Der Sunderhof vor den Toren Hamburgs gibt seinen Tagungen Zunder und baut ein Tipi für Seminare. Am Lagerfeuer entdecken Manager bei dem Personaltrainer Deed Knerr ihre emotionalen Fähigkeiten
Emmelndorf Dass der „wilde, wilde Westen“ gleich hinter Hamburg anfängt, ist spätestens seit dem Hit der Band Truckstop keine neue Erkenntnis mehr. Gemeint haben die Musiker sich selbst, die Cowboys von der Waterkant und ihr Studio in Maschen. Unweit der Cowboy-Siedlung scheinen jetzt Indianer ein Stück Wald erobert zu haben. Ein neun Meter hohes Tipi steht vor der Emmelndorfer Waldkulisse. Die Indianer-Romantik nahe des Hittfelder Golfplatzes ist aber Teil eines modernen Phänomens: Ereignis-Seminare für Führungskräfte. Am Lagerfeuer im Indianerzelt will der Ramelsloher Personalcoach und Schauspieler Deed Knerr ausgebrannten Managern zu neuen Kräften verhelfen oder die Mitarbeiter von Projektteams zusammenschweißen.
Mit dem Tipi hat sich das Tagungs- und Gästehaus Sunderhof seinen zwölften und bisher ungewöhnlichsten Seminarraum geschaffen. Bis zu 30 Menschen finden in dem Indianerzelt Platz. Es steht im Freien unmittelbar vor dem Wald. Die Tagungsstätte bietet damit Winnetou-Romantik in bester Karl-May-Nostalgie. Diese Kulisse bespielt das Heyoka-Institut des Personaltrainers und Schauspielers Deed Knerr.
Am 28. November eröffnen Sunderhof-Geschäftsführer Walter Ihler und sein Geschäftspartner Deed Knerr das Tagungstipi mit einem Thanksgiving-Essen am Lagerfeuer. Aus Vermarktungsgründen haben die Tipi-Bauer die Einweihung bewusst auf den Thanksgiving-Day, dem wichtigsten amerikanischen Familienfest, gelegt. Deshalb beginnt die Saison der folkloristischen Outdoor-Tagungsstätte im nasskalten November.
In dem meist ungemütlichsten aller Monate dürfte sich die erhoffte Wirkung der Tipi-Romantik besonders spürbar entfalten. Den eigentlich steht nicht die Indianer-Wohnkulisse im Vordergrund: In dem Theater für Manager ist das Lagerfeuer der Star. „Der Effekt im Tipi ist das Feuer“, erklärt Deed Knerr. Das prasselnde Lagerfeuer übe auf jeden Menschen eine ganz besondere Wirkung aus. Eine tiefe Ruhe entstehe dabei. Nicht selten enden Tagungen mit einem gemütlichen Grillabend. Diese Atmosphäre habe man im Tipi schon während der Tagung, sagt Walter Ihler, wenn Führungskräfte in Decken gehüllt am Feuer sitzen und Suppe aus einem Topf schöpfen.
Die aus dem Büro bekannten Hierarchien verschwänden, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter am Feuer auf Strohballen und damit auf Augenhöhe sitzen. „Gesprächspausen werden nicht peinlich. Man kann ins Feuer blicken, den Funken hinterherschauen“, nennt Deed Knerr die Kommunikation fördernde Wirkung des Lagerfeuers. Unternehmen könnten so ihren Tagungen Zunder geben.
In der heutigen Wirtschaftswissenschaft gilt das sogenannte Humankapital ebenso als ein Produktionsfaktor wie physisches Kapital. Unternehmer und Wissenschaftler haben erkannt, dass die Gesundheit der Mitarbeiter oder die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen die Produktivität steigern. Einfach gesagt: Zufriedene und gesunde Mitarbeiter sind leistungsfähiger. Seitdem gehört es zu einer modernen Unternehmenskultur, dass Führungskräfte in Seminaren ihre sozialen Fähigkeiten schulen oder erst entdecken. Keine Idee dazu erscheint zu verrückt: Manager gehen barfuß über Glasscherben oder ganze Abteilungen kraxeln in Hochseilgärten. „Ich habe schon Manager weinen sehen, weil Mitarbeiter sie mit den Händen aufgefangen haben“, sagt Deed Knerr.
20.000 Teilnehmer im Jahr kommen bisher zu Tagungen auf dem Sunderhof zusammen. In dem Tipi sollen jetzt erschöpfte Manager lernen, den Stress zu bewältigen, oder Mitarbeiter zueinander finden. „Wir bearbeiten die Widerstände, die in einem Team herrschen, und formen ein Ensemble daraus“, sagt Deed Knerr. Der Schauspieler wendet dazu Methoden aus dem Theatertraining an. Der Coach lässt hartgesottene Manager viel spielen. „Wenn die Leute miteinander spielen und lachen, dann passiert viel mit ihnen“, sagt er.
Deed Knerr begann 1985 mit Straßentheater, das auf Improvisation und Komik beruhte. Dazu passt sein ungewöhnlicher Vorname. Eigentlich heißt er Dieter. Aber eine Freundin verpasste ihm den Namen „Deed“, weil er einen amerikanischen Freund namens „Piet“ hatte. Das war vor 40 Jahren, und der Rufname ist geblieben. Deed Knerr entwickelte seine Bühne zu einem Unternehmenstheater fort, brachte künstlerische Tätigkeit und Personaltraining zusammen.
Improvisation und ein Hauch Indianerspiel war auch beim Aufbau des Tipis gefragt. Knapp fünf Stunden haben fünf Bleichgesichter damit verbracht, insgesamt 20 jeweils neun Meter lange Fichtenholzstangen und eine riesige Plane aus kräftigem Baumwollmischgewebe zu einem Indianerzelt aufzubauen. „Wir hatten eine Aufbauanleitung auf Video, aber ohne Ton“, sagt Deed Knerr. So sei der Aufbau nach der Methode Versuch und Fehler erfolgt. Mittlerweile steht das Tipi in der Emmelndorfer Prärie – so fest wie ein Sioux im Sattel sitzt.
Der Hersteller des Indianerzeltes meint, dass Tipis gut nach Deutschland passen: „So unähnlich ist die deutsche Landschaft der amerikanischen Prärie zudem nicht“, heißt es in einer schriftlichen Aufbauanleitung. In der Regel sollen Manager nicht in dem Tipi übernachten, in Ausnahmen seien Nachtseminare aber möglich. Obwohl die Hände nach fünf Stunden Aufbauarbeit mit Baumharz verklebt sind, scheint Deed Knerr von der Indianer-Romantik überwältigt: „Zu Weihnachten“, sagt er, „werde ich in dem Tipi übernachten.“