In der Harburger Kultur brodelt es, Ideen werden diskutiert und Neues gefordert. Stefanie Maeck bittet zum Kaffee, bei dem einiges umgerührt wird.

Die Geschichte, wie die junge Frau Doktor, die gerade schwungvoll durch die Drehtür wirbelt, am Harburger Theater landete, ist einfach zu gut. Dr. Nuca Selbuz (32) sitzt an der Fensterfront in der Helms-Lounge, lässt sich das Gesicht von der Aprilsonne bescheinen und erzählt, wie damals in ihrer Wohnung in Hannover das Telefon klingelte. "Axel Schneider war dran, der gerade die Leitung des Harburger Theaters und der Hamburger Kammerspiele übernommen hatte." Ob sie nicht ins Team wolle, fragte er. Von Harburg hatte die Kulturwissenschaftlerin mit Promotion über Kulturpolitik eigentlich nie gehört, und "gewundert" habe sie sich nach dem Blick auf die Karte auch, was Schneider "da" jetzt wolle.

Mit einem Ticket für 200 Euro fuhr die Kulturwissenschaftlerin los und setzte Stunden später ihren Fuß in der Gemeinde Harburg in Bayern auf den Bahnsteig. "Dort erklärte mir ein Pastor, dass es eine Gemeindetheatergruppe gäbe und die einmal im Monat probte: Irgendwie war sofort klar, dass ich im falschen Harburg gelandet war."

Mittlerweile ist Nuca Selbuz, ganz in Schwarz gekleidet, in Hamburg-Harburg angekommen. Seit fünf Jahren. Und zwar als stellvertretende Intendantin. Ganz richtig. Zweimal die Woche bringt die Kulturwissenschaftlerin mit den lebendigen braunen Augen und dem zypriotischen Namen frischen Wind ins gläserne Foyer. Was sie hier genau mache? "Vor allen Dingen Netzwerk- und Basisarbeit", blitzt es aus Nuca Selbuz, die hier im Umkreis wohl jeden Elektriker, jeden Schneider und jeden Copyshop kennt.

Und einen ganz "schönen Spagat" muss sie manchmal auch machen. Gerade kommt sie mit der Bahn aus Hittfeld, wo sie nicht nur endlos am Bahnsteig warten musste, sondern auch eine Seniorenanlage besuchte, für die Harburg als "kriminelles Pflaster" eher vom Theaterbesuch abschreckt. Andererseits seien da "die jungen Leute", die man auch ansprechen wolle. "Schade" finde sie ja, dass das Publikum derzeit vor allem "aus dem Speckgürtel" komme, die "direkten Nachbarn" sagt Nuca Selbuz und blickt aus den hohen Fenstern hinaus auf den leeren Museumsplatz vor dem Theater, kämen eher nicht. "Desinteresse an Kultur", so müsse man das wohl sehen. Dabei hat Nuca Selbuz, die zu Kaffee bei dezenter Loungemusik zwei sündhafte Sahnefruchtschnitten ordert, jede Menge Ideen für Harburg. Ein Grund, warum sie sich auch im Gesprächskreis Suedkultur engagiert.

Das Wichtigste für das "Metropolenkind" mit Stationen in Paris, Madrid, Hannover und Hildesheim, wie sie sich selber grinsend nennt, ist am Theater die "lebendige Übertragung", dass da "etwas rüberkommt - eine Reaktion." Damit hat sie sich sogar wissenschaftlich-physikalisch beschäftigt. In Harburg sei das Publikum ziemlich "unmittelbar", das mag sie. Viele Briefe kämen, auch kritische. Manchmal auch zu "Kleinigkeiten" wie dem Plastiksteak als Requisite, das nicht so ankam. Oder eine Zuschauerin, die ihr recht schüchtern bei einer Premiere sagte, dass sie sich kaum auf das Stück konzentrieren könne, da ein Teil der Bordüre am Bühnenvorhang schon seit einiger Zeit schadhaft sei. "So was ist einfach toll."

Nuca Selbuz ist aber auch gut für den "Blick über den Tellerrand". Für frischen Wind in Harburg, so wirkt es, würde sie alles geben: Und dabei ist klar: "Als Theater muss man auch aus seinem Kämmerlein heraus gehen." Nach dem Vorbild von Paris, wo Nuca Selbuz an der Sorbonne studierte, ist ihr heimlicher Traum die "Harburger Tafel". Etwas Soziales? "Nein, dabei stellt jeder Mensch seinen Privattisch auf die Straße, rund herum wandeln Künstler und Schauspieler und spielen." Rund um die Seine sei das so. Und eins ist auch klar: Jammern ist nicht bei Nuca Selbuz, die nicht nur fröhlich, weltoffen, unprätentiös und "neugierig ist", wie sie selbst sagt, "Baustellen mag", sondern auch eine ziemlich praktische Ader besitzt. "Kulturelle Innovation darf nicht von Geldern abhängen", findet sie. Zur Not müsse man sich "die Szene" eben selber in Harburg schaffen. Manchmal hat sie als Eimsbüttlerin, die auch am Altonaer Theater und eben in Harburg zu Hause ist, "das Gefühl", unter den Harburger Kulturleuten dominiere das "Kleinkarierte". Irgendwie wolle man sich in der Kultur nicht so recht vernetzen: kleinliche Animositäten hier, Neid da.

Von den Ideen, die aus ihr heraussprudeln, ist die Übernahme des "Tupperware-Prinzips" fürs Theater spannend. Dabei kann jeder, der neugierig ist, das Theater zu sich in die gute Stube einladen. "Wir rücken dann mit Schauspieler und Maskenbildern auf der heimischen Couch an, zeigen, wie man von alt auf jung geschminkt wird." Und Zeit für die blödesten Fragen sei auch. Zum Beispiel "Was macht eigentlich eine Intendantin?" Was sagt Nuca dann? "Na, dass sie ganz viel lesen, Stücke gucken und sich Gedanken über die Richtung des Theaters machen dürfe."

Überhaupt: warum sollte nicht jeder Neu-Harburger einen "Kulturgutschein" bekommen, findet Nuca, eine Art Kulturpaket aller Kultureinrichtungen, um mal gratis Kulturluft zu schnuppern. Apropos Luft. Beim Gang durch die Harburger Spielstätte verrät die Kulturfrau auch ihren Lieblingsmoment am Theater. "Riech mal", sagt sie, beim Öffnen der Saaltür des Harburger Theaters. Drinnen herrscht das seltsame Theaterhalbdunkel. "Da ist so ein modrig-staubiger Geruch, irgendwie nicht ganz rein. Das erinnert mich an den alten Kostümkasten aus der Kindheit." Nuca zeigt noch die denkmalgeschützten Lampen, die dieses "bestimmte schummrige Licht abgeben", auch etwas Besonderes an so einem alten Theater. Und dann natürlich Sitzreihe sechs, Platz eins, wo Regielegende Hans Fitze immer auf dem roten Polstersessel zu sitzen pflegte. Und noch eine Erkenntnis: Auf der kleinen Bühne "kann der Schauspieler tatsächlich in jedes Gesicht sehen." Die altmodische Holzvertäfelung im Saal? "Die ist gut für die Stimme. Und schau mal, da ist der Souffleusenkasten, wollen wir den nicht für das Foto nehmen?" Nach vier Stunden geht ein tolles Kulturgeflüster im Theater zu Ende.

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