Die Schlossinsel wird Sonnabend aus dem Hafengebiet entlassen. Sie hat eine spannende Geschichte

Harburg. Die Harburger Schlossinsel im 13. Jahrhundert: Zimmermann Hinrich aus der Harburger Schlossstraße schultert seine neue Axt. Gerade hat er sie beim Schmied abgeholt. Der hat dem Werkzeug sein Zeichen aufgeprägt, Stern und Halbmond prangen auf der Schneide. Hinrich macht sich auf den Weg zum Harburger Schloss, vorbei an Burgmannenhöfen, Handwerkshäusern und Krämern. Dort angekommen, gibt es immer etwas zu tun. Und manchmal veranstalten die Ritter dort Turnierspiele.

Stolz präsentieren sie dann ihre blitzblank polierten Turnierstangen im Schlosshof. "So könnte es damals gewesen sein", sagt Bodendenkmalpflegerin Elke Först (53), die am Harburger Helms-Museum arbeitet und sich um archäologische Ausgrabungen im gesamten Hamburger Stadtgebiet kümmert. Reste der Zimmermannsaxt mit der markanten Prägung wurden während Grabungen im Jahr 2000 gefunden. Schlossstrasse und -insel gelten als El Dorado von Archäologen und Historikern.

Einst war das Schloss eine Burg und diente als Ausgangspunkt für die Besiedlung der Marschen. So wurde die Horeburg - Sumpfburg - 1133 in einer Urkunde erwähnt. 1257 residierten dort die Welfenherzöge. Först und ihre Kollegen sind sich indes sicher, dass die Burg schon wesentlich früher errichtet wurde. "Einige Keramikfunde lassen sich dem 11. Jahrhundert zuordnen. Sie untermauern unsere These", so die Wissenschaftlerin. Die Horeburg war Mittelpunkt vieler Auseinandersetzungen der Welfenherzöge mit den Bremer Erzbischöfen. Sie wurde mehrmals wechselseitig erobert, zerstört und wieder aufgebaut. Im Schatten der wehrhaften Burg siedelten sich im 13. und 14. Jahrhundert Handwerker wie Hinrich an. Meist betrieben sie noch eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung.

Ab 1527 gehört die Horeburg dem Herzoghaus Braunschweig-Lüneburg. Eine Elbkarte von Daniel Freese, 1577 angefertigt, zeigt Harburg mit der Schlossstraße, über der das mächtige Schloss thront.

Zuvor, als die Welfenherzöge 1403 die Burg an Hamburg verpfändeten, wurde ein massiver Wehrturm gebaut. Diese Türme galten als Vorposten auf wichtigen Handelswegen. Bauelemente von damals sind sogar heute noch im Keller des Schlosses erhalten. Es gab außerdem ein Back- und ein Brauhaus, eine Zollstation und Torhäuser. Um 1600 entstand eine herrschaftliche Dreiflügelanlage. Später, während des Dreißigjährigen Krieges, 1618 bis 1648, wurde das Harburger Schloss zu einer Zitadelle mit fünf Bastionen ausgebaut. 1757 infolge des Siebenjährigen Krieges ging es bergab mit der Anlage. Es wurde durch Artilleriebeschuss beschädigt. Während der französischen Besatzungszeit 1813 brannte ein Flügel mit einer Kapelle ab.

Die Industrialisierung gab dem Schloss den Rest. 1845 wurde die Insel Teil eines Gewerbegebiets und war damit nicht mehr Zentrum des Stadtteils. 1972 fiel ein großer Teil des Schlosses der Abrissbirne zum Opfer. Übrig geblieben ist nur noch der Westflügel, der zum Mietshaus umgebaut wurde. "Da liegt ein spannendes Geschichtsbuch unter der Erde. Das Gebiet ist von der wissenschaftlichen Bedeutung ebenso wichtig wie das Ausgrabungsfeld im Hamburger Domviertel in der Innenstadt", sagt Först. Viele Fundstücke - unter anderem Keramikteile, Waffenfragmente und Holzstücke - liefern Informationen über die fast 1000-jährige Geschichte Harburgs und über das Alltagsleben der Bewohner - wenn die Mitarbeiter von Först denn genug Zeit zum Graben und Forschen haben. Denn die Stadtplaner haben viel vor mit dem Areal. Wie berichtet, soll dort Harburgs Hafencity mit Wohnbebauung und Gewerbe entstehen - eigentlich ganz so, wie zu Zimmermann Hinrichs Zeiten. Jahrelang im Dornröschenschlaf versunken, rückt dieses Gebiet nun wieder ins Zentrum des Geschehens. Am Sonnabend wird das Gebiet aus dem Hamburger Hafengebiet entlassen. Bezirksamtsleiter Torsten Meinberg setzt gegen 13 Uhr den Grundstein für ein neues Wohnviertel.

Bevor dort Bagger und Bautrupps das Kommando auf der Schlossinsel übernehmen, rückt die Bodendenkmalpflege an. "Inmitten von Baulärm und Abrissarbeiten muss man schon gute Nerven haben", so Först. Und sichere Sachkenntnis, denn die Funde müssen schnell frei gelegt und dokumentiert werden. Die jüngsten archäologischen Untersuchungen im Juli erfolgten in einer 10 000 Quadratmeter großen Baugrube. "Da die Flächen einst industriell genutzt wurden, hatten wir es mit zum Teil durch Ölrückstände verunreinigtem Gebiet zu tun", so Först.

Doch die Arbeit lohnte sich. In den Bodenabschnitten wurde ein Klei-Torf-Gemisch entdeckt, das den Kernbereich eines Wallabschnitts markiert. Reste eines Feuers, das in der Zitadelle gewütet haben muss, waren ebenfalls zu sehen. Außerdem fand das Team eine größere Abfallgrube, in der sich Überbleibsel von Alltagsgegenständen aus dem 17. Jahrhundert - Keramik, Leder, Tonpfeifen sowie Holz- und Metallobjekte befanden. "Unter anderem haben wir Reste von Schuhen gefunden. Vielleicht hat ein Schuster in der Zitadelle gearbeitet und Stiefel für die Soldaten angefertigt und ausgebessert", so Först.

Ihr nächstes Ziel: "Wir wollen noch mehr über die Frühgeschichte erfahren, um die Anlage rekonstruieren zu können."

Lesen Sie morgen, was Harburg mit der Schlossinsel vorhat.