Wann das Heidekraut denn endlich blüht, ist Gesprächsthema bei den Heidekutschern. Jan Brockmann bietet Rad- und Wandertouren an.
Jeden Tag kann es soweit sein. Wann das Heidekraut denn endlich blüht, ist Gesprächthema bei den Heidekutschern auf dem Parkplatz vor dem Naturschutzgebiet in Döhle. Hier müssen Touristen ihr Fahrzeug stehen lassen, Besucher dürfen nur per Kutsche, zu Fuß und mit dem Fahrrad in den Wald und auf die Heide.
"Wenn Petrus jetzt einen starken Landregen schickt, haben wir gute Chancen auf eine tolle Blüte", sagt Heideranger Jan Brockmann, der sich hier mit seinen Wandergruppen trifft, um per pedes oder mit dem Mountainbike zu Ausflügen aufzubrechen. Auch er kann es kaum erwarten, dass sich die weiten grün-braunen Heidekrautflächen in ein zartrosa Meer verwandeln. "Das ist jedes Mal wieder ein Erlebnis", sagt er und setzt sich seine grüne Ranger-Kappe auf.
Eigentlich gibt es im Naturpark Lüneburger Heide keine Ranger, wie sie weltweit in großen Schutzgebieten unterwegs sind. "Das wäre eine staatliche Aufgabe, die hier nicht eingeführt wurde. Ich sehe mich als Mittler zwischen Mensch und Natur und möchte den Leuten diese Landschaft näher bringen."
Heute nimmt er mich mit nach Wilsede. Gleich geht es los. Siebeneinhalb Kilometer gen Wilsede "auf Nebenstrecken, nicht auf dem Heidehighway", wie Brockmann den Kutschenweg nennt und dann etwa fünf Kilometer auf einer kürzeren Tour zurück. Der Ausflug zum Wilseder Berg, mit 169 Metern die höchste Erhebung in der 234 Quadratkilometer umfassenden Lüneburger Heide, ist eine beliebte Wanderroute für Touristen. Doch jetzt, zu Beginn der Ferienzeit, sind nur wenige Besucher unterwegs. "Das ändert sich bald", so ein Kutscher. Wenn die Heide pünktlich zur Hochsaison im August endlich blüht. Mehr als vier Millionen Besucher sind im Sommer in der Lüneburger Heide unterwegs. Dann bleibt auch den Kutschern aus Döhle wenig Zeit zum Klönen.
Seit 2005 bietet Jan Brockmann Rad- und Wandertouren durch die Lüneburger Heide an. Wenn er nicht als Ranger unterwegs ist, arbeitet der Biologe am Alfred-Töpfer-Akademie in Schneverdingen oder hält Vorträge.
Nicht nur erfahrene Wanderer können ihn buchen. Er leitet auch Ausflüge für Familien und Senioren an. Der Biologe führt nicht einfach über die Strecke, sondern erklärt geschichtliche Besonderheiten sowie Flora und Fauna.
Wenige Minuten nach dem Aufbruch gibt es auch schon etwas zu berichten. Wir haben die Rieselwiesen erreicht. Hier schlängelt sich ein kleiner Bach durch üppige Grünflächen. Über das klare Wasser führt eine Holzbrücke mit Schleuse. Es duftet nach frisch gemähtem Gras. "Rieselwiesen sind künstlich bewässerte Flächen an Bach- und Flussläufen", sagt Brockmann. Durch das Öffnen und Schließen von Schleusen ließ sich der Wasserzufluss regulieren. Das zeigt er an einer Spielstation des "Machandelweges", der nach Wilsede führt - für Kinder ein spannendes, lehrreiches Erlebnis. Brockmann gießt mit einer kleinen Plastikkanne Wasser in kleine Rinnen, die in einen platten Findling gemeißelt wurden und zeigt auf diese Weise das Prinzip der Bewässerung. "Rieselwiesen ermöglichten erst die Nutzung vieler Flussauen. Dadurch konnten die Bauern in der ansonsten kargen Heide in größerem Umfang Futterklee anbauen", so Brockmann.
Er kennt die Landschaft seit Kindheit an, war viel mit seinem Großvater unterwegs. "Früher haben sich die Kinder gefreut, wenn im Sommer die Schleusen geöffnet wurden. Es entstanden Teiche. Das waren dann Freibäder für die kleinen Heidjer."
Dann geht es weiter. Es ist sehr warm. Sand und Heide flimmern in der Hitze. Wachholderbäume ragen wie Säulen aus der Landschaft. "Die Germanen fanden diese Bäume unheimlich. Sie dachten, die Toten wandern im Wachholder umher." Außerdem galt er als Apothekenbaum, sollte gegen Pest und andere Krankheiten helfen und hat tatsächlich eine entwässernde Wirkung. "Deshalb haben im Mittelalter einige Frauen einen Wachholdersud zur Abtreibung benutzt." Heute wird der berühmte, hochprozentige Wachholderschnaps aus den Beeren gebraut - vielleicht auch ein Grund dafür, weshalb die Heide eine wahrhaft sagenreiche Landschaft ist.
Wir kommen zu einem großen Schafstall. Der Schäfer ist mit seinen Heidschnucken längst zu schattigen Plätzen aufgebrochen. Zeit für Brockmann, etwas über die Geschichte der Kulturlandschaft zu berichten. "Bereits in der Bronzezeit entstand die Heide. Durch Bewaldung, Feuer und Rodung wurde der Wald immer mehr zurückgedrängt." Die findigen Heidjer machten das Beste aus ihrer Steppe, ließen ihre robusten Heidschnucken darauf weiden und die Bienenvölker ausschwärmen. Im Mittelalter waren Wolle und Honig, ein begehrter Süßstoff, beliebte Exportschlager. Aus Bienenwachs wurden Kerzen gezogen.
"Später, um 1800, wurde alles anders", sagt Brockmann, als wir die weiten Heideflächen verlassen und in ein Waldstück kommen. "Zucker aus Zuckerrohr zum Süßen wurde aus Übersee eingeführt. Die weiche Wolle der Merino-Schafe aus Neuseeland war begehrter als die Wolle der Heidschnucken. "Es gab die ersten Armenhäuser in den Orten, und viele Bewohner wanderten nach Amerika aus."
Unter schattigen Bäumen berichtet Brockmann von Aufforstungsaktionen und davon, wie versucht wurde, die Böden fruchtbarer zu machen. Später, 1909, als sich in München der Verein Naturschutzpark gründete, starteten die Bemühungen um großflächigen Naturschutz in der Heide, berichtet er und setzt sich für eine kleine Rast auf eine Bank unter einer großen Buche. "Wenn man bedenkt, dass hier vor einigen Jahren noch Heidelandschaft war und die Buche allein auf weiter Flur stand, hat sich doch viel verändert", so Brockmann. Heute gehört das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide mit 65 Prozent Waldanteil zu den größten Waldnaturschutzgebieten Deutschlands.
Es geht weiter, vorbei an reich tragenden Blaubeersträuchern, hohen Birken und grünen Sträuchern. Brockmann führt ab und an auch Reisegruppen aus dem Ausland nach Wilsede. Einmal waren Landwirtschaftsexperten aus Afrika dabei. "Die haben sich gewundert, weshalb man in Deutschland denn die Steppenflächen erhält. Denn in Afrika wird alles unternommen, um eine Wüstenbildung zu vermeiden." Brockmann erzählte den staunenden Gästen, dass die Heideflächen im Naturschutzgebiet mit mehr als 5200 Hektar die größten zusammenhängenden Reste binnenländischer Zwergstrauchheiden Mitteleuropas sind, die aus bäuerlicher Tätigkeit geschaffen wurden. Deshalb haben sie für die Tier- und Pflanzenwelt eine überlebenswichtige Bedeutung.
Und als Brockmann von den Umweltfaktoren berichtet, die die Heide gefährden, unter anderem Überdüngung und Luftverschmutzung, kommen wir an einen Asphaltweg, der nach Wilsede führt. "Den nutzen die Bewohner des Ortes, um schnell voranzukommen." Sie sind die einzigen, die im Schutzgebiet auf dafür ausgewiesenen Wegen mit Autos fahren dürfen. Übernachtungsgäste müssen für An- und Abfahrt mit ihren Pkw eine Genehmigung beantragen.
Nach einigen Metern biegen wir in einen kleinen Weg ab. Es geht schnell bergauf. Wir kommen zum Totengrund, nicht nur einer der schönsten Aussichtspunkte in der Lüneburger Heide, sondern auch eine Art heiliger Grund für Naturschützer. "Denn hier am Totengrund nahm die Entwicklung des Naturschutzgebietes im Jahre 1906 seinen Anfang, als Professor Andreas Thomsen aus Münster dieses reizvolle Tal kaufte, um es vor geplanten Baumaßnahmen zu schützen. Den anschließenden Steingrund erwarb der Verein Naturschutzpark e.V. 1914. Daraufhin wurde bereits 1921 die Lüneburger Heide unter Schutz gestellt", so Brockmann. Man kann sich nur schlecht von dem Anblick lösen, aber wir wollen weiter nach Wilsede und laufen auf dem "Höhenweg", der rund ums Tal führt, entlang. Schnell kommen wir an eine mächtige Eiche, die zu einem Stühbusch, also einem Baum, der im Niederwaldbetrieb genutzt und immer wieder geköpft wurde, zusammengewachsen ist. Wir schlendern durch eine mächtige Eichenallee, kommen dann unvermutet auf eine Freifläche. Hier wartet leuchtend gelber Roggen, durchmischt mit blauen Kornblumen und weißer Schafgarbe auf die Ernte. Van Gogh pur. Dahinter sieht man schon die ersten Reetdachhäuser von Wilsede. "So sahen annodazumal die Heidedörfer aus, rundherum Felder, die Häuser unter großen Eichen." Dann Wilsede: Wer hier ist, umgeben vom Heidemuseum, alten Heidehöfen und Kräutergärten, entdeckt die Langsamkeit. Hektik ist hier ein Fremdwort. Auf dem schattigen Kutschenplatz wartet Michael Schroer mit seinen Pferden "Billy" und "Lotte" auf Gäste. "Nächste Woche blüht die Heide bestimmt", sagt er. "Billy" und "Lotte" schütteln die Köpfe, verscheuchen die Bremsen und genießen die freie Zeit.
Einigen Gästen ist es egal, ob die Heide blüht, oder nicht. Wie Elisabeth Schmidt aus Fürstenberg, die mit ihren beiden Kleinkindern Sophia und Theodor sowie mit Großvater Ewald Hahn für eine Woche zu Gast in Wilsede ist. "Es ist einfach schön hier. Man kann viel unternehmen", sagt sie. Und das Gastro-Angebot stimme auch. Ob Wildschweinbraten mit Wachholderbeeren oder Blaubeertorte, selbst gebacken: gut und üppig werde in der Heide getafelt.
Wir schauen noch bei Gästeführerin Ursula Gellersen im Heidemuseum "Dat ole Huus" vorbei. "Was macht denn die Heideblüte", fragt sie den Ranger.
Nach einer Mittagspause im Hutewald machen wir uns auf den Rückweg. Zügig geht es über den Machandelweg nach Döhle. Bergab. Ein leichter Ostwind weht, macht die Hitze erträglich. Am Wegesrand die Info-Stationen für Kinder. Hier werden unter anderem das Leben der Heidschnucken, die Pflanzenwelt und die verschiedenen Heidearten erklärt. Brockmann stoppt plötzlich und hockt sich hin. "Da", sagt er und zeigt auf den Boden.
Was der Laie für einen kleinen grauen Stein hält, ist eine blauflügelige Ödlandschrecke. "Die ist sehr selten", sagt der Biologe. Wie auf Kommando breitet das Insekt seine Flügel aus und tatsächlich - das unscheinbare graue Insekt hat leuchtend blaue Flügel. Wie ein Schmetterling flattert es uns voraus, bis zum Parkplatz in Döhle. Wo die Kutscher auf Gäste und auf die Heideblüte warten.