Digitales Lesen: 30 Bücherhallen der Region haben sich zu einem Portal vernetzt. Mehr als 4000 Nutzer sind bei der Internet-Bücherei NBib24 registriert.
Lüneburg. Wenn Anika Wolski im Bett ein Buch liest, ist das aus Papier. Wenn sie das in der Bahn tut, ist es aus Kunststoff: Dann packt sie ihren schmalen schwarzen Ebook-Reader in den Rucksack anstatt dicke Schmöker herumzuschleppen. "Der braucht viel weniger Platz und ist leichter", lautet die einfache Erklärung, warum die Studentin vor einem Jahr umgestiegen ist. Die Hamburgerin liegt mit ihrer Entscheidung voll im Trend.
Anika Wolski, 23, ist eine von Tausenden. Mehr als 4000 Nutzer sind bei der Internet-Bücherei NBib24 registriert. Etwa 30 kleinere und mittlere Bibliotheken aus ganz Niedersachsen haben sich im sogenannten Onleihe-Portal zusammengetan, um gemeinsam elektronische Medien zu verleihen: Zeitungen und Zeitschriften, Videos, Hörbücher, Lesebücher - alles mit einem "e" davor, alles digital.
Mehr als 100.000-mal haben die Leser im vergangenen Jahr auf den Button "ausleihen" geklickt, das ist nahezu doppelt so häufig wie im Jahr davor. Seit 2009 haben sich die Zahlen mehr als verfünffacht.
Eine der Bibliotheken, die seit Beginn dabei sind, ist die Ratsbücherei Lüneburg. Sie besteht seit dem Jahr, in ihrem auf 15 Grad temperierten Kreuzgang lagern handgeschriebene Schätze aus Gold und Farbe auf Pergament, die 600 Jahre alt sind - so alt wie die Backsteinmauern des einstigen Klosters um sie herum. Die Ratsbücherei gehört zu den ältesten Bibliotheken Deutschlands überhaupt. Und gleichzeitig zu den modernsten.
Der Schritt vom Lesen auf Papier zum Lesen auf Kunststoff, vom Analogen zum Digitalen, ist auch für eine altehrwürdige Institution notwendig, sagt Dr. Thomas Lux, Leiter der Lüneburger Ratsbücherei und des Stadtarchivs. "Auch wenn es noch so abgedroschen klingt: Wir verbinden Tradition und Moderne. Bei dem Versuch, das Haus zu modernisieren und am Ball zu bleiben, ist die Onleihe eine strukturell notwendige Ergänzung. Nur so können wir unseren Auftrag weiter erfüllen."
Nutzerfreundlicher geht es auch kaum: Schließlich müssen die Leser nicht einmal mehr die Türklinke der Bücherei herunterdrücken, sondern brauchen nur den Schalter am Computer auf "on" zu stellen. Das geht von überall. Lüneburgs Büchereichef erzählt von Adressen in Halle, Essen, Mannheim und Kolumbien, die auf den virtuellen Leseausweisen der Bibliothek stehen. "Zugegeben, es sind Freunde und Bekannte von mir, bei denen ich für unser System geworben habe. Aber dennoch: Dadurch, dass wir jetzt ins Wohnzimmer unserer Leser kommen und nicht mehr nur umgekehrt, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten. Wir befinden uns in einem Prozess des Mentalitätswandels." Fünf Prozent des jeweiligen Einkaufsetats fließen aus den Mitgliedsbibliotheken in die gemeinsame Onleihe von NBib24, davon schafft die Büchereizentrale Niedersachsen Medien an und lektoriert sie. Mehr als 6000 Sachmedien und Ratgeber, mehr als 5000 zum Thema Schule und Lernen, rund 2500 im Bereich Belletristik, 1600 für Kinder und Jugendliche sind im Angebot. Die notwendigen Lesegeräte verleiht die Ratsbücherei Lüneburg gleich mit. Elf solcher Ebook-Reader sind im Bestand, der Großteil davon ist permanent ausgeliehen. Erlaubt sind drei Wochen, damit die Kunden das Lesen auf Kunststoff ausprobieren können - ein Ausweis für 20 Euro im Jahr reicht.
"Im Extremfall reicht es, wenn ein Leser einmal kommt, um den Ausweis zu beantragen", sagt Thomas Lux. "Danach kann er auf der Karibikinsel übers Internet seine Bücher ausleihen und auf den Reader laden." Ob seine Bücherei mit dem virtuellen Angebot ganz neue Leserschichten erreicht, kann der Leiter schwer einschätzen. Er denkt, dass es sich eher um Umschichtungen handelt. Das Standardklientel ist Mitte 40 und weiblich. "Die probieren das dann auch aus", sagt Lux, dessen Frau (51) und Tochter (26) auch einen Ebook-Reader zum ständigen Begleiter gemacht haben. Ein Nebeneffekt neben Platz und Gewicht sei zudem die Möglichkeit, die Schriftgröße einstellen zu können. "Damit wird die Technik auch für Ältere interessant."
Anita Wolski hat es mit dem Ebook ihrem Vater nachgetan: Der hat sich schon vor anderthalb Jahren einen zugelegt. Außerdem muss die 21-Jährige schon aus beruflichen Gründen am Ball bleiben: Sie studiert Bibliotheks- und Informationsmanagement und jobbt in der Lüneburger Bücherei.