Drei gute Küchen an heimischen Gewässern: Binnenhafen, Este und Ilmenau liefern die Kulissen. Wenn dann noch das Essen schmeckt, wird's perfekt für den Gast.
Harburg/Cranz/Winsen. Sie haben keine Zeit für eine Reise ans Meer? Dann empfiehlt sich ein kulinarischer Kurztrip an heimische Gewässer. Wir haben drei Restaurants getestet, bei denen maritime Aussichten inklusive sind.
Silo 16
Gute Restaurants haben Galionsfiguren. Einen Chef, der seine Gäste empfängt und ihnen das Gefühl gibt, wichtig und willkommen zu sein. Er beherrscht die Kunst des Smalltalks und dirigiert unauffällig das Personal. Als Regisseur hat er ein Auge auf allem. Sein alltägliches Stück heißt: Gäste glücklich machen.
Osvaldo Ferilli ist der etwas andere Italiener - keiner der arroganten Römer oder emotionalen Sizilianer, sondern ein Mann aus Apulien. Ein Mann mit Stil und Charisma. Geschmacksicher vom eigenen Outfit bis zum Ambiente empfängt er im Silo 16 seine Kunden. Einem ehemaligen Getreidesilo aus dem Jahr 1910 Eleganz zu verleihen funktioniert nur, wenn man Talent für Raumdesign mitbringt. Sechs Meter hohe Decken, Freskenmalerei wie in der Sixtinischen Kapelle und eine gekonnte Lichtinszenierung gibt es zu bewundern. Betongrau trifft auf Bordeauxrot. Egal, ob Loungesessel oder Dinnerstühle - alles erscheint durchgestylt. Im Frischluftbereich, wo andere Gastronomen ihre Gäste aus Kostengründen auf weißen Plastikstühlen sitzen lassen, freuen sich auf seiner Terrasse die Augen über angesagtes Kunstgeflecht. Die Wasserlage ist eher industriell als romantisch. Man sitzt am Westlichen Bahnhofskanal des Harburger Binnenhafens und schaut auf die wieder belebte Hightech-Architektur des Quartiers. Reizvoll. Gegenüber dümpelt die "Seute Deern", in ihren besten Jahren Helgolandfähre.
Friede, Freude, Pizzateig? Keineswegs. Eine Goldgrube wäre das Silo vielleicht, wenn es in der HafenCity läge. Südlich der Elbe muss sich jeder Gast erarbeitet werden. Das Businessvolk, das tagsüber rundherum an Schreibtischen sitzt, ist froh, wenn es abends im Restaurant nicht aufs eigene Büro schaut. Der Hamburger kommt nicht über die Elbe, der Harburger geht zum Griechen. Gegen derlei Klischees gilt es anzukochen.
Zu Beginn wurden die Speisen euroasiatisch zubereitet, mittlerweile findet Osvaldo Ferilli sein Angebot eher mediterran. Vorweg Sashimi von Lachs und Thunfisch mit Wasabi und Sojasoße (12,90 Euro) oder gegrillte Calamaretti auf Ratatouillesalat (10,90 Euro). Als Hauptgericht geschmorte Kalbsbacke mit getrüffelter Kohlrabi-Tagliatelle (17,50 Euro) oder die krosse halbe Vierländerente vom Winsener Geflügelzüchter Tiemann mit Sommerwirsing (19,50 Euro). Wie nennt man das? Köstlich trifft es am besten. Die beiden Küchenchefs Alexander Iwers und Pil Schneider können es international. Und wer seine regelmäßige Dosis Italien braucht, ordert Pasta und Pizza. Ihr Teig ist eine Wissenschaft für sich. Osvaldo Ferilli importiert das Mehl extra aus Italien.
Altes Fährhaus
Frischer Wind an der Este. Direkt am Anleger der Hadag-Fähre in Cranz ist Andrea Patrzyk vor einem Jahr in die Selbstständigkeit gestartet. Ein ambitioniertes Unterfangen, galt es doch, eine in die Jahre gekommene Gastwirtschaft wieder flott zu machen. Die junge Chefin, die auf keiner Ü30-Party Einlass bekäme, bringt trotzdem eine Menge Gastronomie-Erfahrung mit. "Viele liebe Freunde haben bei der Renovierung kräftig mit angepackt und beigesteuert, was sie gut können", erzählt sie. In Rekordzeit von drei Wochen wurden Wände, Böden und Mobiliar komplett erneuert - vieles nach Andrea Patrzyks eigenen Entwürfen. Freundliche Farben, weiße Tischdecken, viele Blumen und moderne Stühle bringen gastronomische Gegenwart in das historische Haus von 1638. Die eigentliche Attraktion findet dahinter statt: Der Fähranleger befördert Passagiere im Stundentakt nach Blankenese und zurück. 20 Minuten dauert die Kreuzfahrt über den Fluss. Früher wurde von hier das Altländer Vieh zum Hamburger Fleischmarkt transportiert. Bei schönem Wetter sitzen die Fährhaus-Gäste auf Teakstühlen direkt am Wasser, die Sietas-Werft gleich gegenüber. Die Ausflüglerversorgung mit Kaffee und Kuchen funktioniert tadellos.
Dem à la carte-Programm fehlt noch ein bisschen Mut: viele Standards, wenig Innovation. Natürlich kommt die Scholle in die Pfanne - auf Finkenwerder Art (mit Speck für 15,80 Euro) und Blankeneser Art (mit Krabben für 18,90 Euro). Mehr ganze Fische? Bis dato Fehlanzeige. Die einzige Suppe auf der Karte mit Tomaten und frischen Kräutern (5,50 Euro) leidet zwar an Einsamkeit, schmeckte aber hervorragend. Lieber Herr Koch, wie wär's mit Fischsuppe oder Bouillabaise?
Beim Hauptgericht entscheide ich mich für soliden Pannfisch mit Bratkartoffeln (14,50 Euro). Schade: Erst nach dem Essen erfahre ich, dass die Kellnerin die Extrakarte mit Tagesempfehlungen vergessen hat. Darauf befinden sich immerhin kross gebratene Doradenfilets auf Pfifferlingrisotto und Trüffelschaum (17,90 Euro). Beim nächsten Mahl. Schön: Der passende Begleiter aus Stellenbosch/Südafrika befand sich als Chardonnay trotzdem in meinem Glas. Wenn es am Wochenende voll ist, wird die Extrakarte nicht gereicht. Wegen der zeitaufwendigen Zubereitung, gesteht die Chefin. Noch mal schade, findet der Restauranttester. Sein Fazit: In reizvoller Umgebung ist bei den Speisen noch Luft nach oben. Gleichwohl: Auch für individuelle Anleger ist das neue Alte Fährhaus einen ersten Test allemal wert.
Tafel Traum
Am Ende von Winsen ist das Leben ein langer ruhiger Fluss. Eingebettet von Wiesen und Feldern schlängelt sich die Ilmenau durch die Landschaft. Früher stand hier eine holländische Ziehbrücke mit Wärter, der nebenbei Passanten mit Speis und Trank versorgte. Seit Anfang Juni ist es mit der beschaulichen Ruhe vorbei. Besonders am Wochenende herrscht buntes Treiben. Spaziergänger und Fahrradfahrer, Menschen und Hunde, Klein und Groß sind neugierig auf die Neueröffnung in idyllischer Lage.
Tafel Traum heißt das gemeinsame Projekt von Tanja Schäperkötter und Kirsten Bruhn. Für beide ist es das erste eigene Restaurant. Trotzdem kennen sie die Branche. Die eine leitet nebenbei noch das Buxtehuder Café Süße Sünde, die andere hat als Serviceleitung sechs Jahre lang die Erfolgsgeschichte des Hittfelder Rossini begleitet. Jetzt haben die Damen ein Traditionslokal übernommen, dessen Vorbesitzer eine Insolvenz hingelegt hat. Kein gutes Omen. Doch aus Fehlern des Vorgängers hat man gelernt. Die elitäre Preispolitik wurde abgeschafft. "Wir wollen nicht edel sein", sagt Kirsten Bruhn. Hier soll sich jeder wohlfühlen, auch der Radfahrer, der nur auf ein Eis reinschmeckt. Ofenkartoffeln mit Beilagen und Nudelgerichte starten bei sechs Euro. Parallel kommt der anspruchsvolle Feinschmecker auf seine Kosten. Die Atlantik-Seezunge wird mit 24,50 Euro berechnet, das Seeteufelsteak liegt bei 19,90 Euro. Exotisch und doch regional: 500 Gramm fein geräucherter Aal im Ganzen, einfach mit Schwarzbrot für 25 Euro. Gehoben, aber nicht abgehoben. Dazwischen sollen die Gäste in allen Preiskategorien glücklich werden. Für das Handwerk am Herd sind Olaf Petersen und Thomas Stahn zuständig. Die beiden haben zuvor die Küche des Hittfelder Hotels Zur Linde zum Kochen gebracht. Fertigprodukte haben Hausverbot. Nicht selbstverständlich: Alles wird frisch zubereitet, auch die Soßen.
Die Rechnung geht auf. Das Volk strömt. Tanja Schäperkötter und Kirsten Bruhn, das Tafel-Traum-Dreamteam, dirigieren ihre Mannschaft nach Kräften. Einiges muss sich noch einspielen, anderes klappt schon ganz gut. Dem Publikum scheint's zu gefallen. Ihr Credo: "Wir wollen trotz Trubel dem Gast am Tisch das Gefühl geben, immer Zeit für ihn zu haben." Auch wenn der eine oder andere Spontanbesucher erst mal auf einen Spaziergang geschickt wird - bis wieder was frei wird.
Optisch hat sich ebenfalls was getan. Die weibliche Handschrift ist in dem kleinen Restaurant mit nur 65 Sitzplätzen anzumerken. Im vorderen "Engelsflügel" wacht ein Schutzengel an der Bar über das Wohl des Hauses. Im "Sternzimmer" ist an der Decke ein Nachthimmel entstanden mit vergoldeten Leuchten als Monde und vielen kleinen Sternenlichtern. Ein Hingucker ist es allemal.
Silo 16: Schellerdamm 16, 21079 Hamburg, Telefon 040/41 54 14 94, www.silo16.com , Öffnungszeiten: täglich 12-24 Uhr
Altes Fährhaus: Estedeich 94, 21129 Hamburg, Telefon 040/745 91 32, www.altes-faehrhaus.com , Öffnungszeiten: täglich 12-21 Uhr, Dienstag Ruhetag
Tafel Traum: Laßrönner Weg 99, 21423 Winsen, Telefon 04171/55 46 55, www.tafel-traum.de , Öffnungszeiten: täglich 12-22 Uhr, Montag und Dienstag Ruhetage