Die Bewohner der Albert-Schweitzer-Straße in Winsen leiden unter Sanierungsstau. Die Eigentümerin ist insolvent. “Auch im Badezimmer und im Kinderzimmer haben wir Schimmel“, sagt eine Hausfrau.
Winsen. Betrübt schaut Mehtap Yagan, 30, auf die Wand in ihrem Schlafzimmer. Ein gut ein Quadratmeter großer schwarzer Fleck bedeckt die Tapete. Es ist Schimmel. "Auch im Badezimmer und im Kinderzimmer haben wir Schimmel", sagt die Hausfrau. "Wir haben schon zweimal übergestrichen, aber der Schimmel kommt immer wieder." Sorgen macht sich die Mutter dreier Kinder um ihren Säugling Lorin, 10 Monate alt. "Die Kleine hat seit der Geburt eine verstopfte Nase. Vielleicht kommt das von den vielen Schimmelsporen in unserer Wohnung."
Mehtap Yagan wohnt mit ihrem Mann Fikret, 35, Lorin, Fatanur, 10, und Baran, 9, in einer Dreizimmer-Wohnung im Albert-Schweitzer-Viertel in Winsen, einer Siedlung aus den 1970er-Jahren, umgeben von Einfamilien- und Reihenhäusern. Seit zwei Jahren bemüht sie sich um eine neue Wohnung - ohne Erfolg. "Wer eine Adresse im Albert-Schweitzer-Viertel hat und eine Wohnung auf dem Wohnungsmarkt sucht, der hat kaum eine Chance", sagt der Quartiersmanager der Anlage, der Diplom-Sozialpädagoge Sven Dunker, 46. Jugendliche mit der Adresse Albert-Schweitzer-Straße oder Einsteinstraße haben auch große Probleme, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Im Albert-Schweitzer-Viertel leben 500 Menschen in 189 Wohneinheiten. 43 Prozent der Bewohner sind unter 25 Jahre alt. Ein Großteil der Bewohner lebt von Transfer- und Sozialleistungen. Die Kriminalitätsrate in der Siedlung ist um das Vierfache höher als im Winsener Durchschnitt. 80 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund, viele kommen aus dem Libanon, Russland, der Türkei. Auch viele Tamilen und Menschen aus Ghana und Togo leben im Viertel.
Die Eigentümerin des Albert-Schweitzer-Viertels ist die Capricornus GmbH & Co. Norddeutsche Wohnanlagen KG mit Sitz in der Krausenstraße 8 in Berlin. Sie lässt das Viertel seit Jahren systematisch verfallen. Und daran wird sich vorerst nichts ändern: Denn die Capricornus ist pleite. Nach Informationen des Hamburger Abendblattes hat das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg am Mittwoch, 8. Mai, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Capricornus angeordnet. Insolvenzverwalter ist der Potsdamer Anwalt Christian Graf Brockdorff.
Auch die Stadt Winsen ist Gläubiger in diesem Insolvenzverfahren. Denn sie hat im September vergangenen Jahres ein sogenanntes Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot gegen die Capricornus verhängt. Danach soll das Unternehmen fällige Arbeiten im Umfang von 1,942 Millionen im Albert-Schweitzer-Viertel vornehmen. Die Stadt hat die "sofortige Vollziehung" angeordnet.
Auch daraus wird vorerst nichts. Denn die Capricornus hat gegen das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht Lüneburg ein Eilverfahren gegen die sofortige Vollziehung angestrengt sowie eine Klage eingereicht.
Diese beiden Verfahren ruhen aber derzeit beim Verwaltungsgericht Lüneburg. "Urteile wird es vorläufig auch nicht geben, da wir erst das Insolvenzverfahren abwarten müssen - das kann leider Jahre dauern", sagt Winsens Stadtsprecher Theodor Peters.
In dem Gebotsschreiben an die Capricornus, das dem Hamburger Abendblatt vorliegt, hatte Bürgermeister André Wiese Missstände moniert, "die vor allem daraus resultieren, dass die Gebäude seit Jahrzehnten nur minimal instand gesetzt und überhaupt nicht modernisiert worden sind. Die technischen Anlagen sind überaltert und bedürfen dringend der Erneuerung. Heizung und Warmwasserbereitung versagen immer wieder und nachhaltig ihren Dienst. Die Wohnungen sind vielfach von Schimmel befallen. Auch im Übrigen genügen sie nicht den heutigen Baustandards und bieten keine gesunden Lebens- und Wohnverhältnisse".
Allein in den vergangenen drei Wochen hat der Hausmeister auf 250 Quadratmeter Wänden in den Wohnungen Schimmelschutzfarbe gestrichen. Und allein vergangene Woche mussten Arbeiter fünf Mal Wohnungswände aufklopfen, weil Wasserrohre gebrochen waren. "Die Außenfassaden der Häuser sind undicht", sagt Bewohner Ivo Iversen, 40. "Wenn es regnet, wird das Wasser wie ein Schwamm aufgesaugt und geht ins Mauerwerk. Dann bildet sich in den Wohnungen Schimmel."
Zehn Wohnungen im Viertel stehen seit längerer Zeit leer. Hausverwalter Roßner - seinen Vornamen will er nicht nennen - von der Hausverwaltung Wilde in Wilhelmshaven sitzt an diesem Tag im Keller der Albert-Schweitzer-Straße 4 vor einem Apple-Notebook und telefoniert mit dem Handy. Das Hamburger Abendblatt bittet ihn darum, eine leere Wohnung zu zeigen. "Wir möchten diese Wohnungen nicht zeigen", sag Roßner. Warum? "Das muss ich nicht begründen", lautet seine Antwort. Zu hören ist indes, dass die leeren Wohnungen wegen Schimmels und undichter Fenster unbewohnbar sind.