Interview mit Rolf Bellmann vom Bürgerwindpark Rosengarten. Landkreis Harburg könnte gesamten benötigten Strom aus Windkraft ziehen.
Tötensen. Niedersachsen will bis 2020 genauso viel Strom aus Windenergie erzeugen wie verbrauchen. Dieses Ziel hat die Landesregierung in dem Entwurf eines Energiekonzeptes formuliert, den das Kabinett in Hannover beschlossen hat. Welches Windenergiepotenzial im Landkreis Harburg steckt, erklärt der Technische Geschäftsführer des Bürgerwindparks Rosengarten, Rolf Bellmann, im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt:100 Prozent Stromversorgung aus Windkraft - ist dieses Ziel auch im Landkreis Harburg erreichbar?
Rolf Bellmann: Das Windpotenzial ist auf der Fläche im Landkreis Harburg auf jeden Fall vorhanden. Das Problem ist die dichte Besiedelung in dem Landkreis mit mehr als 220.000 Einwohnern. Der Gesetzgeber schreibt Mindestabstände zu Windkraftanlagen vor. Zurzeit sind das 1000 Meter zu Wohnhäusern, 200 Meter zum Wald und 150 Meter, mindestens Kipphöhe, zu Autobahnen. Ich halte es auch unter diesen Bedingungen für möglich, so viel Strom aus Windkraft zu erzeugen wie die Bevölkerung im Landkreis Harburg verbraucht. Die Endmoränenlandschaft in der Region bietet uns Höhe. Und so kommen wir ans Windpotenzial heran.
Zurzeit stehen 65 Windkraftanlagen im Landkreis Harburg. Wie viele Windmaschinen müssten zusätzlich aufgebaut werden, um das Potenzial der Region voll auszuschöpfen?
1000 weitere Windräder für den Norden
Bellmann: Meines Wissens will man zusätzlich 160 Windanlagen installieren. Möglicherweise reichen aber weniger aus. Nehmen Sie das Beispiel Fehmarn: Dort hat man die Zahl der Anlagen halbiert, aber mit modernen, leistungsstärkeren die Kapazität sogar verdoppelt.
Der Landkreis Harburg untersucht zurzeit bei der Neuaufstellung des Regionalen Raumordnungsprogramms mögliche Flächen zur Ausweisung als zusätzliche Vorranggebiete für Windenergie. Wo sehen Sie Flächen für zusätzliche Windparks?
Bellmann: In den meisten Kommunen gibt es bestimmt Möglichkeiten. In der Elbmarsch gibt es Gegenden im Landkreis Harburg mit zum Teil besserem Windpotenzial als bei uns in der Endmoränenlandschaft. Die Idee des Landtagsabgeordneten Heiner Schönecke, an der Grenze zwischen den Landkreisen Harburg und Stade einen Windpark zu errichten, halte ich für gut. Auch an anderen Stellen im Landkreis sehe ich Möglichkeiten, Flächen für Windkraft auszuweisen, aber ich möchte keinen Planern vorgreifen. Werden mögliche Windparkflächen bekannt, rufen wir Investmentgesellschaften auf den Plan, um sich diese Gebiete zu sichern.
Ihnen schwebt ein anderes Invest vor. Meinen Sie, dass allein Bürgerwindparks die nötigen Kapazitäten schaffen können?
Bellmann: Davon bin ich überzeugt. Bürgerwindparks könnten die Strommenge produzieren, die verbraucht wird. Eines muss aber auch klar sein: Wenn wir unsere Verbrauchsgewohnheiten nicht ändern und 24 Stunden am Tag ohne Einschränkung Strom haben wollen, kommen wir aber ohne Großkraftwerke wie zum Beispiel der Neubau in Moorburg nicht aus, weil wir noch keine brauchbaren Speichertechnologien haben.
Befürchten Sie gesellschaftliche Konflikte, Widerstand aus der Bevölkerung, wenn in Zukunft zusätzliche und höhere Windanlagen als bisher aufgestellt werden sollen?
Bellmann: Eines ist ganz wichtig: Wenn man Windkraftanlagen errichtet, kann man das nur im Einklang mit dem Bürger schaffen. Mein Motto lautet: Aus der Region - für die Region. Wir sollten die neuen Windparks nicht mit Einzelinvestoren realisieren, sondern mit Teilhabern, die selbst auf diese Windräder schauen, aber auch gleichzeitig wissen, dass ihr eingesetztes Geld gut angelegt ist. Wir in Rosengarten haben insgesamt fünf Windanlagen mit 106 Kommanditisten ausschließlich aus der Gemeinde geschaffen. Wir hatten hier keine Proteste - das weiß auch der Landkreis ganz genau. Ich denke, dass inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung der Windenergie aufgeschlossen gegenüber steht. Ich schätze den Anteil der Befürworter auf 60 Prozent. 30 Prozent Unentschlossene, zehn Prozent Gegner.
Die zehn Jahre alten Windkraftanlagen in Rosengarten messen bis zur Nabe 65 Meter. Die Windmaschinen neuester Generation haben eine Nabenhöhe von bis zu 130 Meter. Müssen die Menschen künftig, auch ästhetisch, mehr aushalten?
Bellmann: Nein, die seit 2007 gesetzlich vorgeschriebenen Abstände haben zur Folge, dass neue Windkraftanlagen, die höher sind, aber auch wesentlich weiter entfernt stehen, nämlich mindestens 1000 Meter, im Auge des Betrachters nicht größer erscheinen als ältere Windanlagen.
Finden Sie Windkraftanlagen schön?
Bellmann: Ich persönlich mag sie sehr gerne. Wir können doch auch nicht sagen, wir wollen den technischen Fortschritt - nur aber in der Windkraft nicht. Mir tut es gut, Windräder zu sehen. Das bedeutet: Wir bekommen eine Energie, die umweltneutral ist und keine Ressourcen verbraucht. Strom für Elektroautos will auch produziert sein.