Bei der Absolventen- und Promotionsfeier der Technischen Universität Hamburg-Harburg erhalten 344 junge Akademiker ganz stilvoll ihre Urkunden. Jedes Jahr hat die Ingenieurschmiede insgesamt 1000 Absolventen.

Heimfeld. Mit dem sogenannten Doktorhut, der schwarzen Kappe mit dem flachen Viereck auf dem Scheitel, und einer roten, blauen oder purpurnen Schärpe um den Hals sind die Neu-Akademiker schnell zu erkennen. Bei weitem nicht an allen deutschen Universitäten tragen Absolventen diese Insignien, die uns aus amerikanischen Filmen so vertraut sind. An der international ausgerichteten Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) ist das Brauch. Bei der feierlichen Atmosphäre der Absolventen- und Promotionsfeier in der Friedrich-Ebert-Halle stellt selbst ein Elternpaar der sogenannten 68er-Generation ihre damals rebellische Haltung gegen jede Tradition infrage. Wenn sie heute darüber nachdächten, sagen Vater und Mutter eines Absolventen unisono, hätten sie sich ihre eigene Abschiedsfeier auch so gewünscht. So berührend können Tradition und Symbole sein.

Insgesamt 510 Absolventen mit den akademischen Graden Bachelor, Master und Diplom sowie 70 Doktoren hat die Technische Universität Hamburg-Harburg am Freitagabend in der Friedrich-Ebert-Halle geehrt. 315 Absolventen und 29 Doktoren letztlich haben die Zeit dafür gefunden, ihre Urkunde persönlich aus den Händen ihres Dekans entgegenzunehmen. Jeder wird einzeln aufgerufen. Insgesamt mehr als 1000 neue Ingenieure bringt die TUHH im Jahr hervor. Ein Viertel davon sind Frauen. Absolventen der TUHH kommen aus der ganzen Welt, zum Beispiel aus Afghanistan, Indien oder Taiwan.

Viele kämen auch aus Bayern, scherzt Garabed Antranikian in seiner Begrüßungsrede. Der TUHH-Präsident ist sichtlich gut gelaunt. Die jungen Ingenieure wollten die Probleme der Welt lösen, und das könne man nur in Hamburg. „Sie sehen die besten Ingenieure der Welt“, ruft Garabed Antranikian beschwingt den mehr als 1100 Menschen in der Ebert-Halle zu. In der launigen Übertreibung kommt auch ernsthaftes, bewusst nach außen getragenes Selbstbewusstsein der Technischen Universität zum Ausdruck.

„Don’t settle“, lautet ein Ratschlag des Präsidenten an die Absolventen. Ins Deutsche übersetzt heißt das soviel wie: „Bleiben Sie in Bewegung!“ Das mag geistig gemeint sein. Aber vor allem auch wörtlich: Ingenieure finden Arbeit in ganz Deutschland und überall auf der Welt. Der in Harburg lebende Maschinenbauingenieur Ulf Beckmann, 27, steht vor so einer Lebensentscheidung. Er zählt zu den letzten Absolventen, die ihr Studium als Diplomingenieur abgeschlossen. Er hat sich auf Schiffbau spezialisiert. Er werde auf einer Werft arbeiten, sagt Ulf Beckmann. Wo genau, entscheide sich in den nächsten Tagen.

Die 32 Jahre alte Svetlana Gämsa aus Bulgarien hat es in das 20.000-Einwohner-Städtchen Enger in Ostwestfalen verschlagen. Von dort ist sie mit ihrem Mann und den Kindern (3 und 6) angereist, um an der Feier teilzunehmen. In Enger entwickelt die Maschinenbauingenieurin Lösungen für den Verpackungsmaschinenhersteller Multivac. „Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, Maschinenbau zu studieren“, sagt Svetlana Gämsa. Sie trägt eine blaue Schärpe. Das ist die Farbe für die Master- und Diplom-Absolventen. Die Doktoren tragen purpur, die Absolventen mit dem untersten akademischen Grad, dem Bachelor of Science, rot. Schärpe und Doktorhut können sich die Absolventen zur Feier leihen oder auf Wunsch auf kaufen. 70 Euro kosten die Würdezeichen.

Ein Bachelor of Science bleibt der Universität in der Regel erhalten. Der Bachor ist der erste akademische Grad eines meist gestuften Studiums. Der 24 Jahre alte Paavo Hilber hat den Bachelor in Energie- und Umwelttechnik erworben. Jetzt studiert er in Harburg in dem Studiengang Regenerative Energien weiter. Der Masterstudiengang ist neu an der TUHH. Paavo Hilber zählt zu den ersten Studierenden, erhält Praxis bei dem Unternehmen Vattenfall Windkraft. Lino Jorzick, 24, hat zunächst Elektronik studiert und spezialisiert sich mittlerweile auf Informations- und Medientechnologien.

Dank einer ausgeklügelten Sitzordnung und Zeremonieorganisation, wie sie wohl nur Naturwissenschaftler entwickeln können, dauert die Verleihung der Urkunden an 344 Absolventen und Doktoren nur etwa eine Stunde. Dabei wird jeder sogar noch einzeln im Porträt fotografiert. Während die jungen Akademiker ihre Urkunden und ein Geschenk, eine Kaffeetasse mit TUHH-Motiv, erhalten, baut ein Cateringservice im Foyer das Büffet auf: Spicy-Mini-Tuna-Clubsalat-Sandwiches gibt es. Oder auch gebackene Falafel mit Joghurt-Minzdip und orientalischem Krautsalat. So isst die akademische Elite heute.

„Wer nicht feiert, kann auch nicht gut studieren“, hat Präsident Antranikian den Absolventen noch als Weisheit mitgegeben. Die Feier in der Friedrich-Ebert-Halle endet gegen 23 Uhr. Svetlana Gämsa fährt mit dem Auto ins Städtchen Enger zurück: Die drei und sechs Jahre alten Kinder müssen zu Bett. Für die meisten Absolventen dagegen ist aber längst noch nicht Schluss. „Wir gehen noch Cocktails trinken in der 20up-Bar am Hamburger Hafen“, macht Robin Hübner, klar, dass die Nacht noch lang wird. Der 23-Jährige studiert Internationales Wirtschaftsingenieurwesen.

Während es die einen also in das Hamburger Amüsierviertel St. Pauli treibt, feiert Lino Jorzick gerne in Harburg. Er ist aus Blankenese in den Stadtteil der Technischen Universität gezogen. Der 24-Jährige erklärt, warum trotz 6400 Studierender an der Technischen Universität trotzdem kein Studentenleben in Harburg sichtbar ist: „Hier ist es gute Tradition, dass man in den Studenten-Wohngemeinschaften feiert.“