Verärgerung über Abriss des Lärmschutzwalls in Wilhelmsburg. Anlieger machen sich mit „Lärm-Yoga“ Luft
Wilhelmsburg. An einem Wochenende im Februar rückten Bauarbeiter um 2 Uhr morgens unangekündigt dem Lärmschutzwall am Katenweg in Wilhelmsburg zu Leibe. Der Abstand zwischen den Wohnhäusern und der nun ungeschützten Bahntrasse beträgt knapp 20 Meter. 800 Züge pro Tag „verlärmen“ seither ungehindert die Siedlung. Die Anwohner setzten sich am Sonnabend mit einer kreativen „5 vor 12“-Aktion zur Wehr: Sie luden Betroffene und Mitstreiter zum „Lärm-Yoga“ in den Garten von Alfred Lischewski und Sabine Böttcher ein.
Schlaflose Nächte liegen hinter den Anwohnern des Katenwegs. „Wenn hier ein Zug durchrauscht, ist es gefühlt so, als würde er direkt durch das Schlafzimmer fahren“, sagt Alfred Lischewski. An eine erholsame Nachtruhe sei seither nicht mehr zu denken. Der Blick auf das Phonometer beweist: Seit dem Abbau der Lärmschutzwand liegt der Schallpegel in seinem Garten im Katenweg bei 100 Dezibel pro Zugdurchfahrt. Laut Studien besteht bereits ab 60 bis 70 Dezibel akute Gesundheitsgefahr.
Dabei hatte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) den Wilhelmsburgern im August 2013 noch feierlich einen bundesweit einmaligen Lärmschutz versprochen. Damals begannen auch offiziell die Bauarbeiten zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße. Warum die zuständigen Behörden nun nicht erst die angekündigte Lärmschutzwand an neuer Stelle in Auftrag geben, bevor sie die alte abreißen lassen, ist vielen Betroffenen ein Rätsel. Auch neben den Fern- und S-Bahngleisen am Schwentnerring/Leipeltstraße und im Bereich der Neuenfelder Straße bis Brackstraße sind die Lärmschutzwände bereits demontiert. Mit dem Bau des neuen Lärmschutzes wird erst zwischen August 2014 und Februar 2015 begonnen.
Das ärgert Jochen Klein. Seit Jahren kämpft der Familienvater gemeinsam mit den „Engagierten Wilhelmsburgern“ gegen die Verlegung der Reichsstraße, für intelligente Verkehrslösungen. Ein wichtiges Thema dabei ist auch der Lärmschutz. In dieser Hinsicht sei für die Wilhelmsburger bislang nichts unternommen worden, sagt er. „Die Lärmschutzwände für die IGS wurden mal ebenso beschlossen und ruckzuck gebaut. Und auch für die Anwohner in Stellingen, die mit einer ähnlichen Situation umgehen müssen, werden mobile Lärmschutzwände installiert. Der Lärmschutz für Menschen muss Vorrang haben vor dem Lärmschutz für Blumen. Warum ist das in Wilhelmsburg nicht möglich?“, fragt Klein. „In Wilhelmsburg ist man dem Lärmterror mit behördlicher Genehmigung voll ausgesetzt.“
Verantwortlich für die Demontage und den Neubau des Lärmschutzes ist Deges, eine Baugesellschaft im Besitz von Bund und Ländern. Sprecherin Edda Schulze sagte dem Abendblatt, dass der Abbau notwendig gewesen sei, weil an gleicher Stelle „neue, höhere und damit wesentlich wirksamere Lärmschutzwände gebaut werden, um den Lärm der Bahnanlage wesentlich zu reduzieren.“ Die Maßnahme werde im Rahmen der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und der Anpassung der Gleisanlagen umgesetzt. „Dafür liegt ein Planfeststellungsbeschluss mit Sofortvollzug vor“, so Schulze.
Der Planfeststellungsbeschluss besagt aber auch, dass die zuständige Behörde die Anwohner rechtzeitig vorab von dem Beginn und der vorgesehenen Art und Dauer der jeweils geplanten Baumaßnahmen unterrichten und einen Ansprechpartner vor Ort benennen muss. „Das hat aber leider nicht funktioniert“, betont Jochen Klein. Edda Schulze räumt ein, dass die Anwohner über Baumaßnahmen an der Leipeltstraße, „bedauerlicherweise aber nicht vollständig auch über Abbruchmaßnahmen informiert“ wurden.“ Der Planfeststellungsbeschluss sehe lediglich Informationen über Baumaßnahmen vor. „Da uns das Thema Anwohnerinformation sehr wichtig ist, werden wir hier künftig aktiver sein. Es ist vorgesehen, in unserem Bauüberwachungsbüro im Gewerbegebiet Rotenhäuser Straße Informationsveranstaltungen anzubieten. Das Büro wird ab April bezogen sein“, so die Deges-Sprecherin.
Den Wilhelmsburgern reicht das nicht. Einige „Lärm-Yoga“-Teilnehmer sprachen von gezielter Schikane. „Alfred Lischewski und Susanne Böttcher gehören zur Klägergemeinschaft, die sich gegen die Verlegung der Reichsstraße wehrt. 500 Meter weiter die Straße runter steht die Lärmschutzwand noch. Da könnte man ja einen Zusammenhang vermuten“, sagt Dietmar Bogdan, Mitglied der Gesellschaft Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg.
Anwohner des Katenwegs wie Alfred Lischewski, Sabine Böttcher und Horst Pingel haben Strafanzeige gestellt wegen ruhestörenden Lärms und Körperverletzung. Bislang fühlen sich dafür nach Aussagen der Kläger aber weder die Bahn, die S-Bahn noch die Stadt Hamburg oder Deges zuständig.