Restauranttest: Traditionsreiche Häuser verzichten auf den Heideblüten-Kitsch. Einmal im Monat schlägt die Harburger Rundschau ein kulinarisches Kalenderblatt auf.

Harburg. Die Heide blüht. Wie schön. Die Geschäfte leider nicht. Viele Gastronomen vor Ort beklagen vor allem die fehlenden la carte Gäste. Die Gründe dafür sind viel-fältig. Eines steht fest: Nur wer neue Wege geht, hat eine Überlebenschance. Wir haben drei Gastronomen besucht, die mit verstaubter Heide-Romantik nichts mehr am Hut haben und frische Ideen präsentieren: auf Hochseilparcours, in der Speisekarte oder im Wellnessbereich.

GUT THANSEN

Alfred C. Toepfer war nicht nur ein bedeutender Hamburger Kaufmann und Mäzen, sondern auch Landwirt. Anfang der 30er Jahre kaufte er den Hof Thansen in Soderstorf und machte daraus einen künstlerisch inspirierten Niedersachsenhof. Viele Jahre befand sich das 600 Hektar große Areal im Dornröschenschlaf - bis der aus Schleswig-Holstein stammende Unternehmer Philipp von Stumm die Kernparzelle erwarb, um hier ein Seminar- und Eventzentrum zu etablieren. Man mag darüber streiten, ob Anglizismen in seinem Werbeprospekt (High-Ropes für Hochseilparcours, Human Resource Development für die Förderung menschlicher Ressourcen) die passende Wortwahl zum Ankurbeln des Heidegeschäfts sind. Gleichwohl: Erlebnisorientierte Elemente im Freien wie Bogenschießen oder Floßfahrten sind im Trend und sollen die Teamentwicklung von Mitarbeitern fördern. Für den Winter ist Schneeschuhwandern geplant.

Die kulinarische Welt auf Gut Thansen ist in einer früheren Traktorenwerkstatt entstanden. Sie besticht durch die gelungene Synthese von traditioneller Fachwerkarchitektur und modernen Elementen. Die historische Kulisse wurde aufgepeppt, klare Formen und wenig Accessoires bestimmen den Raum. Nichts erinnert an typische Heide-Romantik. Küchenchef Olaf Sperlich kocht international von leicht bis deftig. Die Heidschnucke kommt gar nicht erst auf die Karte. Dafür finden regelmäßig Themenabende statt. Der nächste am 8. Oktober als 4-Gänge-Menü unter dem Motto euro-asiatisch (19,80 Euro inkl. Reiswein). Als Werbemaßnahme dient der sonntägliche Brunch mit allerbestem Preis-Genuß-Verhältnis. Die neun Euro pro Person (inkl. Warm- und Kaltgetränk) sind fast unschlagbar. Darauf ist natürlich schon manch Gastgeber aufmerksam geworden, der seine Lieben gleich auf Gut Thansen verwöhnen läßt. Vor allem Hochzeitspaare finden hier alles, was zu einem perfekten Fest auf dem Lande gehört. 2006 soll in den denkmalgeschützten Nebengebäuden ein Hotel samt Sauna und Dampfbad eröffnet werden. Tschüs, Stress!

STIMBEKHOF

Die nächste Tour führt uns ins Herz des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide. Einer der Höhepunkte im wahrsten Sinne ist der 169,2 Meter hohe Wilseder Berg. Wer von hier oben die herrliche Aussicht auf die weite Landschaft genießen will, kommt direkt am Stimbekhof vorbei. Kehren Sie ein und erleben Sie die eine oder andere Überraschung! Seitdem Rosita und Matthias Heuser vor ein paar Jahren die Hofanlage übernahmen, hat Heidekitsch Hausverbot. Kein Schäfer in Öl an der Wand, dafür moderne Kunst. Kein Heidschnuckenfell auf dem Boden, dafür die Tiere live vor der Haustür.

Auch hier hat Alfred C. Toepfer seine Spuren hinterlassen. Als langjähriger Vorsitzender des Vereins Naturschutzpark Lüneburger Heide hat er sich verdient gemacht um die Erhaltung der Heide und ihrer typischen Architektur. Der historische Stimbekhof ist dafür ein gutes Beispiel. Toepfer war es auch, der nach dem Zweiten Weltkrieg die bis heute beliebten Kutschfahrten initiierte. Damals war eine Ferienwoche in der Heide noch nicht doppelt so teuer wie der Urlaub auf Mallorca.

Die sonnige Rast im Garten gleich neben dem Treppenspeicher von 1773 ist traumhaft. Tagesausflügler kommen mit Hunger, Reiter mit ihren Pferden, Tagungsgäste mit ihrem Chef und Urlauber mit Zeit. Frische Ideen helfen, daß der Altersdurchschnitt stetig sinkt. Vor allem junge Familien haben den Ort entdeckt. Der Service beginnt schon beim Bestellen. Dank moderner Technik werden die Wünsche gleich in die Küche gefunkt und längere Wartezeiten vermieden. Zwar möchte Familie Heuser auf die Heidschnucke la carte nicht verzichten, dafür erstaunen mediterrane, maritime und regionale Gerichte, die mit Kräutern aus dem eigenen Garten neu interpretiert werden. Dort wachsen Salbei, Thymian und Rosmarin. In einer Waffel steckt beispielsweise blühender Oregano, daneben eine frische Ananas gegrillt, Riesengarnelen am Zitronengrasspieß und Blattsalate mit Himbeeressig (13,50 Euro). Ungewöhnliche Heidekost für neue Zielgruppen. Auch Pferdefreunde finden hier ihr Paradies. 400 Kilometer Reitwege im ältesten Naturschutzpark Deutschlands, dazu perfekter Service für ihre Lieblinge: Heu, Kraftfutter, Weideführung und Übernachtung im antiken Heidschnuckenstall kosten 13 Euro.

ZUR HEIDSCHNUCKE

Auch Kerstin und Rolf Capellmann hatten 1997 alle Hände voll zu tun, um das traditionsreiche Hotel Zur Heidschnucke in Asendorf zu entstauben. Wer mit dicken Gardinen und dunklen Farben dem Licht Hausverbot erteilt, der darf sich nicht wundern, wenn Stammgäste langsam aussterben. Problem erkannt, Problem gebannt. Mit lehrreicher Erfahrung aus über drei Jahren in einem 5-Sterne-Hotel Jordaniens wagten sie den Neustart in der Provinz. Nicht jede Tradition wurde über Bord geworfen, der Service im Restaurant sogar verstärkt. Der Gast soll am Tisch unterhalten werden: Geflügel wird tranchiert, Scampi flambiert und Fleisch filetiert. Das schafft Erlebnisse, ist aber personalintensiv. Auch hier ist das la carte Geschäft rückläufig. Was also tun, um den "Schnuckerl-Braten" nach Art des Hauses mit Kronsbeeren auf der Orange, Wald- und Heidepilzen, Butterbohnen und Petersilienkartoffeln (18,90 Euro) gewinnbringend anzubieten?

Das Zauberwort heißt Wellness. Eigentlich gehört das Hotel Zur Heidschnucke zu den Wellness-Pionieren. Bereits 1998 hat man versucht, gestresste Gäste zu mehr innerer und äußerer Schönheit zu verhelfen. Doch erst 2003 ist Familie Capellmann ganzheitlich durchgestartet. Mit Sauna, Innenpool und Vitalbar. Thalasso und Ayurveda im Beauty-Spa sind die Fachbegriffe der Körperpflege. Bald sollen normale Hotelzimmer umgebaut und der Schönheitsbereich erweitert werden. Der Grund liegt für den Hotelchef auf der Hand: "Beim Wellness gibt es keine Diskussionen um Preise." Da kauft frau schon mal für 400 Euro Kosmetik ein, ohne mit der gefärbten Wimper zu zucken. Männer sind hier eher selten. Die schenken ihrer Liebsten das Wohlfühl-Wochenende für 225 Euro und passen zu Hause auf die Kinder auf. "Meistens kommen die besten Freundinnen gleich mit", sagt Rolf Capellmann.

Ironie das Schicksals: Nach Rosenwasserbad, Algen-Einreibung und Entschlackung wird nicht etwa gefastet. Die gut gemeinten Wellness-Menüs würden meist links liegen gelassen. Geschlemmt werde danach kalorienunbewußt. Dafür bietet die verführerische Karte allerbeste Voraussetzungen. Zum Beispiel das Monatsmenü im August mit Carpaccio von der Rinderkeule, Cremesuppe von frischen Gartenkräutern, gebratenes Maishähnchenfilet und Pflaumengrütze mit Vanilleeis (23 Euro). Gegen das schlechte Gewissen gibt es am nächsten Tag Bauchwickel. Dafür bekommt frau für 38 Euro einen feuchten Lappen auf den Bauch, wird in Plastikfolie gerollt und darf 40 Minuten vor sich hin schwitzen. Gestrafft und entwässert geht es gut gelaunt heim.