Die Postkutsche fährt wieder durch die Lüneburger Heide
Jesteburg. Die Gäste warten schon, als die vierspännige Postkutsche vor dem Hotel "Niedersachsen" in Jesteburg vorfährt. Die schwarzgelbe Kutsche mit ihren zwei Postillionen in ihren blauroten Uniformen, Werner Herrig und Andrea Harms, bietet einen imposanten Anblick. Sieben Fahrgäste verteilen sich nun in und auf der Kutsche. Für die Passagiere auf dem Dach ist dabei Klettern angesagt: Mehrere an der Kutschwand angebrachte schmale Tritte sind zu erklimmen, um zu den immerhin 2,30 Meter hohen Sitzen zu gelangen. Dafür wird man oben mit einem wunderbaren Ausblick belohnt. Als alle aan Bord sind, gibt der Postillion das Zeichen zum Aufbruch. Schaukelnd setzt sich das hohe Gefährt in Gang. Gemächlich fährt die Kutsche in Richtung Naturschutzgebiet Lüneburger Heide.
Werner Herrig organisiert seit 25 Jahren Fahrten mit der Postkutsche. Das mit den Kutschen habe sich so ergeben, weil er sich schon von klein auf für Pferde begeistert habe, sagt Herrig. Nach einer Ausbildung im Landgestüt Celle fuhr er sowohl für den Lüneburger Postkutschenverein als auch die Gemeinde Hanstedt Postkutsche. Als Hanstedt 1979 seine alte Postkutsche ausrangierte, habe er die Gelegenheit ergriffen und die alte Kutsche gekauft. Danach kam eines zum anderen. Inzwischen bietet Herrig in seiner Fuhrhalterei in Bendestorf von der Planwagenfahrt bis zur Hochzeitskutsche alles rund ums Kutschieren an. Auch Fahrunterricht kann man bei ihm nehmen.
Andrea Harms ist heute zum ersten Mal als Groom (Beifahrerin) mit dabei. Aus Sicherheitsgründen fahren grundsätzlich zwei Leute auf dem Kutschbock mit. Eigentlich Krankenschwester, arbeitet Harms nebenbei als Fremdenführerin in Lüneburg, wobei sie ihr Hobby gleich für Stadtrundfahrten mit der Pferdekutsche nutzt.
Die Kutsche, die Herrig für seine Rundfahrt durch die Heide einsetzt, ist der Nachbau einer englischen Mailcoach aus dem 19. Jahrhundert, die jedoch auch viel in Norddeutschland eingesetzt wurde. Auch bei der Uniform legt er Wert auf historische Akkuratesse: Es handelt sich um eine nachgeschneiderte königlich Hannoversche Postuniform, die bis 1866 von den Postillionen in der Region getragen wurde, wie Herrig erklärt. Damals gehörte die Gegend noch zum Königreich Hannover.
Während die Postkutsche durch die sanft geschwungenen Felder mit grünem Mais und reifen Roggen zockelt, kommt einem unwillkürlich das bekannte Volkslied von Rudolf Baumbach in den Sinn: "...Felder, Wiesen und Auen, leuchtendes Ährengold...."
Zwischendurch erzählt Herrig immer wieder Wissenswertes und Interessantes aus der Region und der Geschichte der Postkutschfahrt. So seien früher tatsächlich immer wieder Postkutschen wegen der schlechten Straßen umgekippt. "Viele Passagiere haben sich dabei nicht einmal den Hals gebrochen, sondern sind einfach im Matsch erstickt", so der Postillion. Erst unter Napoleon habe man begonnen, die Straßen zu befestigen. Eine Kostprobe dieses "Napoleonpflasters" bekommen die Fahrgäste, als die Kutsche in Richtung der Heidefläche Töps einbiegt. "im 19. Jahrhundert war so ein Pflaster Luxus" sagt Herrig schmunzelnd.
Dem Vergnügen der Fahrgäste tut das Geschüttel keinen Abbruch. Auf dem Dach genießt Familie Schoolmeesters aus Belgien die Landschaft. Sie haben die Kutschtour zum Abschluss ihres Urlaubs in Jesteburg gebucht. Besonders zufrieden ist die 14 Jahre alte Tochter Feline, die sich für alles Historische begeistert. Aber auch unten in der Kutsche ist die Stimmung gut. Marianne Heurich hat die Kutschfahrt zum 75. Geburtstag von einer Nachbarin geschenkt bekommen. Ihr Mann Heinz begleitet sie. Zufällig fiel der Termin auf den 55. Hochzeitstag der Heurichs, so dass es gleich doppelten Grund zum Feiern gibt.
Auch Andreas und Lore Otto bekamen die Fahrt geschenkt. Anlass war Andreas Ottos 60. Geburtstag. Seine Mitarbeiter, die seine Passion für Kutschfahrten kennen, überraschten ihn mit diesem besonderen Geschenk. Mit einer Postkutsche sind sie, genau wie die anderen Gäste, aber noch nie gefahren. "Das ist schon etwas ganz besonderes", sagt Otto. "Wunderschön", findet auch Marianne Heurich.
Im Naturschutzgebiet angekommen, fühlt man sich wirklich in das Zeitalter der Postkutsche zurückversetzt: Der Sand der unbefestigten Wege knirscht unter den Holzrädern, links und recht gibt es nichts als Wald und Heidekraut, nur ab und zu ein Heidschnuckenstall oder ein Bienenzaun. Doch bald kommt wieder die Landstraße in Sicht.
Auf dem festen Untergrund darf es auch mal ein flotter Trab für die erfahrenen Alt Oldenburger Kutschpferde sein. Wer allerdings mit der Vorstellung von in wildem Galopp dahinjagenden Postkutschen aus Wildwestfilmen die Reise antritt, wird enttäuscht. "Dafür sind die Kutschen gar nicht konstruiert. Das würde alles auseinander fliegen", sagt Herrig. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechs bis acht Stundenkilometern liegt die Kutsche dennoch über dem Durchschnitt. Als es noch keine befestigten Straßen gab, kamen die Kutschen oft nur mit vier Kilometern pro Stunde voran. Spitzenreiter waren damals die Engländer mit bis zu 16 km/h, da sie bessere Straßen hatten und ein Geschirr entwickelten, das die Zugleistung der Pferde verbesserte.
Im Heidedorf Wesel wird stilecht im Gasthaus "Heidelust" eingekehrt. Die Gäste können dort regionale Spezialitäten wie Heidschnuckenbraten genießen. Allerdings sei der Wildgeschmack der Schnucken nicht jedermanns Sache, warnt der Besitzer Herbert Foth. Nach der Mittagspause ruft das Posthorn zur Weiterfahrt, und es geht zurück durch die Heide nach Jesteburg.
Angeboten wird die Postkutschfahrt jeden Mittwoch im August und September, nach Absprache auch an anderen Tagen. Eine Tour kostet 39 Euro für Erwachsene, Kinder fahren für 29 Euro mit. Anmelden kann man sich unter der Telefonnummer 04183/7319.