Seit April 1914 verkauft Familie Schönecke aus Neu-Wulmstorf Eier auf dem Harburger Markt – damals vom Pferdefuhrwerk, heute aus einem modernen Kühlwagen. Zur Jubiläums-Eier-Feier werden auf dem Geflügelhof mehr als 10.000 Besucher erwartet

Neu Wulmstorf Neugierig und mit freundlichem Gegacker kommen die Hühner näher. Flugs schnappt Henner Schönecke sich eins und nimmt es auf den Arm. Das macht sich gut – schließlich ist er Chef eines großen Geflügelhofes und soll zu dessen 100-jährigem Bestehen fotografiert werden.

„Na, Lotta“, sagt er, krault das Huhn am Nackengefieder und fügt grinsend hinzu: „Die Namen unserer Hennen fangen alle mit L an.“ Das ist natürlich ein Scherz. Man kann die braungefiederten Hühner ohnehin kaum auseinanderhalten. Außerdem ließe sich auch beim besten Willen nicht für jedes Tier ein eigener Name finden: 38.000 Hühner halten die Schöneckes in Freilandhaltung, 15.000 in Bodenhaltung. Das Federvieh produziert insgesamt 43.000 Eier täglich. Die werden von 50 Verkäuferinnen auf sieben Wochenmärkten, in drei eigenen Läden und in zahlreichen Supermärkten verkauft.

Jetzt, vor Ostern, müssen die Schöneckes noch Eier dazukaufen. „Unsere Hennen legen braune Eier, die Kunden möchten aber weiße zum Bemalen“, sagt Ruth Staudenmayer, die sich 1996 in Henner Schönecke verliebt und ihn 2003 geheiratet hat.

Früher, als die Erfolgsgeschichte des Geflügelhofs mit einem kleinen Stand auf dem Harburger Markt begann, waren auch die Eier der Schönecke-Hühner weiß. Den Hof führte damals Heinrich Schönecke I. Die Ziffer trug er hinter seinem Namen, weil auch sein Sohn Heinrich hieß. Um weitere Verwechslungen zu vermeiden, wurde dessen Sohn dann Heiner getauft. Heiner ist der Vater von Henner und seit 2003 Landtagsabgeordneter für die CDU.

Vor genau 100 Jahren belud Heinrich I. zum ersten Mal sein Pferdefuhrwerk und fuhr zum Harburger Markt. Zwei Stunden hin, zwei zurück, zwei- bis dreimal pro Woche. Immer nahm er etwas von dem mit, was sein Hof abwarf – Äpfel, Kartoffeln, Holz oder frisch Geschlachtetes – oder verkaufte Produkte für die Nachbarn. Später übernahm sein Sohn Heinrich II. das Unternehmen. Und kaum konnte Heiner Schönecke, der spätere Politiker, über den Tresen gucken, durfte auch er am Wochenende mit verkaufen. „Mit zehn Jahren hatte ich sogar einen eigenen Stand“, erinnert sich der heute 68-Jährige. Der war einen halben Meter breit und sein ganzer Stolz.

Bis 2000 verkaufte Heiner Schönecke Eier auf dem Markt – Klönschnack gab’s gratis dazu. In dieser Zeit expandierte der Hof enorm. Zunächst wurde das Pferdefuhrwerk durch einen Wiking-Lieferwagen der Harburger Firma Tempo ersetzt. In den 60er-Jahren kam das Thema Massentierhaltung auf. Käfighaltung war eine Revolution: Endlich konnte man die Hühner von ihrem Kot trennen. „Für die Tiere hat sich damals noch keiner interessiert“, so Schönecke. „Wir Landwirte hatten nur die Aufgabe, die Menschen zu ernähren.“ Das änderte sich erst in den 80er-Jahren: Da wollten die Kunden Produkte aus der Region, aber aus artgerechter Tierhaltung. Dafür brauchte man Platz, den gab es im Dorf nicht; der Hof der Schöneckes liegt in Neu Wulmstorf/Elsdorf. Also suchten sie sich einen Standort außerhalb, quartierten ihre Hühner 1998 um und stockten den Bestand von 7000 auf zunächst 11.000 Hennen auf. Und trotzdem waren die Hühner glücklich: Sie schliefen nachts im Stall, legten morgens ein Ei – im mittlerweile bevorzugten „natürlichen“ Braun – und durften dann im Freien scharren, so viel sie wollten. Abends trippeln und flattern sie ganz von selbst wieder in den Stall zurück. Schließlich waren ihre Vorfahren Waldvögel, die nachts auf Bäumen schliefen, um ihren Feinden nicht in die Klauen zu fallen. Noch heute schlafen sie daher am liebsten auf Stangen; damit alle ein schönes Plätzchen finden, sind die bei den Schöneckes auf drei Ebenen übereinander angebracht.

Mit der Zeit verkaufte das Familienunternehmen nicht mehr nur Eier und Suppenhühner (die sie bis Anfang der 70er-Jahre selber schlachteten), sondern nahmen auch Pute, Lamm und Wild mit ins Sortiment und zwei Kühlwagen, um das Fleisch frisch zu halten. Irgendwann kamen der Eiersalat und der berühmte Eierlikör von Ilse Schönecke (Frau von Heiner und Mutter von Henner) dazu. Die Ergänzung des Sortiments war notwendig, weil die Leute immer weniger Eier brauchten. „Sie backten nicht mehr selber“, sagt Ilse Schönecke. „Und statt 60 bis 90 Eier auf einmal kauften sie nur noch zehn.“ Das Ei, in den 60er-Jahren mit einem Stückpreis von 20 bis 25 Pfennig noch ein teures und hochwertiges Produkt, verlor immer mehr an Wert – auch am ideellen. „Eier werden heute nicht mehr gewürdigt“, so die Senior-Chefin.

Außer an Ostern. Und auf der „Eier-Feier“, zu der die Schöneckes an diesem Sonntag auf den Freilandhof in Neu Wulmstorf/Ardestorf einladen. Ab 10 Uhr pendelt ein roter Doppeldeckerbus zwischen S-Bahn Neu Wulmstorf und dem Veranstaltungsgelände. Bis 18 Uhr dreht sich alles um das Huhn und das Ei. Im Café in der Scheune gibt es Torten und den legendären Eierlikör, außerdem einen ländlichen „Genussmarkt“, Shanty-Chor, Spielmannszug – und natürlich Spiele wie das traditionelle Eierlaufen. Die Schöneckes, die ihren Hof häufig für Veranstaltungen öffnen, erwarten rund 10.000 Besucher. Das ist ein Verdienst von Henner Schönecke, der bei der Betriebsführung auf Transparenz setzt. Auch er hat, kaum konnte er über den Tresen gucken, Eier auf dem Markt verkauft. Heute aber macht das seine Frau Ruth, die 2011 die Geschäftsleitung von Heiner Schönecke übernommen hat. Und bald sicher auch Hannes, der ältere der beiden Söhne. „Er kann schon fast über den Tresen gucken, ist sehr geschäftstüchtig und ein guter Klönschnacker“, sagt Ruth Staudenmayer.

Das Fortbestehen des Geflügelhofes scheint also gesichert zu sein.