Der spanische Künstler Santiago Sierra ist für seine provokanten Performances weltweit bekannt. Die Sammlung Falckenberg in Harburg zeigt beim Kulturtag mehrere Arbeiten des 1966 geborenen Künstlers.
Harburg. Auf den ersten Blick könnte man glatt meinen, jemand hätte vergessen aufzuräumen. Etliche lange, schwarze Gummischläuche zieren den Fußboden der Sammlung Falckenberg | Deichtorhallen Hamburg. Tatsächlich handelt es sich dabei um die Überreste von einer der provokantesten Arbeiten des spanischen Künstlers Santiago Sierra. Als er 2006 gebeten wurde in der Synagoge in Pulheim bei Köln eine Arbeit in Gedenken an die Opfer des Holocausts zu installieren, leitete Sierra mit jenen Gummischläuchen Autoabgase in das innere der Synagoge. „Es wurde genug Kohlenmonoxid eingeleitet, um eine Person innerhalb einer halben Stunde umzubringen“, erklärt Isabel Abele, die seit März für die Kulturelle Bildung der Deichtorhallen zuständig ist und die Führungen durch die Sammlung betreut. „Für die Installation bekam Sierra viel Kritik, so dass sie vorzeitig beendet wurde.“
Ähnlich polarisierend wie diese Arbeit mit dem Titel „245m3“ ist fast alles, was der 1966 in Madrid geborene Künstler macht. Sozialkritik und Kapitalismuskritik prägen sein Schaffen, für seine provokanten Performances ist er weltweit bekannt. Die Deichtorhallen Hamburg zeigen in der Sammlung Falckenberg in den Phoenix-Fabrikhallen noch bis zum 12. Januar 2014 den bislang größten, retrospektiven Überblick über das skulpturale, fotografische und filmische Werk des Spaniers und Besucher des Harburger Kulturtages dürfen sich auf seine Sonderöffnung freuen: Am 26. Oktober öffnet das Ausstellungshaus zwischen 12 und 17 Uhr seine Türen.
„Normalerweise ist die Sammlung ja nur im Rahmen von Führungen zu sehen, von denen wir sieben pro Woche anbieten“, sagt Isabel Abele. Sie müssen vorab gebucht werden und kosten 15 Euro. „Das Besondere beim Kulturtag ist, dass die Besucher sich in der Ausstellung frei bewegen können.“ Der Eintritt ist selbstverständlich kostenlos. Weil man von Sierras Werk allerdings nicht gerade behaupten kann, dass es leicht zugänglich wäre, bietet die Sammlung Falckenberg zu jeder vollen Stunde kurze Führungen an, die einen ersten Einblick in die Ausstellung geben sollen.
Zu erzählen und erklären gibt es wahrlich einiges. Die von Dirk Luckow kuratierte Ausstellung umfasst nämlich mehr als 70 Arbeiten Sierras, die gesellschaftliche Missstände kritisieren und deren radikale Formsprache vom Minimalismus und der Konzeptkunst geprägt ist. Imposant ist beispielsweise die Arbeit mit dem pragmatischen Titel „Wort von 350 cm Höhe und 120 cm Breite“. „Klassenkampf“ prangern die übergroßen Buchstaben an. „Sierra hat diese Installation 2004 für eine Kirche in Lucca angefertigt“, erläutert Abele. „Durch die Scheinwerfer, mit denen sie angestrahlt wird, sind die Schatten noch größer als die eigentlichen Buchstaben.“
Bei den meisten der ausgestellten Werke handelt es sich um Relikte von Performances, die anhand von Texten und Fotos erklärt werden. Für die Arbeit „3000 Löcher von je 180 x 180 cm“ zum Beispiel ließ Sierra an der marokkanischen Küste von afrikanischen Tagelöhnern 3000 rechtwinklige Löcher graben. Der Vorarbeiter war Spanier und gezahlt wurde den Tagelöhnern der von den spanischen Behörden festgesetzte Lohn von 54 Euro für acht Stunden. „Dafür, dass Sierra für seine Werke mit Niedriglohnarbeitern arbeitet, wird er oft kritisiert“, so Abele. „Aber Sierra kommt selbst aus der Arbeiterschicht.“ Er bilde in seinen Arbeiten lediglich die Realität ab, argumentiert der spanische Künstler. „Wer sich mit seinen Arbeiten befasst“, so Abele, „muss sich zwangsläufig irgendwann selbst positionieren.“
Neben der Sonderausstellung von Santiago Sierra, die rund 75 Prozent der 6000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche belegt, steht den Besuchern am Kulturtag selbstverständlich auch der Rest des Hauses offen. Die von dem Juristen und Unternehmer Harald Falckenberg zusammengetragene Sammlung, die seit 2001 in der ehemaligen Fabrikhalle zu sehen sind, umfasst Moderne und zeitgenössische Kunst. Von der Fachzeitschrift Artnews wurde die Sammlung zu einer der 200 Besten der Welt gezählt. Isabel Abele betrachtet den Kulturtag als Chance diese bemerkenswerte Sammlung einem breiteren Publikum zu präsentieren. „Die Harburger scheinen tatsächlich noch Hemmungen zu haben zu uns zu kommen“, sagt sie. „Die meisten Besucher kommen aus der Innenstadt. Es wäre schön, wenn wir in Zukunft auch mehr Harburger begeistern könnten.“
Harburger Kulturtag am 26. Oktober 2013: Sammlung Falckenberg | Deichtorhallen Hamburg, Phoenix-Fabrikhallen, Wilstorfer Straße 71, Tor 2. Sonderöffnung der Sammlung von 12 bis 17 Uhr mit stündlichen Einführungen in die Ausstellung des Künstlers Santiago Sierra. www.sammlung-falckenberg.de