Wie aus einer privaten Idee ein anerkanntes Projekt wurde
Veddel. Ayhan Altun, 34, ist Veddeler durch und durch. "Ich bin 13 Tage nach der Geburt hierher gekommen", sagt der Handelsvertreter, "das ist mein Stadtteil, mit dem identifiziere ich mich. Ich bin hier aufgewachsen - Veddel ist meine Heimat."
Seine Heimat, das ist eine 4,4 Quadratkilometer große Siedlung aus Backsteinbauten, geplant 1928 vom Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher südlich der Norderelbe und östlich des Hafens. 4900 Menschen leben hier, 70 Prozent der Einwohner hat Wurzeln in anderen Ländern - viele in der Türkei, im ehemaligen Jugoslawien und in vielen Ländern Afrikas. Die Veddeler, die wählen dürfen, wählen oft SPD; viele auch die Linke, die GAL und die Piratenpartei, die vor allem von Studenten angekreuzt wird, die dem Stadtteil Halt geben sollen. Zwei Drittel der wahlberechtigten Veddeler geht gar nicht wählen.
Und jung ist sie die Veddel, jung und reich an Kindern und Jugendlichen. Jeder vierte Veddeler ist noch nicht volljährig, damit zählt die Veddel zu den jüngsten Hamburger Stadtteilen.
Um die Jugend geht es Ayhan Altun schon seit langem: Er war als Jugendleiter tätig bei den Jungen Muslimen Veddel. "Ich hatte mit 80 Jugendlichen zu tun, 14 bis 19 Jahre alt", sagt der Veddeler. Sein Kontakt mit den Jugendlichen sensibilisierte ihn für eine "Problematik", Ayhan Altun nennt sie "Drogenproblematik": "Hier auf der Veddel kiffen viele Jugendliche, hauptsächlich Marihuana. Heroin, Kokain, LSD und Ecstasy gibt es kaum bei uns."
Dagegen wollte Ayhan Altun etwas tun, denn er liebt seinen Stadtteil und möchte, dass es den Bewohnern gut geht, ob jung oder alt - "ich möchte, dass der Stadtteil immer besser wird, auch für die nächsten Generationen." So fing Ayhan Altun an Spaziergänge zu machen, zwei-, dreimal die Woche, "spontane Rundgänge", wie er sagt. "Ich wusste, dass die Jugendlichen mich akzeptieren. Ich habe sie auf der Straße angesprochen und ihnen gesagt, dass ich jetzt auf die Veddel achte. Und ich habe sie über die Gefahren von Drogen aufgeklärt und sie zur Vorsicht gemahnt."
Seit März 2010 geht Ayhan Altun nicht mehr allein über die Veddel. Mit Unterstützung der Polizei und der Saga/GWG-Tochter Pro Quartier wurde aus seinen Rundgängen ein Projekt, das richtungsweisend ist: Die Veddeler Kiezläufer. Acht Kiezläufer laufen heute durch den Stadtteil, donnerstags bis sonnabends von 20 bis 23 Uhr, im Winter von 18 bis 20 Uhr. "Aber eigentlich sind wir ja 24 Stunden lang Kiezläufer, weil wir alle auf der Veddel wohnen", sagt Ayhan Altun.
Richtungsweisend für das Projekt war eine Mieterversammlung von Saga/GWG-Mietern im Herbst 2009 in der Sporthalle Veddel. Gekommen waren rund 50 Mieter, die Angst hatten vor Jugendlichen, die abends in Hauseingängen, Treppenhäusern und Kellerräumen kiffen und Drogen verkaufen: rund um die Straße Am Zollhafen, gegenüber dem IBA-Dock der Internationalen Bauausstellung im Müggenburger Zollhafen. Ayhan Altun sprach auf der Versammlung von seinen Rundgängen. "Die Mieter waren begeistert und sagten, so ein Projekt könnte mehr Erfolg haben als die Einsätze der Polizei."
Mittlerweile sind die Veddeler Kiezläufer nicht mehr aus dem Stadtteil wegzudenken. Alle sind zweisprachig, sieben sprechen außer Deutsch Türkisch, einer Kroatisch. Ein Kiezläufer ist eine Frau: Ayse Karkar, 26. Sie studiert Sozialpädagogik, lebt auf Finkenwerder - Ayhan Altun nennt sie "unser Goldstück".
Der Erfolg der Kiezläufer heute: Sie sprechen die Sprache der Jugendlichen, kennen ihre Sorgen und Nöte. Sie wissen, wie Familien funktionieren, die mit Stütze leben. Sie wissen, dass vielen Jugendlichen Vorbilder und Orte fehlen, wo sie sinnvollen Dingen nachgehen können, damit man sich nicht langweilt und abhängt und kifft: Sinnvolle Dinge wie Sport, Musik und Kultur - Betätigungen, für die man keine Drogen braucht.
Die Drogen seien das Hauptproblem, sagt der Kiezläufer. Rund 40 bis 50 regelmäßige Kiffer gebe es auf der Veddel. Die Anzahl der Kiffer sei in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. "Wir treffen Kiffer, die ballern sechs Joints am Tag weg", sagt Ayhan Altun. Er sagt ihnen, so viele Joints kosten 450 Euro im Monat - "woher wollt ihr das Geld dafür nehmen?" Die Jugendlichen hören ihm immer zu - manche nehmen seinen Rat an.
Jetzt, wenn es warm ist, laufen die Kiezläufer mit zwei Handys und in schwarzen T-Shirts herum, auf deren Rückseite steht "Veddeler Kiezläufer". Das sehen die Jugendlichen und das wirkt. "Wir haben einen Generalschlüssel von der Saga/GWG und kommen in fast alle Keller auf der Veddel hinein", sagt Ayhan Altun.
"Oft sehen wir Lichter aus den Kellern scheinen oder bekommen einen Tipp vom Hausmeister, dann werden wir aktiv und sprechen mit den Jugendlichen." Respekt sei die Grundlage des Erfolges, gegenseitiger Respekt. "Wenn die Jugendlichen uns sehen, sehen sie ein bekanntes Gesicht. Dann neigen sie den Kopf herunter und wir richten sie wieder auf. Die Jugendlichen sehen in mir so etwas wie einen großen Bruder und unter Türken wird einem großen Bruder Respekt entgegengebracht."
Was motiviert ihn, seine "Rundgänge zu machen und in seiner Freizeit nach dem Rechten zu schauen, frage ich Ayhan Altun am Ende unseres Gespräches. "Die Veddel", sagt der Veddeler, "ist ein kleines Dorf im Herzen Hamburgs. - wir wollen, dass es so bleibt, wie es ist, und noch besser wird."