14 Freiwillige der Stadtteildiakonien in Harburg haben vier Wochen von 359 Euro gelebt. Nur wenn man weiß, wie es Betroffenen geht, kann man etwas unternehmen, sagen sie.
Harburg. Keine Bio-Produkte, kein Coffee-to-go, kein Franzbrötchen, keine Eintrittskarte für das St.-Pauli-Fußballspiel... Wenn Stadtteildiakonin Julia Stephan (29) von ihren Erfahrungen mit ihrem Versuch, vier Wochen lang von Hartz-IV-Bezügen in Höhe von 359 Euro zu leben, berichtet, ist viel von Verzicht die Rede. "Ich habe großen Respekt vor Menschen, die dies schon jahrelang durchhalten", sagt sie. Gemeinsam mit 14 Freiwilligen hat sie an einer Aktion der Stadtteildiakonien Heimfeld und Süderelbe teilgenommen. Während der Fastenzeit wollten sie testen, wie es ist, vier Wochen lang mit Hartz-IV auskommen zu müssen. Stephan und ihre Mitstreiter haben sich regelmäßig zu Gesprächen in den Räumlichkeiten der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Trinitatis an der Bremer Straße eingefunden. Gestern endete die Aktion. "Ich bin froh, dass es vorbei ist", sagt sie. Und so geht es auch den anderen Teilnehmern, auch denjenigen, die sehr gut mit wenig Geld haushalten können. Besonders schlimm sei es, nicht mehr am kulturellen Leben teilhaben zu können. "Kino, Theater, Zoobesuch - das ist bei dem knappen Budget nicht mehr drin. Mit Freunden essen gehen - für viele Harburger etwas Selbstverständliches - geht auch nicht", so Stephan. Man ziehe sich zurück, führt ein sehr reduziertes Leben. "Alles dreht sich nur ums Essen. Wenn man irgendwo günstiges Obst ergattern kann, ist das toll." Ein, zweimal sei sie schwach geworden. "Da habe ich mir unterwegs einen Kaffee gekauft. Danach hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil das restliche Geld dann nicht mehr für Lebensmittel reicht, die ich einkaufen wollte." Und Geldsparen für unvermutete Ausgaben geht auch nicht so einfach. "Ich hatte 20 Euro übrig. Die musste ich in Kontaktlinsenflüssigkeit investieren."
Horst Hinrichsen (58) nickt. Er gehört zu der Gruppe, für die Hartz-IV kein vierwöchiger Test ist, sondern seit Jahren Alltag. Seit 2005 ist der arbeitslose Maschinenbauingenieur auf Hartz-IV angewiesen. Während der Treffen der Projektgruppe hat er unter anderem Einkaufstipps gegeben und gezeigt, wie man sich ein günstiges Mittagessen zubereitet.
"Zwangsweise weiß man irgendwann, wie man mit Hartz-IV über den Monat kommen kann. Dazu ist viel Disziplin nötig", sagt er. Und es darf nichts dazwischenkommen, was den Ausgabenplan durcheinander bringt. Wie vor einigen Monaten, als seine Brille zerbrach. "Ich musste das eine Glas erst einmal kleben lassen und habe mir dann die 107 Euro für eine neue Brille zusammengespart."
Am schlimmsten sei für ihn die Untätigkeit. "Ich würde viel lieber morgens um 5 Uhr aufstehen und zur Arbeit gehen. So, wie andere auch", sagt er leise. Dann erzählt er von den vielen Bewerbungen, die er schon geschrieben hat und von den Absagen. "Einmal habe ich mich getraut, nachzufragen, warum sie mich nicht genommen haben. Denn angeblich werden doch Hochqualifizierte wie ich gebraucht." Der Personalchef habe ihm gesagt, es liege an seinem Alter. Momentan macht er an einer sogenannten Jobaktivierungsmaßnahme mit. "Da zeigen sie mir unter anderem, wie ich mich zu einem Vorstellungsgespräch anzuziehen habe und wie ich Bewerbungen schreiben muss - das weiß ich alles. Es gibt halt für mich keinen Arbeitsplatz", sagt er und schüttelt den Kopf. "Man muss sich dazu zwingen, nicht aufzugeben, nicht den Mut zu verlieren, weiterzumachen."
Horst Hinrichsen engagiert sich nun ehrenamtlich in der Kirchengemeinde, hilft mit, den Frühstückstreff und das Kuchenbuffet zu organisieren. Das ist gut für sein Selbstwertgefühl. "Wenn Herr Hinrichsen die Tische deckt, sieht es hier aus, wie in einem Hotel. Viele Besucher freuen sich an der schönen Deko", sagt Julia Stephan, und der 58-Jährige lächelt, ist stolz über das Lob.
Zu diesen Angeboten der Gemeinde kommen viele Harburger aus prekären Verhältnissen. "Die Leute verarmen immer mehr", sagt Julia Stephan. Sie hofft, dass nicht nur die Projektteilnehmer, die nicht auf soziale Leistungen angewiesen sind, für die Nöte der Langzeitarbeitslosen sensibilisiert werden. "Denn nur wenn man weiß, wie es diesen Leuten geht, kann man etwas unternehmen." Und Arbeitslosengeld-II-Empfängern wünscht sie so viel Mut, wie Horst Hinrichsen ihn hat. "Hoffnungslosigkeit gibt es bei mir nicht", sagt er.
Arbeitgeber, die den Maschinenbauingenieur Horst Hinrichsen einstellen möchten, können sich mit ihm unter 53 27 03 37 mit ihm in Verbindung setzen.