Im Mai wird der umstrittene Flutschutz an der Elbe endgültig fertig sein. Doch möglicherweise muss er bald schon wieder erhöht werden.
Bullenhausen. Der Westwind weht an diesem Vormittag besonders kräftig. Klaus-Dieter Kirchhoff, Ortsbürgermeister von Bullenhausen, steht oben auf dem Deich und blickt auf die Villen, die sich hier, an der Bunthäuser Spitze, wo sich die Elbe in Norder- und Süderelbe teilt, direkt ans Wasser drängen. Hohe Pappeln ragen wankend in die Lüfte empor, Wolken jagen vorbei, aber vom mächtigen Fluss geht keine Gefahr aus. Er fließt ruhig gen Nordsee. Schwer vorstellbar, dass der Deich in Bullenhausen der erste im Landkreis Harburg war, der bei der großen Flut im Februar 1962 den Wassermassen nicht mehr stand halten konnte und brach.
Und doch sind es diese Erfahrungen, die viele Bürger in dem Ortsteil der Gemeinde Seevetal für Hochwasser sensibilisiert haben - wäre da nicht dieses eine Problem an der Straße Südstrand, das mit dem Namen Inge Meysel eng verknüpft ist. Verkürzt gesagt ist vor allem der langjährige Kampf für einen freien Elbblick, den die 2004 verstorbene Schauspielerin und "Mutter der Nation" mit der ihr eigenen Energie führte, mitverantwortlich für die neue, 340 Meter lange und zwischen 1,60 und zwei Meter über Geländeniveau hohe Flutschutzmauer, die jetzt den Südstrand in eine landseitige und eine elbseitige Fraktion zerschneidet. Im Mai dieses Jahres soll das umstrittene Bauwerk endgültig fertig sein.
4,1 Millionen Euro inklusive aller Planungs- und Gutachterkosten hat die Mauer verschlungen. Wie sehr sie die Nerven von Anliegern, Planern, Anwälten und Gerichten belastet hat, das steht auf einem noch ganz anderen Blatt. Man kann bereits erahnen, wie die Reaktionen der Bullenhausener ausfallen werden, wenn der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) nun mitteilt, dass die Forschungsstelle Küste derzeit überprüfe, auf welche Höhe die niedersächsischen Deiche aufgrund des Klimawandels ausgebaut werden müssen. Die nagelneue Mauer wird davon nämlich nicht ausgenommen sein. "Wie alle massiven Küstenschutzbauwerke ist auch die Hochwasserschutzmauer in Bullenhausen so gegründet, dass sie bei Bedarf aufgestockt werden kann", teilt NLWKN-Sprecher Achim Stolz auf Abendblatt-Nachfrage mit.
Klaus-Dieter Kirchhoff will aber die Pferde nicht scheu machen. Er ist froh, dass nach der Klageflut der vergangenen Jahre erst einmal die jetzige Mauer da ist, alles weitere müsse man abwarten. "Sie dient der Sicherheit des ganzen Ortes", sagt er. Denn was hätte man auch machen sollen, wenn die direkten Elbanlieger, unter ihnen noch dazu eine meinungsstarke Prominente, auf Biegen und Brechen keinen Deich wollen und die landseitigen Südstrand-Anlieger partout keine neue, höhere Mauer? Hätte man etwa alles beim Alten lassen sollen? Es hätte im Ernstfall fatal für den ganzen Ort ausgehen können, denn die Vorgängermauer war nur 1,30 Meter hoch und aufgrund der Zufahrten zu den Elbanlieger-Grundstücken löchrig wie ein Schweizer Käse. Es musste also etwas passieren.
2005 habe der Harburger Deichverband den Antrag auf Planfeststellung für die Flutschutzmauer gestellt, sagt NLWKN-Sprecher Stolz. Wegen einiger Eingaben von Anliegern ruhte das Verfahren für ein Jahr. Als dann im April 2008 der Planfeststellungsbeschluss vorlag, kam es zu mehreren Einzelklagen, die 2010 vom Verwaltungsgericht Lüneburg abgewiesen wurden. Vor allem gegen die Höhe der Mauer und ihre Lage hätten sich die Klagen der landseitigen Anwohner gerichtet, sagt Stolz. Sie wollten nicht hinnehmen, dass sich die Elbanlieger durchgesetzt hatten. Im März 2011 wurde mit dem Mauerbau von Bullenhausen begonnen.
Heute schützt das Bauwerk, das an beiden Enden elektronisch verschließbare Flutschutztore besitzt, den gesamten Ort vor möglichen Wassermassen, während die Elbanlieger auf ihren Grundstücken privat Vorkehrungen getroffen haben. Zwei Straßen führen links und rechts der Mauer entlang, damit die elb- und landseitigen Bewohner ihre Grundstücke erreichen können. "Sie wirkt gar nicht so gewaltig, wie viele vielleicht befürchtet haben", sagt der Ortsbürgermeister. Und die Gegend verschandele sie ebenfalls nicht, weil sie im Frühjahr bepflanzt werden soll.
Kirchhoff zeigt auf die kleinen Leuchten, die die Mauer bei Dunkelheit anstrahlen. Sie seien extra so montiert worden, dass sie den Anliegern nicht in die Wohnzimmer scheinen. "Der NLWKN hat sich sehr intensiv mit ihnen abgestimmt." Wegen des Schneefalls sind zwei Arbeiter an diesem Morgen dabei, die unfertige Mauerabdeckung mit einer langen Plane zu schützen. Wenn der Schnee weg ist, sollen die Platten angebracht werden.
Reiner Schrader wird diese Arbeiten genau beobachten. Er ist einer der "Landseitigen" und sagt: "Die Mauer ist unmöglich." Sie habe die Leute in der gesamten Straße gegeneinander aufgebracht. Zudem hätten die Erschütterungen während der Arbeiten zu Schäden am Dach und an den Bodenfliesen geführt. Ein Gutachten ist bereits erstellt worden. Er hofft trotzdem, dass sich die Stimmung am Südstrand über kurz oder lang wieder beruhigt.