Senatorin Anja Hajduk äußert erstmals Zweifel an einer fristgerechten Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße
Wilhelmsburg. Die Hamburgische Bürgerschaft wird im Oktober über die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße entscheiden. Im Verlauf einer kurzen Sitzung hat der Senat in der vergangenen Woche beschlossen, dass Hamburg die neue Reichsstraße mit 10,4 Millionen Euro mitfinanzieren wird. Sie soll in Richtung Osten auf die Trasse der Bahn verlegt werden.
Laut der Bürgerschaftsdrucksache 19/7116 betragen "die Gesamtkosten der Baumaßnahme einschließlich Grunderwerb nach dem derzeitigen Stand der Kostenschätzung 67,4 Millionen Euro zuzüglich Planungskosten von 9,6 Millionen". Die Planungskosten zahlt Hamburg - so kommen auf die Stadt mindestens Kosten in Höhe von 20 Millionen Euro zu. Hinzu kommen noch Kosten für Kampfmittelsondierung und -räumung. Der Grunderwerb der bisherigen Trasse der B 4/75 werde "vom Grundstock für Grunderwerb abgewickelt", Kosten für die Folgeumbauten der derzeitigen Wilhelmsburger Reichsstraße sind in dem Papier nicht aufgeführt.
Besonders interessant ist der Punkt 7 der Drucksache mit dem Namen "Zeitplan". Demnach sollen noch in diesem Jahr die "Entwürfe Straße und Schiene" aufgestellt und das Planfeststellungsverfahren eingeleitet werden. "Noch in 2011" soll das "Rechtsverfahren mit Planfeststellungsbeschluss stehen". Baubeginn ist laut der Drucksache dann "ab Anfang 2012", "Inbetriebnahme Anfang 2013".
Damit wäre die Wilhelmsburger Reichsstraße pünktlich bis zur Eröffnung der Internationalen Gartenschau (igs) und der Internationalen Bauausstellung (IBA) im April 2013 auf den Bahndamm verlegt - die Reichsstraße, auf der täglich rund 55 000 Fahrzeuge fahren, würde das Gartenschaugelände nicht durchkreuzen.
Aber die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) äußert in dem Papier gleich Zweifel an der fristgerechten Realisierung: "Dieser Zeitraum bietet angesichts der fachlichen und rechtlichen Komplexität des Vorhabens wenig Spielraum. Sollten sich Zeitverzögerungen ergeben, die eine rechtzeitige Fertigstellung nicht ermöglichen, sind Alternativlösungen zu entwickeln."
Die Harburger Rundschau befragte die Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Anja Hajduk, GAL, zu dem Zeitplan. Sie sagte: "Es gibt zeitliche Risiken, aber es gibt überhaupt keinen Grund, von den Planungen abzuweichen. Wir tun alles daran, die Wilhelmsburger Reichsstraße bis zur Eröffnung der Internationalen Gartenschau in Richtung Osten an die Trasse der Bahn zu verlegen. Aber man muss die Risiken ernst nehmen." Nach Informationen der Harburger Rundschau beginnt das Planfeststellungsverfahren für die Wilhelmsburger Reichsstraße frühestens im Spätherbst dieses Jahres. Es dürfte sich mindestens über ein Jahr erstrecken. Knackpunkt für den Zeitplan des Senats werden vor allem die Einwände Kirchdorfer Eigenheimbesitzer sein, die entlang der Bahntrasse leben und eine "Klagegemeinschaft Rechtsschutz Lebensqualität Wilhelmsburg" gegründet haben. Fundierte Klagen dieser Gegner der Reichsstraßenverlegung, so ist zu hören, können das Verfahren noch weiter verzögern, so dass ein Baubeginn "ab Anfang 2012" in Gefahr geriete.
Auch die Zusammenarbeit zwischen Hamburg, dem Bundesverkehrsministerium und dem Eisenbahn-Bundesamt ist noch nicht hieb- und stichfest vereinbart worden: Unter Punkt 6 "Rechtsverfahren Bahn/Straße" heißt es, zwischen den Beteiligten werde "erörtert, in welcher Abfolge und durch welche Behörden die Entscheidungen getroffen werden müssen und können". "Vorstellbar" sei ein "gemeinsames Planfeststellungsverfahren, in dem zumindest über die Änderung der Straßen- und Bahnanlagen sowie über ein gemeinsames Lärmschutzkonzept durch die BSU entschieden würde".
Senatorin Hajduk sagte im Gespräch mit der Harburger Rundschau, sie werde sich vehement dafür einsetzen, dass die verlegte Wilhelmsburger Reichsstraße auf dem Bahndamm einen optimalen Lärmschutz bekomme. Unter Punkt 4.3 "Lärmschutz" heißt es in der Bürgerschaftsdrucksache 19/7116: "Im Ergebnis wird die neue B 4/75 vollständig und lückenlos mit Lärmschutzbauwerken versehen, die begrünt und stadtverträglich gestaltet werden. Dadurch wird die neue Straße auch optisch weniger wahrgenommen als die alte B4/75." Es müssten dafür Lärmimmissionswerte "an mehr als zehntausend Wohneinheiten in Wilhelmsburg ermittelt werden".
Auf die Stadt Hamburg kommen aber auch noch "sonstige Kosten" zu: "An der Westseite der neuen Trasse der B4/75 sind Lärmschutzkonstruktionen zum Schutz der igs-Flächen als vorgezogene Baumaßnahme vorgesehen", heißt es in der Drucksache. Die Gesamtbaukosten betragen 5,5 Millionen Euro brutto ohne Kampfmittelräumung - der Bund übernimmt davon nur den "gesetzlich notwendigen Lärmschutz".
"Im November dieses Jahres werden wir ein 'Gesamtmobilitätskonzept für den Hamburger Süden' vorlegen", sagte Senatorin Hajduk im Gespräch mit der Harburger Rundschau. Angesprochen auf die geplante Hafenquerspange durch den Süden der Elbinsel sagte die Senatorin, für den Hamburger Hafen sei eine bessere Abwicklung der Schiffsladungen auf die Schiene "ebenso wichtig".