Seemänner aus aller Welt vertrauen dem Arzt Jan-Gerd Hagelstein, wenn sie krank in den Hafen einlaufen.

Wilhelmsburg. Sechs goldene Knöpfe am weißen Kittel, vier vorne und zwei hinten, verraten, dass Jan-Gerd Hagelstein kein gewöhnlicher Hausarzt ist. Zwar ist der 52-Jährige Facharzt für Allgemeinmedizin und behandelt die großen und kleinen Wehwehchen wie andere Hausärzte auch. Aber er hat sich auf eine ganz bestimmte Klientel spezialisiert: Seeleute aus aller Welt, die krank in den Hamburger Hafen kommen.

Die sechs goldenen Knöpfe am Arztkittel sind Knöpfe der Bundesmarine. Denn Jan-Gerd Hagelstein, Flottillenarzt der Reserve, war selbst sieben Jahre bei der Marine, ist zwei Jahre als Marineoffizier zur See gefahren. "Ich kann mit den Wölfen heulen", sagt der Arzt, "mir sind die Usancen in Häfen bekannt."

Jetzt hat Jan-Gerd Hagelstein seine Praxis vom Wolfgangsweg an den St.-Pauli-Landungsbrücken nach Wilhelmsburg verlegt, als Untermieter im Krankenhaus Groß Sand. Nun hat das katholische Krankenhaus eine Seemannsambulanz. "Wir verstärken damit unsere Position als zentrale Anlaufstelle für Seeleute in Hamburg und füllen das Vakuum, das die Schließung des Hafenkrankenhauses 1996 hinterlassen hat", sagt der kaufmännische Direktor, Robert Möller.

Wenn die Schmerzen der Seeleute nicht so groß sind, dann bleibt es bei einem Besuch bei Jan-Gerd Hagelstein, und danach geht es mit dem Taxi wieder zurück zum Schiff. Wenn die Gesundheit es nicht zulässt, dann kommen die Seeleute auf Station.

John Padios (33), 3. Offizier auf einem Containerschiff, kommt an diesem Tag in die Seemannsambulanz. "Ich bin okay", sagt der Seemann von den Philippinen, "aber ich möchte mich noch mal für die gute Bandlung im November bedanken." Damals hatte der Filipino "höllische Rückenschmerzen - lag wohl am kalten Wetter". Warme Worte des Arztes und eine Spritze machten den Seemann wieder fit für den Einsatz an Bord. Heute bleibt es bei einem kurzen "Check" der Ohren.

Wenn ein Seemann an Bord erkrankt, dann beißt er die Zähne zusammen oder er geht zum Zweiten Offizier. Alle Offiziere haben auf den Seefahrtsschulen medizinische Grundkenntnisse erworben, können nähen, Infusionen legen und Spritzen geben. Ob ein Seemann in Hamburg zu einem Arzt wie Jan-Gerd Hagelstein gehen darf, das entscheidet der Kapitän. Wenn der grünes Licht gibt, dann meldet sich ein lokaler Agent beim Arzt und teilt ihm mit, wann der Seemann in die Praxis kommt. "Ich bin übers Telefon 24 Stunden erreichbar und komme im Notfall auch an Bord", sagt Jan-Gerd Hagelstein.

Mit welchen Krankheiten kommen die Seeleute nun zu einem Hamburger Arzt? "Viele haben Magen- und Darmprobleme oder allgemeine Schmerzprobleme, zum Beispiel im Rücken", sagt Jan-Gerd Hagelstein, "aber manchmal geht es auch schlicht um banales Heimweh." Er kennt Filipinos, die drei Jahre am Stück zur See fuhren, und danach 10 000 Dollar zusammen hatten, um ihr Haus abzubezahlen.

Aber es kommen auch Seemänner, die seekrank werden. "Wenn das von Fahrt zu Fahrt zunimmt, dann muss ich eine Abmusterung empfehlen." Geschlechtskrankheiten wie Tripper kommen "extrem selten vor - die Jungs haben gar keine Zeit mehr, die Damen zu besuchen. Heute ist nicht mal ein zweistündiger Besuch bei Aldi drin." Vor 15 Jahren, als er sich als Arzt niederließ, blieben die Schiffe noch zwei, drei Tage im Hafen - heute stechen sie nach sechs bis zehn Stunden wieder in See.

So kommen heute - die Besatzungszahlen gehen zurück - nur noch zwei bis drei Seeleute am Tag zu Jan-Gerd Hagelstein in die Praxis, wenn es hoch kommt mal zehn. Vor 15 Jahren waren es noch 25 bis 30 am Tag. Leben kann der Arzt trotzdem von seinen Patienten: Er rechnet mit den Agenten der Reedereien privat ab und stellt auch Telefongespräche und "Organisatorisches" in Rechnung. "Und wenn ich Alkohol- und Drogentests beschaffe, wird das auch bezahlt."

Mit seinen Patienten redet Jan-Gerd Hagelstein "auf Englisch und mit Händen und Füßen. Und wenn ich den Dialekt eines Chinesen nicht ganz verstehe, dann rufe ich einen chinesischen Kollegen um die Ecke an. Das klappt schon."