Noch bis Sonnabend dreht sich alles um das königliche Spiel. Jeden Nachmittag laden Spitzenspieler zu Partien ein, gibt es Turniere, Informationen und Tipps rund um die 32 Figuren und 64 Quadrate.

Harburg Thomas Sztepien hat aufgegeben. Im 23. Zug erklärt er sich geschlagen – und doch kommt jetzt sein großer Moment: Fast, wie ein Schuljunge hält der 62-jährige seinem Gegner den Spielbericht hin. Dorian Rogozenco unterzeichnet den DIN-A-5-Zettel und gibt Sztepien die Hand. Dann geht der Schachgroßmeister weiter zum nächsten Brett. Thomas Sztepien faltet den Spielbericht ehrfürchtig, sorgfältig und umständlich; um ihn dann in ein sichtbar viel benutztes polnischsprachiges Schachbuch zu legen. „Ich spiele Schach, seit ich klein bin“, sagt er. „Aber gegen einen Großmeister habe ich noch nie spielen können. Natürlich bin ich nicht so gut, wie er. Aber ich bin jetzt nicht traurig. Für mich ist es eine Ehre gewesen, gegen Herrn Rogozenco zu spielen.“

Sztepien ist nicht der erste und nicht der letzte Kontrahent, den Großmeister und Bundestrainer Rogozenco in dieser Simultanrunde besiegt. Mehr, als eine Handvoll Spieler hat bereits das Feld geräumt, viele weitere folgen bald. Nur wenige der 20 Simultangegner sind zäh und halten fast 50 Züge durch.

Die Simultanrunde mit dem Großmeister fand im Rahmen der Schachwoche im Phoenix-Center statt. Noch bis Sonnabend drecht sich zwischen den Schaufenstern alles um das königliche Spiel. Jeden Nachmittag laden Spitzenspieler zu Partien ein, gibt es Turniere, Informationen und Tipps rund um die 32 Figuren und 64 Quadrate. Die Woche wird gut angenommen, freuen sich die Veranstalter. Bei den Simultanrunden und Blitzturnieren am Abend sind alle Bretter besetzt und beim vormittäglichen Schachunterricht haben sich viele Klassen und Kita-Gruppen angemeldet.

„Nachwuchsarbeit ist wichtig, das haben wir bei den Schachvereinen leider lange vernachlässigt“, sagt Matthias Wasmuth, „aber wir holen das seit einiger Zeit nach.“

Der Medieninformatiker ist für den Harburger „Schachverein Diagonale“ vor Ort. Organisiert wurde die Schachwoche vom Hamburger Schachklub. Der stellt aus seinem Bundesligakader auch Internationale Meister und Großmeister für die abendlichen Simultanturniere. In Harburg macht der Hamburger SK das Turnier jedoch nicht alleine. Die drei örtlichen Vereine Diagonale, SK Marmstorf und Schwarz-Weiß Harburg sind in die Veranstaltung mit eingebunden. Deshalb ist auch Wasmuth hier – und weil er nach Feierabend noch schnell am Blitzturnier teilnehmen will.

„Mein Vater hat mir das Schachspielen beigebracht, als ich sechs Jahre alt war“, erklärt er seine Begeisterung für das Spiel der Könige. „und ich glaube, das ist schon ein ganz wichtiger Aspekt des Spiels: Es kann Generationen verbinden und Grenzen überwinden. Die Schachregeln sind überall gleich. Ich kann mich irgendwo auf der Welt an ein Schachbrett setzen und mit jemandem spielen, ohne, dass ich ein Wort seiner Sprache kann.“

Diesen Aspekt des Schachspiels will sein Verein auch am Sonnabend betonen: „Schach ohne Grenzen“ ist der Name des Turniers, das der SV Diagonale im Rahmen der Schachwoche veranstaltet. Dabei möchte sich der Club die Nationenvielfalt Harburgs zu Nutze machen. Jeder Teilnehmer darf für das Land seiner Herkunft oder seines Herzens antreten und so im Phoenix-Center vielleicht Weltmeister von Harburg werden. Eine andere mögliche Variante ist es Meister der eigenen Nationalität zu werden, beispielsweise dänischer Schachmeister von Wilstorf. Das Turnier beginnt um 10 Uhr und ist für Teilnehmer aller Spielstärken geeignet. Ein Quereinstieg ins Turnier ist jederzeit möglich. Die Siegerehrung findet um 14.30 Uhr statt. Zu gewinnen gibt es Einkaufsgutscheine, Sachpreise, Schachtrainings auf hohem Niveau sowie Freimitgliedschaften im Schachverein.

Parallel zum Turnier bietet der SV Diagonale Trainings für Anfänger an und stellt sich und seine Arbeit vor. Im Schachverein Diagonale sind derzeit 40 Harburger engagiert. Der Verein hat drei Mannschaften im Hamburger Ligabetrieb. Die erste Mannschaft spielt in Hamburgs höchster Spielklasse, der Landesliga. Tendenz: Aufstieg. In der Oberliga müssten die Harburger dann auch Schleswig-Holstein bereisen.

Die Nachwuchsförderung betreibt der Verein direkt in der Grundschule In der Alten Forst in Eißendorf. Dort betreuen Trainer des Vereins die Schachkurse und bilden Lehrer fort. Der Erfolg: Von drei Mannschaften der Schule beim letzten Alsteruferturnier fuhren zwei deutliche Siege ein.

Neben dem SV Diagonale betreibt auch der SK Marmstorf aktive Nachwuchsarbeit. Außer drei Erwachsenenmannschaften – die erste ist in der Landesliga Tabellenverfolger der Diagonale – hat der zu Grün-Weiß Harburg gehörende Club zwei Jugendmannschaften im Spielbetrieb.

Die Simultanrunde ist beendet. Gleich beginnt das Blitzturnier. Matthias Wasmuth juckt es schon in den Fingern. Thomas Sztepien hat das Schachbuch mit dem Spielbericht ein eine Einkaufstasche gelegt und ist auf dem Heimweg. Vielleicht kommt er Sonnabend zum Turnier.