Neues Museum Lüneburg lässt Altardecke aus dem 14. Jahrhundert restaurieren. Schmuckstück ist ab Herbst zu sehen

Lüneburg. Wenn Ada Hilken Staub saugt, dann tut sie das nicht mit dem breiten Maul eines schnöden Elektrogeräts. Ada Hilken saugt mit einer millimetergroßen Pipette Staub: auf einem Altartuch aus dem Mittelalter. Mehr als 650 Jahre alt ist das in seiner Größe und Ausgestaltung einzigartige Stück gerade zur Überarbeitung in der Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover in Lüneburg.

Viele Fragen sind offen, wenn es um die Geschichte und den Zweck des bestickten Leinentuchs geht, einige aber auch beantwortet: Hergestellt worden ist es zwischen 1350 und 1380 im Kloster Heiligenthal, ein paar Kilometer westlich von Lüneburg. Als sich das Kloster während der Reformation auflöste, wanderte die Decke über Umwege des Hospitals zum Heiligen Graal in die Hände des Heiligengeisthospitals – 1896 dann ging es an das damalige Museum für das Fürstentum Lüneburg.

Das gibt es mittlerweile auch nicht mehr, und im Herbst soll das neue Museum Lüneburg eröffnen: Dort wird die Altardecke zu den spektakulärsten und eindrucksvollsten Objekten zählen – und gleichzeitig die Arbeit hinter den Kulissen von Museen und Restaurierungswerkstätten zeigen.

Denn der Clou an dem Projekt ist nicht nur, dass die Decke nach dem Mikro-Staubsaugen Millimeter für Millimeter strahlender aussehen wird als jetzt, dass Schadstellen beseitigt sind und sie für die Zukunft konserviert wird – sondern dass ein Lüneburger Filmteam die Arbeiten dokumentiert und gemeinsam mit den Museumsleuten Clips baut, die neben dem Objekt die Geschichte hinter dem Objekt zeigt. Die können als ganzer Film gesehen werden, aber auch einzeln – an starre Zeiten wird sich niemand halten müssen, wenn er etwas über den Hintergrund des Objekts erfahren will.

„Wir möchten nicht, dass die Besucher draufgucken, es nicht verstehen und weitergehen“, sagt Museumsdirektorin Dr. Heike Düselder. „Durch die Darstellung der Arbeit an dem Objekt möchten wir das Interesse wachsen lassen und auch seine Wertigkeit zeigen.“ Schließlich könne und wolle man von den Besuchern nicht von vornherein einen kunsthistorischen Hintergrund oder Wissen über Ikonografie erwarten, gleichzeitig aber auch die intensive Arbeit an solch wertvollen Stücken verdeutlichen.

Wertigkeit und Arbeit sind verdammt groß: Nicht nur, weil die Decke 4,50 Meter lang ist, sondern auch weil sie bunt und sehr detailreich in 38 Bildern das Leben Jesu von der Verkündigung an Maria bis zum Weltgericht zeigt, dürfte das uralte Stück nicht viele Verwandte haben. „In seiner Farbigkeit, Größe und Vielfalt ist es sehr einzigartig“, sagt Wiebke Haase von der Klosterkammer Hannover, die seit 1996 eine Restaurierungswerkstatt für historische Textilien im Kloster Lüne in Lüneburg betreibt und dort 15 Klöster und Stifte betreut. Die Konservierung sei daher ein sehr wichtiger Aspekt in dieser Zusammenarbeit zwischen Museum und Klosterkammer.

Üblicherweise sind Altardecken zu jener Zeit weiß gewesen, daher sind sich die Forscher auch gar nicht recht sicher, ob die Decke im Kloster Heiligenthal tatsächlich auf dem Altar gelegen hat oder doch auf andere Weise in der Kirche hing.

Im Museum soll sie später in einer beleuchteten Glasvitrine liegen, sodass die Besucher von drei Seiten um sie herumgehen und sie von oben betrachten – und die darauf dargestellte Geschichte lesen können.

Drei Monate, schätzt die beauftragte Hamburger Restauratorin Ada Hinkel, wird ihre Arbeit an dem historischen Leinenstück in Lüneburg dauern. „Ich füge nichts hinzu“, sagt die Spezialistin für mittelalterliche Textilien. „Ich sichere sämtliche Schadstellen, glätte Kanten, schließe Fehlstellen und erhalte es in seinem jetzigen Zustand.“ Die Seidenfäden färbt sie mit modernen chemischen Farbstoffen – wie das früher gemacht wurde, erfahren die Besucher dann im Museum.

Den Film über die Restaurierung drehen Heike und Harald Noeres von KulturEcken.tv. „Der Film holt das Tuch in die heutige Zeit“, sagt Harald Noeres. „Wir lassen leicht verständlich die Bilder sprechen.“

Der Film war es unter anderem, der Martin Aude von der VGH-Stiftung überzeugt hat, das 30.000 Euro teure Projekt als Hauptsponsor mitzufinanzieren – aus dem Museumsetat wäre das nicht möglich gewesen, betont Düselder. „Uns hat die filmische Dokumentation überzeugt“, sagt Aude. „Um Kunst und Kultur an Kinder und Jugendliche zu vermitteln, muss man neue Wege gehen.“

Und die Decke ist nicht das einzige Stück, das im Museum auf eine Restauration wartet, weiß Rolf Johannes vom Museumsverein. „Der Fundus ist riesig. An diesem Projekt ist wunderbar zu sehen, wie die Zusammenarbeit in der neu gestalteten Museumslandschaft in Lüneburg läuft. Es weht ein anderer Wind.“

Kurator Dr. Ulfert Tschirner kündigt derweil an, dass die Form der Vermittlung im neuen Museum nicht nur beim Altartuch auf mehr als ein Kärtchen neben dem Objekt setzt. „Wir erklären auch, wie die Grabungen der Stadtarchäologie laufen und zeigen: Im Museum geht die Geschichte der Objekte weiter. Wir zeigen immer wieder Blicke hinter die Kulissen der Museumsarbeit – auch das ist unsere Aufgabe.“

Der Neubau für das Museum Lüneburg liegt auf dem Weg zwischen Bahnhof und dem Platz Am Sande.