Im Ortsteil Borstel soll ein sogenannter Friedwald entstehen. In Jesteburg und Barendorf gibt es entsprechende Einrichtungen bereits
Winsen . Birken, Buchen und Eichen säumen den Neulandsweg. Wer auf der Allee spazieren geht, die Winsener Ortsteile Borstel und Sangenstedt miteinander verbindet, genießt einen weiten Blick über die Felder – und die Ruhe. Nur von fern ist das Rauschen der Lüneburger Straße zu hören. Nahe am Borsteler Ortsausgang stößt der Spaziergänger auf ein kleines Waldstück. Hier wünschen sich Winsener Bürger die Errichtung eines Fried- oder Ruhewalds. Das Bedürfnis nach einer Ruhestätte zu Füßen eines stattlichen alten Baums teilen sie mit einer steigenden Zahl von Menschen in Deutschland.
Alles fing 1997 im Nachbarland Schweiz an. „Das hatte mit einer wachsenden Natursehnsucht zu tun“, erläutert der Kulturanthropologe Professor Norbert Fischer. In der Schweiz entwickelte der Ingenieur Ueli Sauter das Konzept für festgelegte Waldflächen außerhalb von Friedhöfen. Die Urne mit der Asche wird im Wald auf einer dafür ausgewiesenen, frei zugänglichen Fläche am Fuß eines Baumes bestattet. Das Aschegefäß muss – wie auch auf Friedhöfen – aus biologisch abbaubarem Material bestehen. Am nächst gelegenen Baum kann ein kleines Holzschild mit dem Namen des Verstorbenen angebracht werden.
Grabschmuck oder die Pflege der Stätte sind weder nötig noch vorgesehen. Der Ort bleibt der Natur überlassen. In Deutschland herrscht laut Gesetz eigentlich der Friedhofszwang. Das heißt, Verstorbene oder die Asche der Toten dürfen nicht außerhalb von Friedhöfen bestattet werden. In anderen Ländern, etwa der Schweiz oder den USA, dürfen Angehörige die Urnen mit den Überresten ihrer Verwandten mitnehmen oder die Asche verstreuen.
Nachdem in der Schweiz aus dem Konzept auch ein Geschäft mit der eingetragenen Marke FriedWald wurde, setzte ein regelrechter „Bestattungstourismus“ in den Süden ein, so Fischer. „Daraufhin haben alle deutschen Bundesländer ihre Gesetze geändert und Baumbestattungen ermöglicht“, erzählt der Kulturanthropologe, der über die Sozialgeschichte der Friedhöfe in der Bundesrepublik promoviert wurde. Denn auch hierzulande wollten immer mehr Menschen naturnah bestattet werden. „Die Deutschen haben eine romantisch eingefärbte Sehnsucht nach dem Wald“, meint Fischer.
Bei Waldbestattungen verdienen die Forstbesitzer oder die Firmen, die die Flächen verwalten – bei Grablegungen auf Friedhöfen sind es außer den Bestattungsunternehmen die Steinmetze und Gärtner. Sie konkurrieren durch den aufgeweichten Friedhofszwang miteinander. So kommt auch in Winsen Kritik seitens der Gartenbauer, die meinen, dass den Hinterbliebenen im Wald ein Ort der Trauer fehle. Aufgrund geringerer Einnahmen sei künftig die Pflege der Friedhöfe und damit die Friedhofskultur gefährdet.
„Es gibt schon zwei Friedwälder, in Lohof-Jesteburg und in Barendorf in der Ostheide“, berichtet Erhard Schäfer, Ratsmitglied und Kreistagsabgeordneter der Grünen, „aber die sind für die Winsener zu weit entfernt.“ Deshalb unterstützt Schäfer den Wunsch nach einer ortsnahen Waldbestattung. Die Idee dazu hatte der Winsener Karl-Friedrich Hünecke. Gemeinsam stehen die beiden mit Ratsherr Peter Schneemann vor dem Waldstück, schauen auf eine Karte und beratschlagen sich. Ein Teil des Waldes ist in städtischer Hand, zwei weitere Gebiete sind privat. Hünecke, in eine feine, braune Steppjacke gewandet, die Brille hochgeschoben, lächelt verschmitzt unterm weißen Schnurrbart – dem ernsten Thema zum Trotz. „Seit sich die Mutter meiner Schwiegertochter vergangenes Jahr für eine Waldbestattung entschieden hat, sind auch meine Frau und ich begeistert“, erzählt der frühere Bauamtsangestellte.
Eine passende Waldfläche zu finden, ist gar nicht so einfach. Denn zum einen gehören die Areale oftmals Privatleuten, zum anderen muss das infrage kommende Gebiet laut einer Verwaltungsvorlage 15 Hektar groß sein. Deshalb kam Schäfer kam auf die Idee, Waldflächen zu suchen, die an einen bestehenden Friedhof angrenzen. Über die Eignung der städtischen Friedhöfe in Borstel und Luhdorf sowie des kirchlichen Totenackers der St.-Gertrud-Gemeinde in Pattensen wurde schon in den Winsener Ausschüssen diskutiert. Tatsächlich scheint der Wald am Borsteler Friedhof am geeignetsten.
Der 1,2 Hektar große Borsteler Friedhof liegt gleich neben dem Laubwald am Neulandsweg. Mit einem weißen Grablicht in der Hand besucht Ingrid Delny das Familiengrab. Im vergangenen Jahr ist ihr Mann verstorben. „Die Friedwald-Idee finde ich wunderbar“, sagt sie: „Man sucht sich zu Lebzeiten einen schönen Baum aus und wird später mitten in der Natur begraben.“ Delny hört von immer mehr anonymen Begräbnissen, davon, dass es keine Angehörigen mehr gibt, die die Gräber besuchen und pflegen. „So ein großes Grab macht viel Arbeit“, sagt sie aus Erfahrung.
Ratsherr Schäfer hofft, dass eine Waldbestattung in Borstel spätestens in zwei Jahren möglich sein wird – „optimistisch betrachtet.“