Lebensberatung und Hilfe in Alltagsfragen: Das Asylbewerberheim in Neu Wulmstorf bietet mehr als nur einen Unterschlupf.
Neu Wulmstorf. Ein bisschen sieht es aus wie in einem Studentenwohnheim. In der Küche steht noch der Abwasch vom Vortag, aus einem Zimmer dringt der Duft von Pfannkuchen, und auf dem Flur ist es vormittags mucksmäuschenstill. Wer nicht bereits in den frühen Morgenstunden das Haus verlassen hat, liegt noch in den Federn. "Die stehen dann erst am frühen Nachmittag auf", sagt Rüdiger Thiemann. Junggesellen eben.
Der 57-Jährige ist Leiter der Asylbewerberunterkunft an der Bundesstraße 73 in Neu Wulmstorf und für die 43 ausschließlich männlichen Bewohner so etwas wie Lebensberater, Hausmeister und Vater in Personalunion. Die Männer sind zwischen 18 und 62 Jahre alt und stammen aus neun unterschiedlichen Ländern, wie dem Iran und dem Irak, Syrien, Georgien, Pakistan oder Vietnam.
Thiemann weiß, dass er als erste Kontaktperson in Alltagsfragen für sie eine besondere Funktion hat. Er sagt ihnen, wo sie einen Arzt finden, wo das Rathaus ist und wo sie einkaufen können. Doch nicht alle Männer sind gleich. Manche brauchen viel Unterstützung, weil sie jung und unerfahren sind. Andere wiederum kommen auch allein zurecht, weil sie bereits in ihrem Heimatland Deutsch gelernt haben und mit der Kultur vertraut sind. Sie alle eint ein Wunsch: in Deutschland zu bleiben.
Die 43 Männer aus Neu Wulmstorf gehören zu den 410 Asylbewerbern, die derzeit im Landkreis Harburg leben. 400 weitere sollen im Laufe des Jahres hinzukommen, für die die Kreisverwaltung derzeit neue Unterkünfte sucht (das Abendblatt berichtete). Doch die Suche ist nicht leicht. Zum einen, weil die Wohnungen baulich geeignet sein müssen, zum anderen, weil die Anwohner häufig Sturm gegen die neue Nachbarschaft laufen. "Wir können die Befürchtungen mancher Leute überhaupt nicht teilen", sagt René Maynicke, Landesbeauftragter der Firma Human Care, die die Einrichtung in Neu Wulmstorf für den Landkreis seit einem Jahr betreibt. Mit den Anwohnern, die beispielsweise direkt hinter der ehemaligen Pension leben, habe es nie Probleme gegeben. Und sowieso seien die Bewohner fast nur abends zu Hause, weil sie tagsüber ihre Ämtergänge erledigen, Sprachkurse absolvieren oder mit der S-Bahn nach Hamburg fahren.
Das bestätigt auch Heimleiter Thiemann. "Um 6 Uhr geht das große Aufstehen los." Er ist zwar offiziell nur zwischen 7.30 und 16.30 Uhr im Dienst, doch da er selbst ebenfalls in der Einrichtung wohnt, bekommt er mehr als das Übliche mit. Außer Thiemann ist noch ein Mitarbeiter von der Arbeiterwohlfahrt zu festen Sprechzeiten im Haus.
Vom Standard her kann man die Unterkunft als vorbildlich bezeichnen. Manche Zimmer besitzen ein eigenes Bad, der Rest muss sich ein Gemeinschaftsbad teilen - pro Dusche und Toilette maximal drei Männer. Es gibt Ein- und Mehrbettzimmer, "wir achten aber darauf, dass auf einem Zimmer immer Bewohner einer Nation unterkommen", sagt Maynicke. Faustregel sei, dass jeder Asylbewerber sechs Quadratmeter Rückzugsraum haben soll. Gesetzliche Vorgaben gibt es nicht.
Was aber wäre, wenn eine Familie im Haus untergebracht werden müsste? "Da versuchen wir meistens, sie in kleinere Wohnungen zu vermitteln", sagt Monika von der Heide, Leiterin der Abteilung Soziale Leistungen beim Landkreis Harburg. Generell sind Familien aber selten, 95 Prozent der Asylbewerber sind männlich und die meisten von ihnen jung. Sie wollen dem politischen System oder dem Wehrdienst entkommen. Vor allem Iraner seien häufig sehr gut ausgebildet, fügt René Maynicke hinzu. In Deutschland träumen sie den Traum von einem besseren Leben. Ajay Kumah kommt zwar nicht aus dem Iran, aber auch er hat diesen Traum. Der 31-Jährige stammt aus Indien und ist davon überzeugt, dass "in Indien keine Zukunft ist, aber in Deutschland". Auf dem Herd bereitet er gerade "Indian Brot" zu, eine Art Pfannkuchen, nur kleiner und dicker. Dazu gibt es Tee, den er gleich gemeinsam mit einem Kumpel trinken will. Sein Deutsch ist zwar noch nicht sehr gut, "die Sprache ist sehr schwer", sagt er. Aber natürlich hoffe er, hier bleiben zu dürfen.
Bei ihrer Ankunft in Deutschland haben die meisten Flüchtlinge nur eine Tüte mit Kleidung zum Wechseln dabei. In der Unterkunft angekommen, erhalten sie deshalb zuerst eine Grundausstattung, zu der unter anderem Bett, Kissen, Besteck, Topf, Pfanne, Küchenmesser und Eimer gehören. Auch Rüdiger Thiemann hält diese Grundausstattung bereit und verteilt sie an alle Neuzugänge. Im Winsener Kreishaus oder in den Rathäusern der Gemeinden können sich die Flüchtlinge zudem monatlich Gutscheine im Wert von 212 Euro für Essen und Kleidung abholen. Hinzu kommt 137 Euro Bargeld zur freien Verfügung.
Wäsche waschen, kochen, putzen, diese Dinge müssen die Männer in der Neu Wulmstorfer Unterkunft selbst erledigen. Ganz ohne Ermahnung vom Heimleiter funktioniert das nicht immer, er hat schließlich die Verantwortung dafür, dass das Haus sauber ist. "Es kommt immer auf den Einzelnen an", sagt Monika von der Heide. Viele würden gar nicht wollen, dass sie zu sehr bemuttert werden, vor allem diejenigen mit einem hohen Bildungsstandard nicht. "Wir sind ja nicht ihre Aufpasser."
René Maynicke hat zudem die Erfahrung gemacht, dass sich viele bewusst integrieren und in Sportvereine gehen, regelmäßig die Zeitung lesen oder fernsehen, um Deutsch zu lernen.
Der Großteil der Asylanträge wird dennoch nicht anerkannt, sagt Monika von der Heide. Genaue Zahlen kann der Landkreis Harburg nicht nennen, ebensowenig wie er sagen kann, wie lange die Asylbewerber im Schnitt im Landkreis bleiben. Einer der Gründe dürfte in der großen Komplexität des Themas Asyl liegen.
So führt der niedersächsische Flüchtlingsrat auf seiner Internetseite allein acht Perspektiven nach negativem Abschluss eines Asylverfahrens an. Sie reichen von Heirat mit einem Deutschen, humanitärer Duldung und dem Recht auf Wiederkehr bis hin zur Petition und zu einem Asylfolgeantrag.