Interview mit Tanja Askani über den Wolf von Maschen. Sie ist eine der führenden Experten in Deutschland für die Raubtiere

Nindorf. Zum ersten Mal seit mehr als 100 Jahren ist im Landkreis Harburg ein wild lebender Wolf gesichtet worden. Es gibt sogar ein Foto von den Tier. Beim "Wolfsfest" am Sonnabend im Wildpark Lüneburger Heide sprach die Harburger Rundschau mit Tanja Askani, 49, eine der führenden deutschen Wolfsexperten, über den seltenen Besucher. Etwa 100 bis 120 frei lebende Wölfe gibt es in Deutschland. Können Wölfe tatsächlich im Landkreis Harburg wieder heimisch werden?

Harburger Rundschau:

Wirklich wild ist die Natur im Landkreis Harburg nicht. Das Gebiet ist dicht besiedelt, die Kulturlandschaft wirkt sehr aufgeräumt. Finden Wölfe überhaupt Lebensraum, um hier dauerhaft zu leben?

Tanja Askani:

Die Wölfe sind damals aus zwei Gründen von hier verschwunden: Weil der Mensch sie gejagt hat und die Natur in einen elenden Zustand gebracht hat. Heute ist die Natur wieder intakt. Die Wälder sind voller Wild. Der Wolf ist sehr anpassungsfähig. Er lebt dort, wo er Nahrung findet. Sogar dicht vor einer Großstadt wie Rom, wo er sich von Müll ernährt. Es gibt sicher auch ein paar Ecken im Landkreis Harburg, wo der Wolf leben könnte. Ich denke da vor allem an die früheren Truppenübungsplätze. Die Wölfe haben 150 Jahre Pause gemacht - und kommen jetzt wieder.

Der Wolf ist in der Nähe des Rangierbahnhofes bei Maschen und am Steller See gesehen worden. Was könnte er da gesucht haben?

Askani:

Das Tier ist ein junger Rüde gewesen, maximal zwei Jahre alt. Die jungen männlichen Wölfe wandern extrem weit. Sie wollen Inzest vermeiden. Es ist nicht unüblich, dass junge Rüden mehr als 1000 Kilometer weit wandern. Sie legen in einer Nacht bis zu 60 oder 70 Kilometer zurück. Es kann sein, dass sie bei Hannover auftauchen und eineinhalb Tage später in Hamburg.

Was frisst ein frei lebender Wolf eigentlich?

Askani:

Er braucht am Tag etwa zwei bis vier Kilo Nahrung. Er frisst Tiere, die größer sind als er, etwa Rehe oder Wildschweine. Seine Nahrungspalette reicht von Insekten über Nagetiere bis zu Fischen. Er verschmäht auch pflanzliche Nahrung nicht, frisst Waldfrüchte, Äpfel, Birnen oder Zwetschgen.

Woher könnte der Wolf gekommen sein?

Askani:

Ich vermute, dass er aus der Lausitz zu uns gekommen ist. Vor zwei Wochen bereits glaubten Reiter, einen Wolf bei Toppenstedt gesehen zu haben. Ich gehe davon aus, dass es dasselbe Tier gewesen ist. Eine Frau erwähnte, dass es einen vorbei laufenden Hasen ignoriert haben soll. Das spricht für einen Wolf, nicht für einen Hund. Er hat vor den Menschen Reißaus genommen. Ein Wolf setzt Prioritäten. Und die erste Priorität ist, sein Leben zu retten.

Müssen Menschen Angst haben, wenn sie einem Wolf in der Natur begegnen?

Askani:

Ein wilder Wolf läuft normalerweise davon. Ein Problem taucht nur dann auf, wenn die Tiere keine Fluchtdistanz haben. Man sollte nicht auf die Idee kommen, einen Wolf anzufüttern, dann wird es gefährlich. Wenn ein Wolf Ihnen hinterherläuft, ist etwas nicht normal. Dann dürfte es sich um ein ausgebüxtes Tier aus einem Wildpark handeln. In diesem Fall sollten Sie sich Sorgen machen: Es dürfte Sie mit einem Futterspender verwechseln.

Das Tier soll Richtung Lüneburger Heide verschwunden sein. Könnte er in den Landkreis Harburg zurückkehren?

Askani:

Es gibt keine Regel, um das einschätzen zu können. Er könnte abwandern, aber auch einen Platz für sich finden. Ich vermute, dass junge Tier fühlt sich selbst gehetzt.

Sie werden die Wolfsmutter genannt, haben mehrere junge Wölfe groß gezogen. Was schätzen Sie so an diesem Tier?

Askani:

Der Wolf ist ein faszinierendes, hochintelligentes Raubtier. Er hat ein unglaublich gutes Gedächtnis - so eine Festplatte möchte ich in meinem PC haben! Mich fasziniert ihre Ausdrucksweise. Die Wolfssprache unterscheidet sich gewaltig von der Hundesprache. Wölfe müssen sich in Sekundenbruchteilen verständigen. Ich könnte stundenlang am Gehege sitzen und die Tiere beobachten. Mir würde nie langweilig werden.