Bilder hat Bernd Muss schon tätowiert. „Natürlich bekommt Ava ihren Anteil“, sagt er. „Die Hälfte der Einnahmen geht auf ihr Sparbuch.“. Mittlerweile entstehen schon die nächsten Bilder an Bernd Muss’ Wohnzimmertisch. Der Vater sitzt am Tisch, die Tochter kniet darauf und zeichnet kräftige Striche. Prinzessinnen haben es ihr derzeit besonders angetan, aber das kann sich auch schnell wieder ändern. „Solange Ava sich die kindliche Naivität bewahrt und einfach losmalt, wird dabei eine riesige Kreativität freigesetzt“, sagt Bernd Muss. „Das ist das Allerwichtigste. Leider wird das wohl nur noch ein paar Jahre so sein.“

So lange werden die zwei aber noch viel Spaß mit Stift und Block haben.