Das uralte Handwerk ist im Wandel. Vor allem Familienbetriebe bekommen es aber gebacken, bei allem Fortschritt Tradition zu bewahren.

Harburg. Deutsche leben im Schlaraffenland. Es gibt keine Nation, in der die Backwarenvielfalt größer ist als bei uns. Gleichwohl: Das Handwerk hat sich verändert. Viele Bäckereien sind nur noch Filialen großer Ketten, in denen tiefgefrorene Teiglinge von ungelerntem Personal vollendet und verkauft werden. Wir haben drei Familienbetriebe besucht, die es gebacken bekommen, Tradition und Fortschritt erfolgreich zu verbinden.

Backhaus Wedemann

Wenn Franziska Wedemann als Junge auf die Welt gekommen wäre, hätte ihr Schicksal festgestanden: Sie hieße Otto und wäre Bäcker geworden, so wie ihr Vater, ihr Großvater, ihr Urgroßvater. Die Chromosomen haben den Plan in vierter Generation durchkreuzt. Die Backdynastie, die Otto Wedemann I. vor fast 125 Jahren am Wilstorfer Reeseberg begonnen hat, führt sie trotzdem als Chefin in die Zukunft.

Dienstleistungsbereitschaft und Flexibilität gehören seit jeher zu den Stärken des Unternehmens. Sein Schwerpunkt ist das Liefergeschäft. Der Sprung über die Elbe liegt bereits viele Jahrzehnte zurück. Noch heute bringt es an sieben Wochentagen Backwerk zu Kunden wie Hotels, Mensen, Fluggesellschaften oder in die Stadien von HSV und C St. Pauli.

Auch vom Personal wird Flexibilität erwartet. Bäcker Thomas Bahr ist einer von 100 Angestellten. Sein Arbeitgeber ist längst kein kleiner Handwerksbetrieb mehr. In der Zentrale am Harburger Großmoorbogen wird in zweieinhalb Schichten rund um die Uhr gebacken. 25 Brotsorten, 40 Brötchensorten und je nach Saison 25 unterschiedliche Kuchen. Zu den Bestsellern gehören die fünf Arten Franzbrötchen sowie die verschiedenen Butterkuchen, Dauerbrenner in den Wedemann-Öfen.

Sieben Filialen betreibt das Unternehmen in Eigenregie. Das neue Flaggschiff im Binnenhafen wurde erst vor kurzem eröffnet, am Veritaskai mit Blick auf Harburgs Canale Grande. „Ein megageiler Standort“, sagt Franziska Wedemann, „da konnte ich einfach nicht Nein sagen.“ Für sie ist das Ganze eine Investition in einen „Stadtteil mit viel Potenzial“. Die durchgestylten Räumlichkeiten folgen dem Trend, dass eine Bäckerei heutzutage mehr sein soll als bloße Verkaufsstelle für Brot. Ab 12 Uhr füllt sich der Laden. Dann bestellt das Bürovolk des Quartiers wechselnde Mittagsgerichte ab 4,90 Euro oder lässt sich an der Salatbar Gesundes nach Wahl anrichten. Abends wird die Räumlichkeit als Location für Feiern vermietet. Um das Ambiente hat sich ein Inneneinrichter gekümmert. An einer Wand läuft Wasser senkrecht herunter, auf das per Beamer Feuer projiziert wird. Wenn im Frühjahr die Terrasse fertig ist, können die Backhaus-Gäste das Wasser auch draußen beim waagerechten Fließen beobachten. Otto I. würde staunen.

Konditorei & Bäckerei Heyderich

Monika Rathjen-Heyderich hat sich nach der Hochzeit einen Doppelnamen verpasst, weil ihre Schwiegermutter ansonsten denselben Vor- und Nachnamen tragen würde wie sie. 1995 übernahm ihr Ehemann Wolfgang den Betrieb von seinen Eltern. Seitdem setzt er auf die Rückbesinnung auf alte Backverfahren. Bei der Philosophie des „Slow Baking“ werden dem Teig bis zu 48 Stunde Ruhe und Kälte gegönnt, damit er seine Aromen voll entfalten kann. Chemische Zusätze haben Backstubenverbot. In ihm stecken nur Mehl, Wasser und Meersalz, je nach Backwerk noch Hefe oder Sauerteig. All diese natürlichen Zutaten am besten mit kurzen Wegen. Regionale Lieferanten werden bevorzugt. Dazu kommt auch hier die große Dienstleistungsbereitschaft. Der Hauptsitz mit Café hat sieben Tage die Woche geöffnet, 365?Tage im Jahr. Zwei weitere Filialen werden täglich frisch beliefert.

Den kürzesten Weg hat der Meister selbst. Seine Wohnung befindet sich gleich über der Backstube. Praktisch, wenn der Wecker bereits um 2 Uhr nachts klingelt. Der Ofen ist dann bereits automatisch gestartet. Das Handwerk erledigen er und seine Mitarbeiter computergesteuert. Back- und Ruhezeiten der Teigarten werden heutzutage nicht mehr dem Gefühl des Bäckers überlassen.

Auch der Kunde soll systematisch verführt werden. Als Showelement gönnt sich Wolfgang Heyderich einen Backofen gleich hinterm Tresen. „Vieles wird über Augen und Nase verkauft“. Und was gibt es Schöneres als warme Brötchen zum Frühstück? Hier nennt man die kleinen Bestseller Knüppel und verkauft sie für 33 Cent pro Stück. Sonntags läuft das Geschäft am besten, dann gehen schon mal 2500 Stück über die Theke. Bei Brot liebt es der Stader bodenständig. Hansebrot (Weizenmischbrot) oder Schwingekorn (Saatenbrot) gehören zu den Favoriten. Inspiration kommt aus der Schweiz. Von dort stammt das Rezept des Bürli, ein kleiner Individualist, aus dem man mit Sollbruchstelle zwei machen kann.

Der Berufsverband schätzt, dass in den vergangenen zwei Jahren mehr als 300?Bäckereien in Deutschland für immer geschlossen wurden. Jeder zweite Verbraucher glaubt, dass die Bäcker nicht mehr selber backen. Ehepaar Heyderich und seine 30 Mitarbeiter treten in Stade den Gegenbeweis an. Nach Anmeldung öffnen sie die Backstube und zeigen den Kunden die zeitgemäße Herstellung voller Tradition und Technik.

+++ Brot für die Welt +++

Bäckerei & Konditorei Harms

Der Harburger Peter Becker ist Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckereihandwerks und fordert, die Vielfalt der deutschen Brotsorten zum Weltkulturerbe zu erklären. Die Zustimmung seines Kollegen Norbert Harms hat er sicher. Gemeinsam mit Ehefrau Kerstin betreibt er in Lüneburg einen Betrieb mit Café plus fünf Filialen auf dem Lande. Die familiäre Backhistorie lässt sich bis 1898 zurückverfolgen. Allein in den 20 Jahren seiner Selbstständigkeit habe sich das Geschäft enorm verändert, so Norbert Harms. Der Kunde erwartet nicht nur Vielfalt, sondern auch Geschmack und Service. Zudem steige die Zahl der Singlehaushalte immer stärker an. Die Folge: kleinere Brote. Und der Gesundheitsaspekt spielt eine immer größere Rolle. Bei ernährungsbewussten Kunden liegen eiweißreiche Weizenvollkornsorten im Trend. Ölsamen und Sojaschrot darin versprechen nach dem Abendbrot einen unbeschwerten Schlaf.

Wer wissen will, wie es den Lüneburgern schmeckt, braucht nur am Wochenende die Menschen in der Schlange zu zählen. Dann warten bis zu 40 Kunden auf ofenfrische Harms-Brötchen, das Stück zu 32 Cent. Auch hier soll der Ofen in Riechweite die Kauflaune steigern. Nebenan, vor der offenen Backstube, kann jeder den Konditoren, Fein- und Grobbäckern bei der Arbeit zuschauen.

Traditionen sind gut fürs Gewissen. Ohne Kältetechnik, Maschinen und Computer kann eine moderne Bäckerei jedoch nicht existieren. „Wir backen täglich zwischen 8000 und 13?000?Brötchen. Die alle per Hand zu formen wäre zeitlich unmöglich und leider unbezahlbar“, sagt Norbert Harms. Tochter Frederike sorgt derweil dafür, dass die Kunden jetzt sogar auf Facebook Fan werden und ihrer Lieblingsbäckerei Fragen stellen. Zum Beispiel „Wie lagere ich mein Brot zu Hause?“ „Unverpackt in den Brotkasten, nicht in den Kühlschrank und raus aus der Plastikfolie“, sagt die Chefin. „So bleibt es eine Woche lang haltbar.“ Und Ihr Mann ergänzt: „Dafür am besten die kräftig gebackenen Sorten verlangen, mit fünf Millimeter Kruste.“ Sein Tipp zur Grillsaison: frisches Schwarzbierbrot, mit Schinken und Zwiebeln gebacken.