Die Schauspieler gestalten ihre Rollen für die Hofmannthals “Frau ohne Schatten“. Aber ohne die Regisseurin Loretta Wollenberg läuft gar nichts.
Jesteburg. Dunkel ist es, nur ein paar LED-Lämpchen glimmen auf der Bühne. Musik kommt vom Band, dann durchschneidet ein durchdringender Schrei die Stille. "Licht!" Erster Akt, erste Szene von Hugo von Hofmannsthals "Frau ohne Schatten" in der Regie von Loretta Wollenberg. Die Theaterfrau mit Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien hat einen der einfachen Stühle des Jesteburger Gemeindehauses vor die Bühne geschoben. Ihre Augen folgen gebannt Silke Jasmin Koch, die in einem exotischen Gewand auf der Bühne steht: auf dem Kopf ein Putz aus Federn und Perlen. Zur Generalprobe hat Koch großzügig weiße Schminke aufgetragen, was ihr die Aura eines Mephistopheles verleiht: mit düsterer Miene deklamiert die Grafikerin aus Stelle die Verse des Fin de Siècle-Dichters Hofmannsthal und findet überraschend eindrückliche, an das asiatische Theater erinnernde Gesten.
Eigentlich zählt die junge Frau aus Stelle zur ersten Schauspielergeneration der Jesteburger Kammerspiele, einer Laienschauspielgruppe, die Loretta Wollenberg 2003 ins Leben rief. Doch nicht nur Amateure wagen hier ihre ersten mimischen Schritte. Auch Profis arbeiten gerne mit Wollenberg, die bei namhaften Regisseuren assistierte, unter anderem an der Hamburgischen Staatsoper oder in Häusern in München und Salzburg. Manuel Luna-Homeyer ist so einer: Schauspiel hat er studiert, wohnt in Hamburg, steht im "Sprechwerk" auf der Bühne und war zuletzt in einer Rolle in Fatih Akins Film "Soulkitchen" zu sehen. In Jesteburg mimt Homeyer den "Kaiser", eine Figur, die nach Wollenberg "das westliche Prinzip" in Hofmannsthals Stück verkörpert: für kalten Materialismus, Egozentrismus und einen fatalen "Narzissmus" steht. Als Partnerin an seiner Seite ebenfalls ein Profi: Katharina Wessels ist zwar zur Probe noch nicht eingetroffen, da sie noch in Hamburg beim Filmdreh weilt: Doch am Premierenabend wird Wessels die "Kaiserin" in einem Traum aus Plastik spielen: Für ihr Kostüm wurden Duschvorhänge von Ikea einer neuen Bestimmung zugeführt - auch hier ein symbolischer Verweis auf Kälte.
"Loretta, kannst du noch mal gucken?" Immer wieder wird die Regisseurin mit dem ansteckenden lauten Lachen von den sieben Schauspielern im Raum um ein kleines "Kostüm-Coaching" gebeten. Karsten Wildeisen aus Bendestorf, Studiendirektor und ehemaliger Lehrer für Englisch und Französisch, sitzt in einem voluminösen braunen Umhang vor einem Sammelsurium an Hüten und hätte da noch eine Idee für seine Rolle. Warum den "Geisterboten" im Stück, der einen spektakulären Kopfputz mit Hörnern trägt, nicht noch mit einer "Yin und Yang"-Maske verfeinern? Und die zieht er gleich aus der Tasche. Die Idee passt: Denn in der Oper von Richard Strauss, zu der Hofmannsthal das Libretto schrieb, stoßen buchstäblich Welten aufeinander. Ein Kaiserpaar herrscht in einem Traumland: egoistisch, kalt und dem Miteinander abgewandt. Demgegenüber steht die irdische Welt des Färbers "Barak", eine Figur, die der freiberufliche PR-Experte Markus Schmidt aus Sprötze mit beachtlicher Präsenz versieht: "Das ist die eigentlich humanistische Figur im Stück", sagt Wollenberg, die über die "Frau ohne Schatten" ausreichend meditiert hat. "Für mich stoßen im Stück westliche und östliche Grundprinzipien aufeinander. Bewusst nahm Wollenberg Assoziationen aus dem japanischen Theater und dem No-Spiel auf. "Doch das Spannendste war, erst mal die Musik der Strauss-Oper aus dem Kopf zu bekommen und jeder unserer Figuren eine eigene Diktion zu verleihen."
Vielleicht macht Theaterspielen auch ein wenig süchtig: Einige der jüngeren Mitstreiter hat das Theaterfieber gepackt: Henrike Holtz nestelt an dem roten Kopfschmuck der "Färberin", den sie in der "Verführungsszene" tragen wird. Zwei Wochen nach der Premiere wird sie zum Vorsprechen an die Schauspielschule nach Salzburg fahren, im Moment studiert die 23-Jährige noch Psychologie in Hamburg. Alexander Förster, ebenfalls Psychologiestudent mit kantiger dunkler Brille (26), probiert in der Ecke bei der Garderobe leuchtendrote Seidenflügel an: Er gibt den "Falken" im Stück und verblüfft in der Jagdszene mit einer spektakulären Bewegungschoreographie, die dem Kampfsport Capoeira abgelauscht ist.
Ideen dürfen bei der Probenarbeit eingebracht werden: "Wir entwickeln die Figuren gemeinsam", sagt Amateurschauspielerin Silke Jasmin Koch. Doch eins ist auch klar: Das Sagen hat immer die Wollenberg, "Loretta" wie sie hier alle kumpelhaft rufen. PR-Fachmann Schmidt verrät noch mehr: "Loretta kitzelt das Letzte aus uns raus, manchmal fließen auch Tränen." Genannte lächelt - und kommentiert das nicht. Und der Premierenabend? Nesthäkchen Sarah-Victoria Sauer aus Sprötze, 15 Jahre alt und ebenfalls die Schauspielschule im Blick, hat für den kommenden Freitag ein geeignetes Rezept gegen das Lampenfieber, das sie immer erst am Tag der Aufführung befällt: "Ich schaue nie die Leute an, sonst muss ich lachen."
Dass Loretta Wollenberg in Jesteburg schon mal als "irgendwie schräg" gilt oder als "Kulturschock", ist der langjährigen NDR-Lektorin eigentlich egal. Auch eine finanzielle Unterstützung der Kammerspiele durch die Gemeinde lehnte die Kulturfrau nach politischen Querelen anlässlich ihrer Antragstellung ab und setzt nun auf private Sponsoren für ihre Kammerspiele. "Ein Sommernachtstraum", "Mozart op Besoek in Jesborg", "Amadeus" oder eben jetzt Hugo von Hofmannsthal: Loretta Wollenberg wird weiter ihren Weg gehen. Doch über eine Sache kann sich die Regisseurin doch aufregen: Dass die Jesteburger Kammerspiele nach all den Aufführungen immer noch keinen eigenen Raum haben. So läuft die Kulturfrau immer noch mit einem dicken Schlüsselbund für alle möglichen Räume durch Jesteburg. "Ein eigener Ort für Kultur und Theater ist doch angemessen, oder?"
Premiere von "Die Frau ohne Schatten" am 22. Januar um 20 Uhr und am 23. Januar um 19 Uhr im Gemeindehaus St. Martin in Jesteburg.