Doris Dörr hat ein Kinderbuch über den Hafengeburtstag herausgebracht

Wilhelmsburg. Ihre Werkzeugkiste hat sie gleich vor ihrer Haustür. Zumindest von Weitem: Wenn Doris Dörr aus den Fenstern ihres Dachateliers in einem ehemaligen Industriegebäude in der Wilhelmsburger Jaffestraße blickt, breitet sich vor der Zeichnerin ein phänomenales Panorama aus: Fernsehturm, Michel, die düstere Katharinenkirche, ein Heißluftballon, der gerade über den Deichtorhallen schwebt, aber auch die ehemalige Giftmülldeponie Georgswerder, scheinheilig als friedlicher Grashügel da liegend, der düstere Flakbunker von Wilhelmsburg, der Rethespeicher und natürlich die Köhlbrandbrücke ergeben ein nahezu komplettes Hamburg-Panorama.

"Wenn die Sonne wie gestern als gelber Ball hinter der Kohlbrandbrücke auftaucht, und es auf den Hochhäusern zu glitzern beginnt, ist das wie eine Schmuckschatulle." Alle diese Hamburg-Schätze wurden mit dem Bleistift von Doris Dörr bereits auf dem Papier lebendig: Seit zehn Jahren lebt die Zeichnerin zusammen mit dem Künstler Ulf Harten in Wilhelmsburg. Unter Dachschrägen in einem verwinkelten Atelier, mit dem speziellen Industriecharme am Kanal, umgeben von Libellen, Seerosen, aber auch Stahlschlossern, die an Schiffsteilen bauen, Containern, Lkws und einer Handvoll Kreativer, die Ruhe und Inspiration suchen.

Gerade hat Doris Dörr, die tatsächlich so heißt und sich manchmal Vergleiche zu Doris Dörrie und Doris Day anhören muss, ein Kinderbuch im Eigenbuchverlag "trockenbuch" herausgebracht.

"Oskar und Lotti und der Hafengeburtstag" heißt das Abenteuer auf 36 bunten Seiten. Die Stars: Oskar und Lotti, zwei kleine Schiffe, die das erste Mal an der großen Schiffsparade auf dem Hafengeburtstag teilnehmen. Dabei müssen allerlei Abenteuer bestanden werden. "Inspiriert wurde das Buch von unseren Spaziergängen in Hafenecken", sagt Dörr. Und weiter: "Wir sind große Hafen- und Fabrikecken-Erkunder. Von hier aus sind es nur ein paar Minuten in den Zoll- und Freihafen." Die Kräne, die Umrisse des Rethespeichers, all das fand Eingang in ihr Kinderbuch, das auch eine "Liebeserklärung an die Stadt ist."

Doris Dörr verführt ihre Leser zum Gucken

Das Buch weckt Erinnerungen an die Kindheit: Da waren doch diese großen Bücher im Kinderzimmer, die mit der Vielzahl an Szenerien. "Die Wimmelbilder?", fragt Dörr am Holztisch in ihrer Küche, wo sie ziemlich starken Milchkaffee serviert, und grinst. Dörrs Haare schimmern ein wenig rötlich, gerne fallen sie ein bisschen ins Gesicht.

Dörr wirkt dann fast schüchtern, die Aufmerksamkeit ein wenig scheuend. Genau, die Wimmelbilder mit dieser Lust am Sehen. Auch Dörr verführt ihre Leser zum Gucken, und das bewusst. Aber sie gibt ihnen gleichzeitig auch einen kleinen Navigator an die Hand, eine himmelblaue Lupe, mit der man sich auf einen Bildausschnitt konzentrieren kann. Spannend findet die Künstlerin, welch unterschiedliche Dinge ihre Leser im Buch entdecken.

Doch bei Dörr gibt es nicht nur die Lust am Bild, sondern auch die am Text: "Gewissermaßen hatte ich immer zwei Baustellen." Wichtig sei gewesen, mit Sprache in dem Kinderbuch Bilder zu malen, sinnlich zu arbeiten." Zum Beispiel für das Kreischen der Möwen neue und lebendige Wörter zu erschaffen. Doch da dürfte Dörr im fünften Stockwerk zu Hause wohl auch besonderen Anschauungsunterricht gehabt haben.

Öffnet man die Dachschrägenfenster im Künstlerwohnzimmer, in dem eine 70er-Jahre Schneiderpuppe von der Decke baumelt und eine Barecke mit orangefarbenen Flohmarkt-Geschirr-Raritäten prunkt, so findet man sich Auge in Auge mit den Möwen wieder. Sogar seltene Arten wie den rotbeinigen Austernfischer will ein Vogelfreund hier schon gesichtet haben. Wenn man den Kopf weit aus dem Fenster streckt, glaubt man im ersten Moment ein wenig Seetang zu riechen. Vielleicht ist es auch irgendein Industriegeruch, genau weiß das in Wilhelmsburg keiner.

Das Künstlerpaar ist seit 20 Jahren in der Szene aktiv, zeichnet Comics, stellt zusammen Konzeptausstellungen wie den Comicsupermarkt oder die Ausstellung "Am Anfang war der Strich" auf die Beine oder nimmt sich auf witzige Weise der psychischen Befindlichkeit von Piktogrammen an. Aber wie kommen Doris Dörr und Ulf Harten nach Wilhelmsburg? "Durch Freunde", lautet die Antwort, "die hier schon wohnten". Da sei der Sprung über die Elbe in das Wilhelmsburger Künstlerhaus mit dem steilen Treppenhaus nicht mehr so krass gewesen. Doch es gilt trotz aller Industrieromantik auch: manchmal ist das Wohnen hier auch anstrengend.

Künstler Ulf Harten steckt den blonden Kopf kurz zur Tür herein, serviert einen Streuselkuchen und verschwindet im Atelier. Bekannt ist er durch den Kalender "Hamburg total" mit Stadtansichten, die vom Fischmarkt über den Kiez bis hin zum Brauereiquartier reichen. Leute nennen ihn auch den "Stadtkarikaturisten". Eigentlich kein Wunder, wenn man den Blick aus den Fenstern des Künstlerpaares kennt.

Die Hafenliebhaberin hat Motive selbst erkundet

Doch trotz des Sprungs über die Elbe dürfte die Industrieecke um die Jaffestraße für viele ein gefühltes Niemandsland sein. "Einmal", sagt Doris Dörr, "musste ein Heißluftballon auf unserem Hof notlanden." Nichts Dramatisches. Aber die Passagiere seien froh und erstaunt gewesen, dass hier überhaupt Menschen wohnen und sie nicht auf einem Berg Container gelandet seien. Die Hafenliebhaberin Dörr hat ihre Motive aus dem Buch auch schon zu Wasser erkundet: richtig "Huckelberry Finn-mäßig" mit dem eigenen Holzfloß und Außenbordmotor. 20 Leute konnten darauf Platz finden und der Kapitän fiel schon mal in den Jaffekanal.

Mittlerweile fallen der Künstlerin aber nicht nur die Schönheiten Wilhelmsburgs, sondern auch die Baustellen durch IBA und igs auf. Bagger, aufgewühlte Erde und leider auch uralte Bäume, die plötzlich der Sanierung weichen müssen. Die Hoffnung der Künstlerin ist: "Dass die weiteren Entwicklungen in Wilhelmsburg mit Weitsicht angegangen werden." Dabei findet Dörr, die zuvor in Altona und im Karolinenviertel wohnte, Veränderungen nicht per se schlecht. Eine stärkere Durchmischung der Bewohner, die die Umgestaltung mit sich bringe, könne auch Erfahrungen eröffnen. Doch sie liebe eben auch die Schönheit der Brachen, das Überwucherte und hoffe, dass der "Hunger der Stadt nach Platz" sich nicht alles einverleibe.

Zuletzt verrät Dörr, dass sie zu ihrem neuesten Werk schon eine Videomail als Rezension bekam. Kindern aus Frankfurt gefiel ihr maritimes Hamburg-Buch ausgezeichnet. Besonders die letzte Seite. Mehr wird nicht verraten.

"Oskar und Lotti und der Hafengeburtstag" ist in allen Harburger Buchhandlungen sowie der Buchhandlung Lüdemann in der Fährstraße erhältlich und kostet 17,80 Euro.