Bärbel Rutterschmidt lebt und arbeitet rund um die Eißendorfer Straße. Mitten unter Freunden und Nachbarn
Eißendorf. „Ich muss hier mal eben meinen Kopf reinstecken.“ Tatsächlich verschwindet die gesamte quirlige Frau in der Tür, um gleich darauf wieder aufzutauchen. „Ich habe nur eben einen Termin für die Fußpflege vereinbart, da kann ich gleich noch hin.“ Bärbel Rutterschmidt ist unterwegs in ihrem Quartier. Entlang der Eißendorfer Straße. Hier kennt sie alle – na ja, fast alle. Und alle kennen sie – na ja, fast alle. Gerade waren wir frühstücken. Auch an der Eißendorfer Straße. Bei ihrem Bruder.
Konditorei und Bäckerei Janeke. Wir sitzen gemütlich in der Ecke, die Glasplatte des Tischs liegt über vielen hundert Kaffebohnen. Bärbel Rutterschmidt trinkt schwarzen Tee und hat sich ein Franzbrötchen mit Streuseln bestellt. Ihre Nichte Franziska umsorgt uns. „Diese Franzbrötchen haben wir auch bei uns im Kiosk“, sagt Bärbel Rutterschmidt. „Die kommen selbstverständlich von meinen Bruder. Der versorgt uns mit Backwaren.“ Klar.
Diese dörfliche Nähe ist nicht irgendwo auf dem Land, in Handeloh oder Todtshorn. Das ist Eißendorf, mitten im Bezirk Harburg. „Es ist aber wirklich wie auf dem Dorf. Ich bin hier aufgewachsen und geblieben. Wir leben hier noch mit drei Generationen in diesem Quartier, es passt alles“, sagt Bärbel Rutterschmidt. Das hat was von „Lindenstraße“. Sie lacht: „Die gucke ich jeden Sonntag.“
Seit 1962 lebt sie im Quartier. „Wir kamen aus Neuland, da sind wir damals bei der großen Sturmflut abgesoffen“, erzählt Bärbel Rutterschmidt und nippt an ihrem Tee. Auf dem Dach ihres Elternhauses haben sie in jener schicksalhaften Februarnacht gesessen und wurden von einem Hubschrauber der Bundeswehr gerettet. Vier Jahre war sie damals alt. „Von der kleinen Abfindung für unser Haus haben sich meine Eltern dann den Kiosk gekauft.“ Seitdem ist Eißendorf Heimat.
Den Kiosk hat sie mit 24 Jahren übernommen. Gemeinsam mit ihrem Mann Peter führt sie das Geschäft seit 1981. Bei Rutterschmidts kann jeder nachvollziehen, was der Begriff Frühstück eigentlich aussagt. „Bei uns geht es tatsächlich früh los. Wir stehen um Viertel vor sechs auf und frühstücken. Nicht viel, ein Marmeladenbrötchen, etwas Käse, mehr nicht. Mein Mann ist dann ab halb sieben im Geschäft“, sagt Bärbel Rutterschmidt, die etwas später losgeht.
Warum? – das wird schnell klar: Lächelnd zieht sie ein Tagebuch aus ihrer Handtasche. „Unverzichtbar beim Frühstück“, sagt Bärbel Rutterschmidt. Jeden Morgen schreibt sie auf, was vom Tag zuvor übrig ist. „Ich habe damit angefangen, als ich mit unserer Tochter Pia schwanger war. Ich wusste so wenig über meine Eltern und deren Leben, das sollte für Pia anders sein.“ So fing es an, vor 30 Jahren. „Jetzt, wo Pia erwachsen ist, hat sich der Blickwinkel etwas verändert. Jetzt schreibe ich mehr über mich auf. Schreiben ist mir wichtig. Wenn ich nicht ins Tagebuch schreibe, dann schreibe ich meiner Brieffreundin oder ein paar Zeilen für jemanden aus der Nachbarschaft, der gerade im Krankenhaus ist.“
Dann wird gelaufen, auch im Quartier. Kaum vorstellbar, dass sie überhaupt zum Laufen kommt und nicht ständig zum klönen stehen bleiben muss. „Beim laufen winke ich nur“, sagt sie lachend. „So wild ist es auch nicht. Ich habe jedenfalls noch nie vom Winken einen Krampf im Arm gehabt.“
Anschließend geht es rüber zu Peter ins Geschäft. „Wir haben uns das ein wenig aufgeteilt und machen ja auch eine Mittagspause, von 13 Uhr bis 14.30 Uhr“, sagt die Chefin. Dann wird gekocht und gegessen, anschließend ein wenig Ruhe. „Am Nachmittag geht es mit Volldampf nochmal bis 18 Uhr“, sagt Bärbel Rutterschmidt. Woche für Woche, Jahr für Jahr, mit nur einer Woche Ferien im Jahr. Dann hilft Pia aus und steht im Laden.
Macht das immer noch Spaß? „Ja“, ist die eindeutige Antwort und die Augen leuchten dabei. „Wir sind hier eine tolle Gemeinschaft in der Straße. Hier hat jedes Kind noch drei oder vier Anlaufstationen, wo es mal hin kann. Und durch das Geschäft bekommen wir auch mit, wenn es jemandem mal nicht gut geht“, sagt Bärbel Rutterschmidt. Und dann wird sich gekümmert.
Doch manchmal klappt das sogar in Eißendorf nicht: „Da war mal ein älterer Mann, der kam immer, um sich eine Schachtel Eckstein zu kaufen. Er war sehr verschlossen. Einmal bin ich hinter dem Tresen in Trippelschritten gegangen, habe mich dabei immer kleiner gemacht und gesagt, ich müsse mal eben in den Keller und die Eckstein holen. Da schaute er über den Tresen und hat gelacht. Ich auch, wir haben Tränen gelacht. Von da an war es anders. Irgendwann kam er nicht mehr. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.“