Historie: Gemüsemädchen schleppten bis zu 50 Kilogramm Grünzeug zum Markt. Auf den Märkten der Stadt verkauften sie das Gemüse ihres Dorfes. Sie wohnten am Hafen im Zippel(Zwiebel)haus.

Bardowick. Sie traten einen Weg an, den im 19. Jahrhundert nur wenige Menschen regelmäßig zurücklegten: Schon früh am Morgen fanden sich die Bardowicker Gemüsemädchen am Sammelplatz Hohensande an dem Flüßchen Ilmenau ein, um auf Milchkähnen nach Hamburg aufzubrechen. In schlichte, dunkle Kleider gehüllt und mit tief ins Gesicht gezogenen Kopftüchern, fuhren die Töchter und Mägde der Bardowicker Gemüsebauern flußabwärts, der Elbe entgegen. Ihre Gemüsefracht fuhr auf Holz-Ewern hinterher: Gegen Mittag mußten die Händlerinnen mit der Ware in Hamburg sein, denn dann begann der Gemüsemarkt.

Die Bardowickerinnen wurden wegen der großen Auswahl ihrer Gemüse und Kräuter von den Hamburgerinnen geschätzt, doch das machte ihren Job nicht einfacher: Einen Teil der Ware trugen sie nämlich in Kiepen oder Schuten - großen Weidenkörben - auf dem Kopf und unter dem Arm auf die Wochenmärkte. Nahezu 50 Kilogramm Grünzeug konnte eine gestandene Bardowickerin angeblich stemmen - und war trotzdem für ihre tadellos aufrechte Haltung bekannt.

Bis zum späten Nachmittag boten die Mädchen ihr Gemüse auf den Straßen und Plätzen der Hansestadt an - und sofern die verderbliche Ware bis zur Schließung des Marktes nicht an den Mann oder die Frau gebracht war, hieß es nacharbeiten. Mit den restlichen Vitaminen gingen die bereits im Mittelalter als "Sipollenhokers" bekannten Gemüsefrauen dann von Tür zu Tür, um auch die unter die Leute zu bringen. Doch auch wenn es mühsam war, das Geschäft mit Kohl, Karotte und Co., es lohnte sich: Vermutlich schon 1535 stellte der Rat der Stadt Hamburg den Bardowickern ein Lagerhaus in der Nähe der Katharinenkirche mietweise zur Verfügung.

Das "Zippelhaus" (Zwiebelhaus), das später der heute gegenüber der Speicherstadt gelegenen Straße ihren Namen gab, bot nicht nur Platz zum Lagern des Gemüses. Dort übernachteten auch viele Bardowicker Gemüsemädchen, die auf diese Weise die mühsame Pendelei zwischen Heimatort und Arbeitsstätte vermieden. Die Ware wurde auf dem Wasserweg angeliefert, für den Verkauf und die erzielten Erlöse waren die Mädchen vom Dorf allein verantwortlich.

Daß sie ihre Arbeit gut machten, beweist die Tatsache, daß im späten 19. Jahrhundert ein neues Lagergebäude von den Bardowickern erworben wurde: Als Ersatz für den baufälligen Speicher nahe der Katharinenkirche gebraucht, bildete sich 1889 in Bardowick eine "Interessengemeinschaft des Zippelhauses". Die Bardowicker erwarben ein Gebäude in der Deichstraße 27. Noch heute erinnert eine Gedenktafel an dem alten Lagerhaus an seine Vergangenheit als Gemüsespeicher. Das Haus in der Altstadt ist manchem Hamburger heute noch als "Bardowicker Speicher" bekannt. Erst mit dem Aufkommen von Eisenbahnen und erst recht nach der Einführung des Lastkraftwagens endete die große Zeit der Bardowicker Gemüsemädchen - sofern sie nicht sowieso vorher den Absprung geschafft hatten. Im Laufe der Jahre hatten die Mädchen aus der Provinz sich nämlich bei den Hamburgerinnen einen guten Ruf erarbeitet. Die Großstädter gingen daran, die Gemüsemädchen abzuwerben - sie wurden Dienstmädchen und Gärtnerinnen in Hamburger Haushalten. So manches Pflänzchen vom Lande kam auf die Weise in die große, weite Welt - eine Tatsache, die den Bardowicker Gemüsebauern allerdings nicht gut in den Kram paßte.

Mädchen, die in der Stadt in Stellung gingen, wurden mit Geldstrafen belegt - zu zahlen war die Buße von den Eltern der Fahnenflüchtigen. Was uns heute als relativ drastische Maßnahme für ein geringes Vergehen erscheint, wird verständlich, wenn man den bäuerlichen Produktionsbetrieb im vorletzten Jahrhundert untersucht: In Bardowick wurde jede Hand gebraucht, um nahezu das ganze Jahr pflanzen und ernten zu können. Dabei halfen im 19. Jahrhundert kaum Maschinen, hier war fast alles Handarbeit: Mit Ilmenauwasser wurden Küchenkräuter und Erdfrüchte gewaschen, bevor sie sortiert, gebündelt, verladen und auf die Kähne verfrachtet wurden, die sie in die Stadt brachten. Dabei ackerten die fleißigen Bardowicker bei jedem Wind und Wetter und bestellten jeden freien Zipfel Land, den sie ergattern konnten. Wer nicht über ausreichend Acker verfügte, pachtete zu: Der Bardowicker Nicolaihof, eine Stiftung der benachbarten Stadt Lüneburg, war der wichtigste Verpächter. Seine Angebote diktierten auf dem Markt jahrhundertelang den Gemüsebauern die Pachtpreise.

Während die Mädchen und Frauen in der Fremde schufteten, blieben die Männer nicht untätig: Wer nicht sein eigenes oder gepachtetes Land bestellte, ging als Samenhändler über Land. Auf der Saatreise wurden in einem Radius von zirka 100 Kilometern diverse Höfe im wahrsten Sinne des Wortes "angelaufen". Die Bardowicker züchteten und veredelten ihr Saatgut selbst. Ihre Kunden blieben ihnen oft jahrzehntelang treu, die Anschriften der Abnehmer wurden teilweise vom Vater auf den Sohn vererbt.

Auch diese Tradition kam nach dem Zweiten Weltkrieg zum Erliegen. Die allgemeine Motorisierung setzte ein, die einen Postversand schneller und billiger machte. Das Trippeln über die Dörfer kam aus der Mode, obwohl sich im Jahr 1895 noch einmal einige Reichtagsabgeordneten heftig darum bemühten, den Samenhandel vom "Verbot des Hausierhandels", das damals in der Reichsgewerbeordnung aufgenommen wurde, auszunehmen.

Noch heute bauen Erzeuger in Bardowick Gemüse an und liefern es an den Hamburger Großmarkt. Seinen Namen als "Hamburgs Gemüsegarten" macht der Flecken im Süden der Hansestadt also heute noch Ehre - auch wenn die schwer bepackten Gemüsemädchen längst aus dem Hamburger Stadtbild verschwunden sind.