Buchholzer Schülerinnen beschäftigen sich mit dem Thema Magersucht. Ein Tanz-Flashmob in Hamburg soll helfen Menschen aufzuklären.
Buchholz. Johanna Henseler, 18, Corinna, Kühne, 18, Marjana Schulz, 18, und Annika Meyer, 17, sind fröhliche, aufgeschlossene Mädchen und besuchen die zwölfte Klasse des Fachgymnasiums Gesundheit und Soziales mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik in Buchholz. Als Abiturschwerpunkt haben sie ein Thema gewählt, das in westlichen Gesellschaften vor allem unter jungen Frauen immer stärker auftritt und das sehr ernst ist: Essstörungen.
Gemeinsam mit ihrem Lehrer Daniel Stude, 35, bearbeiten die Mädchen mehrere Formen der Essstörungen: Magersucht, Bulimie und Binge-Eating - das sind Fressattacken, bei denen Menschen in kurzer Zeit große Mengen von Nahrung verschlingen.
+++ Therapie gegen Magersucht per SMS +++
Zurzeit führen die vier Schülerinnen eigenständig ein Projekt über Magersucht durch. Sie erstellen einen Flyer zum Thema Magersucht und organisieren einen so genannten Flashmob in Hamburg. Dabei sollen rund 50 "Freunde", die sich über das Computernetzwerk Facebook kennen, an einem Ort, der noch geheim gehalten wird, zusammen kommen und zu Musik von Bruno Mars ("Just the way you are") und einer einstudierten Choreografie tanzen: am Sonnabend, 17. März, um 15 Uhr. Alle Tänzer tragen ein T-Shirt mit der Aufschrift "Schönheit beginnt, wo vergleichen aufhört." Gleichzeitig werden Passanten, die sich die Darbietung anschauen, mit Hilfe der Flyer über das Thema "Magersucht" aufgeklärt: Woran erkennt man sie, wie geht man mit einem Betroffenen um, und wo bekommt man Hilfe?
"Das Projekt läuft über drei Monate und fordert die Schüler sehr", sagt Lehrer Daniel Stude. "Die Schüler müssen sich ihr Thema selbst suchen und von der Sponsorensuche bis zur Öffentlichkeitsarbeit selbst auf die Beine stellen."
Johanna interessiert sich für das Thema Magersucht, weil ihre Mutter ihr von einer Freundin erzählte, die in der Schulzeit magersüchtig war und lange in Therapie war. Corinna hatte das Buch "Leicht wie ein Schmetterling - Evas Weg aus der Magersucht" gelesen. "In dem Buch lernt man, was hinter der Magersucht steht", sagt Corinna. "Das Buch hat mich fasziniert."
In einer Kurzbeschreibung zum Buch heißt es: "Kann es härtere Gesetze geben als die, nach denen Eva lebt? Perfekt muss sie sein, ihr Körper, ihre Schulnoten, ihre Beziehungen und ihr Verhältnis zu Gott. Und ihr ausgemergelter Körper ist ihr Beweis genug, dass sie alles im Griff hat. Dabei steckt sie selbst längst fest im eisenharten Griff jener Krankheit, die weltweit Menschen versklavt: der Magersucht. Dieses autobiografisch geprägte Buch ist eine Reise durch die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen mit Essstörungen. Bewegend und authentisch schildert es, wie ein Mädchen den Weg aus der Sucht findet."
+++ Liegt Magersucht in den Genen? +++
Man könne sich vor dem Thema Magersucht nicht abwenden, sagt Annika. "Viele Mädchen stehen unter dem weit verbreiteten Schönheits- und Schlankheitsdruck. Überall sieht man schlanke Modells und liest von Diäten."
Lehrer Daniel Stude vermittelt seinen Schülern, dass das Hungern oft nur "ein Mittel zum Zweck ist. Eigentlich geht es darum um ganz andere Konflikte, meist in der Familie. Ein zentraler Konflikt ist das Streben nach Autonomie. Magersüchtige versuchen aber auch, durch die Kontrolle über ihr Gewicht ihren Selbstwert zu stabilisieren und durch ihre Schlankheit eine unabhängige Identität zu erlangen. Behandlungsbedürftig ist meist nicht die Magersüchtige alleine. Oft werden systemisch-familientherapeutische Behandlungen empfohlen."
Marjana hat eine 17 Jahre alte Freundin, die magersüchtig ist. "Julia (Name geändert, die Red.) war immer normal gebaut. Früher hat sie Essen geliebt. Irgendwann fing sie an, jede Kalorie zu zählen. Sie hat immer mehr Sport gemacht und immer weniger gegessen - keine Tiefkühlkost, nichts mit Soße, nur Obst und Gemüse. Irgendwann hat sie nur noch Brühe getrunken."
Marjanas Freundin nahm immer mehr ab, bis auf 45 Kilo bei einer Größe von 1,76 Metern. "Man hat ihre Adern an den Knochen und an den Händen gesehen, und Julias Hände und Füße waren immer kalt", sagt Marjana. "Ihr sind die Haare ausgefallen und die Menstruation ist ausgeblieben."
Julia wurde immer gereizter, hat alles persönlich und meist als negativ wahrgenommen. Wenn sie aus der Schule nach Hause kam, fing sie erst einmal an, die Wohnung zu putzen. "Wichtig ist, sie nicht zum Essen zu zwingen, dann macht sie dicht", sagt Marjana. "Und sie muss spüren, dass sie geliebt wird, so wie sie ist."
Mittlerweile macht Julia eine Therapie. Und ganz langsam wächst ihre Einsicht, dass sie krank ist und Hilfe braucht.