Die Niedersächsische Landesregierung in Hannover will ihr Koalitionsversprechen einlösen und alte Bahnstrecken für den Personennahverkehr reaktivieren.
Harburg/Buchholz/Jesteburg. Pendler aus dem Landkreis Harburg haben es selten leicht: Entweder stehen sie morgens und nachmittags mit ihrem Auto im Stau, oder sie sitzen und stehen beengt im übervollen Metronom-Zug. Die Anwohner stark befahrener Verkehrswege wie etwa der Winsener Straße stöhnen über Lärm und Abgase vor ihrer Haustür.
Entlastung soll zukünftig die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken bringen. Die Harburger Grünen sowie ihre Kollegen im Landkreis setzen ihre Hoffnungen auf die Wiederbelebung der Strecke Buchholz – Jesteburg – Harburg über Maschen. Pendler aus dem Raum Jesteburg bräuchten dann nicht erst mit Bus oder Auto nach Buchholz zu fahren, um von dort in den Metronom-Zug Richtung Hamburg zu steigen.
„Die Strecke über Jesteburg wurde in den 1970er-Jahren noch befahren, dann aber eingestellt“, erinnert sich Kay Wolkau, Fraktionschef der Grünen in der Bezirksversammlung Harburg. Seine Hoffnung: „Die wiederbelebte Bahntrasse könnte dazu beitragen, den Autoverkehr auf der Bremer und der Winsener Straße zu reduzieren.“
Auch Klaus Steinfatt vom Fahrgastbeirat des Landkreises Harburg kann sich für eine Wiedereröffnung der Strecke, die derzeit nur für Gütertransporte genutzt wird, erwärmen: „Die Reaktivierung alter Bahntrassen ist derzeit ein ganz heißes Thema in Niedersachsen. Andere Regionen sind da schon viel weiter.“ Auch für Pendler aus Maschen oder Ramelsloh wäre so eine Verbindung nützlich, so der Verkehrsexperte.
Das Thema bewegt auch Hans-Heinrich Höper, Bürgermeister der Samtgemeinde Jesteburg mit rund 11.000 Einwohnern. „Seit Jahren versuchen die Jesteburger, wieder einen schienengebundenen Personenverkehr zu bekommen. Wir hatten immer wieder Kontakt zur Landesnahverkehrsgesellschaft aufgenommen, aber stets eine abschlägige Antwort bekommen.“ Doch mit dem Amtsantritt der rot-grünen Landesregierung zum Jahresbeginn 2013 bewegt sich offenbar auch die dem Wirtschaftsministerium unterstellte Landesnahverkehrsgesellschaft. Diese hat den Auftrag vom Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) bekommen, 58 stillgelegte Bahntrassen einer mehrstufigen Prüfung zu unterziehen, um zu klären, welche von diesen reaktiviert werden könnten. Lediglich sechs bis acht Alt-Strecken sollen letztendlich wiedereröffnet werden.
Ende 2014 ist mit einer Entscheidung zu rechnen. Doch nicht alle teilen den Optimismus der Reaktivierungs-Befürworter. Es gibt auch kritische Stimmen. „Wir sind da etwas zurückhaltender und wollen erstmal fachkundige Informationen einholen“, erklärte Ralf-Dieter Fischer, CDU-Fraktionschef in der Harburger Bezirksversammlung. „Wir wollen wissen, unter welchen Rahmenbedingungen das stattfinden soll und zu welchen Kosten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die neue Bahnstrecke auch dem HVV eingegliedert werden soll.“
Skepsis auch bei der örtlichen SPD. Der Bürgerschaftsabgeordnete Frank Wiesner kann „die Euphorie der Grünen nicht so ganz teilen“. Er glaube nicht, „dass durch eine Verlängerung der Heidebahn bis nach Harburg die Winsener Straße deutlich entlastet wird“. Wiesner setzt vielmehr „auf einen Ausbau des S-Bahnverkehrs von Harburg nach Lüneburg und Tostedt“. Dicht bebaute Stadtteile wie an der Baererstraße, der Winsener Straße (Nord) und Reeseberg könnten dadurch ans Schnellbahnnetz angebunden werden. Das Projekt eines S-Bahnausbaus hält auch Hans-Heinrich Aldag für realistisch. Aldag ist CDU-Fraktionschef im Kreistag in Winsen/Luhe und als Jesteburger auch für die Wiederbelebung der alten Trasse. „Wir fänden es schön, wenn die Strecke über Jesteburg in den Fokus rücken würde, sind aber skeptisch, ob das zum Erfolg führen wird.“
Berufspendler aus Jesteburg zeigen sich erfreut über eine mögliche Wiederanbindung ihrer Gemeinde ans Schienennetz. „Das fände ich sehr gut, zumal die Schienen ja da sind, und es früher noch einen Bahnhof gab“, sagt Brigitte Palaschinski aus Jesteburg. „Ich muss regelmäßig zur Arbeit nach Hamburg, fahre mit dem Bus nach Buchholz und von dort aus mit dem Metronom nach Hamburg“, so die Psychologin.
Auch die Studentin Lina Frommann, ebenfalls aus Jesteburg, wäre angetan von der neuen Bahnverbindung: „Ich fahre täglich mit dem Zug von Buchholz nach Hamburg. Aber die Busverbindung von Jesteburg nach Buchholz passt zeitlich nicht zu den Anschlusszügen.“ Ganz andere Sorgen hat da Monica Wondra (47) aus Vahlde bei Rotenburg an der Wümme.
Auch sie muss „täglich nach Hamburg“, sagt die Mediengestalterin, die eine Weiterbildung absolviert. „Das kostet mich im Monat 224 Euro für die Monatskarte, weil unser Ort weder zum Verkehrsverbund von Hamburg noch dem von Bremen angehört“, sagt Minica Wondra.