Von kasernenartigen Trutzburgen zur lichtdurchfluteten dezentralen Pavillon-Anlage im Grünen - Schularchitektur im Wandel der Zeit.
Harburg. Wer immer im Hamburger Rathaus in den vergangenen Jahrzehnten am Ruder war, einen nachgerade gigantischen Sanierungsstau an den Schulen der Stadt konstatierten alle. Ex-Schulsenatorin Christa Goetsch bezifferte den Finanzbedarf vor zwei Jahren auf insgesamt 4,6 Milliarden Euro. Allein 3,4 Milliarden waren für Sanierungen vermerkt, 1,2 Milliarden für Neubauten.
Als die Goetsch-Vorgängerin Alexandra Dinges-Dierig Ende Oktober 2007 an der Seite ihres Kollegen, Stadtentwicklungssenator Axel Gedaschko, den symbolischen Spatenstich zum Neubau der Ganztagsschule Maretstraße vollzog, wurde zugleich deutlich, wie gewaltig der Sanierungsstau auch und gerade südlich der Elbe ist. Der Vertrag mit dem städtischen Unternehmen GWG Gewerbe, einer Saga-Tochter, über die Modernisierung und Bewirtschaftung von 32 Schulen bis ins Jahr 2032 wies ein Investitionsvolumen von 650 Millionen Euro aus. Nicht ganz überraschend. Viele Harburger Schulen sind Jahrzehnte alt, der Sanierungsbedarf entsprechend groß.
Der historische Teil der Schule Maretstraße stammt aus dem Jahr 1904, die Grundschule Dempwolffstraße wurde 1911 gebaut. Sie sind das Ergebnis einer starken Industrialisierungsphase Hamburgs zum Ende des 19. Jahrhunderts. Neue Firmen entstanden, mit einem entsprechenden Bedarf an Arbeitskräften. Also bedurfte es auch vieler neuer Schulen, die vornehmlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Entwürfen des Harburger Stadtbaurats Friedrich Homann entstanden - zeittypisch im Stil der Neogotik.
"Die Gebäude waren in der Regel ziegelsichtig und zeigten ein reichhaltiges Gestaltungsrepertoire", so das Fachbuch "Harburg und Umgebung" des Hamburger Verlags Christians. Charakteristisch für die kasernenhaften, mehrstöckigen Bauten seien seinerzeit vertikale Pfeiler, Spitzbogenfriese und Putzblenden gewesen.
Trutzige Backsteinbauten prägten auch die Architektur der Weimarer Republik. In den 20er- und 30er-Jahren entstanden unter anderem die Kerschensteiner Oberrealschule und die Friedrich-Ebert-Halle am Alten Postweg. "Schulbauten reflektierten schon damals, was sich der Staat von der Schule verspricht, will er sich doch in den Schülern reproduzieren", sagt der namhafte Hamburger Architekturkritiker und Publizist Professor Gert Kähler. Sozialdemokratisch geprägt sollten die sogenannten Volksschulen der Weimarer Republik "alle Kinder aus allen Gesellschaftsschichten unter einem Dach vereinen". Bis zu 80 Schüler pro Klasse waren 1922 keine Seltenheit.
Wichtigster Vertreter des "Neuen Bauens" war Friedrich Wilhelm Schumacher, legendärer Hamburger Stadtbaudirektor von 1909 bis 1933. Er konzipierte die Schule oft als zentralen Ort einer neuen Siedlung. Sie sollte zugleich eine Art "Volkshalle" sein, in der nicht nur gelernt, auch gelebt wird. Schumacher, der von 1943 bis 1947 in Lüneburg lebte, entwarf neben den Backsteinsiedlungen Veddel und Dulsberg auch das Tropeninstitut, die Davidwache auf St. Pauli und das Museum für Hamburgische Geschichte.
Im Dritten Reich entstanden kaum noch neue Schulen, das Geld floss vornehmlich in die Aufrüstung und protzige Führerbauten. Erst Anfang der 50er-Jahre kam es unter Paul Seitz, seinerzeit Leiter des Hochbauamtes, zu einer neuen Blüte des Schulbaus. Vorangegangen war eine lange Diskussion darüber, wie sich die neuen pädagogischen Konzepte auch in einer neuen Schularchitektur abbilden lassen. Entscheidende Forderungen waren die Bildung kleinerer Schuleinheiten in großzügigen Anlagen mit Sporthalle und Spielwiese im Grünen. Seitz entwickelte daraus eine Reihe von Serienbautypen. Zum einen das "Hamburger Klassenkreuz" mit einem zentralen Treppenaufgang in der Mitte und vier Flügeln mit Klassenräumen. Zum anderen die Pavillon-Schule, zumeist ein- und zweigeschossige Baueinheiten für jeweils zwei Klassen sowie vorgelagerter Pausenhalle/Mensa. Ein klassisches Beispiel für diesen Typ ist die Heimfelder Grundschule in der Grumbrechtstraße.
"In diesem Typ sollte sich die Emanzipation der einzelnen Klasse ausdrücken, als Teil eines demokratischen Systems", so Professor Kähler. "Diese Bauweise entsprach auch ganz der polyzentrischen Stadtentwicklung in den 50er- und 60er-Jahren, in der sich nicht zuletzt der angestrebte Hierarchieabbau dokumentierte."
Durch die Zunahme industriell vorgefertigter Bauelemente, entwarf Seitz Anfang der 60er-Jahre den "Hamburger Wabenbau". Die Form sechseckiger Module, wie in der Grundschule Alte Forst, unterstrich die pädagogische Forderung nach dem Kreis als Grundlage des modernen Unterrichts, in dessen Folge auch die Sitzordnung aufgelöst wurde in locker gruppierte Vierertische. "Diese Bauform unterstützte nicht nur die Ablösung des Frontalunterrichts, sie entsprach auch dem Ideal der ,Schule im Grünen'", so die Autoren des Fachbuchs "Harburg und Umgebung".
Jüngster Harburger Schulneubau war die Grundschule "Am Johannisbad", vormals Quellmoor. "Allein 2012 werden 35,9 Millionen Euro für Schulbaumaßnahmen in den Hamburger Süden fließen", so Daniel Stricker, Sprecher der Hamburger Finanzbehörde. Weitere 130 Millionen sollen in den nächsten Jahren bereitgestellt werden.