Viele Schüler finden das neue Lernsystem gut, bedauern aber den Wegfall eigener Klassenräume. Das System soll noch verbessert werden.

Neugraben. Ein Mathelehrer, der vor Unterrichtsbeginn Gitarre spielt und mit den Schülern Lieder singt - im Gymnasium Süderelbe in Neugraben ist das seit diesem Schuljahr Realität. "Musik ist mein Hobby, und wenn ich sie im Unterricht einsetze, erleichtert es die Sache ungemein", sagt Stefan Anders. Die Schüler sind dann konzentrierter und können den Lehrstoff besser aufnehmen. Nach Ende der Stunde kann er Gitarre und Keyboard einfach im Klassenzimmer stehen lassen, ohne Beschädigungen zu fürchten. Es ist nämlich nicht mehr der Raum der Schüler, sondern der Raum des Lehrers, in dem der Unterricht läuft.

"Kabinettsystem" nennt sich das Konzept, nach dem das Neugrabener Gymnasium seit diesem Schuljahr unterrichtet und das immer mehr Nachahmer findet. Das Immanuel-Kant-Gymnasium (IKG) in Sinstorf etwa plant zum kommenden Schuljahr ebenfalls, auf dieses Modell umzustellen. Bei ihnen heißt es jedoch "Lernraumkonzept", weil das Klassenzimmer aufgrund der festen Zuordnung zu einem Lehrer und einem Fach im wahrsten Wortsinne zum Lernraum wird. Vorreiter in Hamburg ist das Walddörfer-Gymnasium in Volksdorf, das das Konzept bereits seit Jahren erfolgreich anwendet.

Jetzt, zum Ende des Schuljahres, zieht das Gymnasium Süderelbe eine erste Bilanz, die sich in etwa so zusammenfassen lässt: Es gibt noch einiges zu verbessern, aber eine große Mehrheit aus Schülern, Lehrern und Eltern will an dem Modell festhalten. Bei einer Versammlung Ende März hätten die wenigsten gesagt, dass das Kabinettsystem wieder abgeschafft werden soll, sagt Lehrer Dirk Hofmann.

Das dürfte daran liegen, dass in Neugraben so wie am IKG der Umstellung eine umfangreiche Planung vorausging. Fünf Lehrer sind Mitglieder der Kabinettgruppe, die unter anderem die baulichen Veränderungen mit einer Innenarchitektin abgesprochen und die Raumbelegung koordiniert hat. Herausgekommen sind 36 Kabinette für 950 Schüler und mehr als 70 Lehrer. Einige Räume werden doppelt genutzt, weil nicht jeder Lehrer Klassenlehrer ist oder eine volle Stelle hat.

"Bei den Schülern ist vor allem der Verlust der Klassenräume Thema", spricht Susanne Bohle-Vorberg, die neben Dirk Hofmann und Ulrike Vogt Mitglied der Kabinettgruppe ist, einen Haupt-Kritikpunkt an. Die Mädchen und Jungen könnten in den Pausen nur noch Schulhof und Pausenhalle nutzen, die extra mit Tischen, Bänken und einer Sitztreppe ausgestattet wurde. 8000 bis 10 000 Euro habe das gekostet.

Früher seien viele Schüler zwischen den Unterrichtsstunden oder über Mittag in den Klassenräumen geblieben, sagt Susanne Bohle-Vorberg. Obwohl das offiziell nie gestattet gewesen sei, hätte die Schule ein Auge zugedrückt. Die Folge war, dass die Räume oft vermüllt oder beschädigt waren. Niemand fühlte sich verantwortlich für das Klassenzimmer, nicht zuletzt, weil es auch keine persönliche Note hatte.

Mit dem Kabinettsystem hat sich das komplett geändert. Der Lehrer ist verantwortlich für seinen Raum, er richtet ihn gemäß seines Fachs ein, sei es als Geographielehrer mit Weltkarten und Atlanten oder als Französischlehrer mit Wörterbüchern und Frankreichfähnchen. "Wie der Raum letztlich eingerichtet wird, entscheidet jeder Kollege selbst" sagt Ulrike Vogt. Bei Mathelehrer Stefan Anders sind es zum Beispiel Fotos, auf denen die Schüler mit verzerrten Gesichtern zu sehen sind. Neben Postern von Musikern hängt ein großes Geodreieck. Wenn er selber im Raum sei, erlaube er es den Schülern manchmal, in der Pause ebenfalls dort zu bleiben, erzählt er. Die Schüler nehmen das dankbar an, denn nicht alle finden das neue Modell gut. "Dass wir keinen festen Klassenraum haben, ist ein bisschen doof", sagt Timur, 11. Alena, 10, findet es hingegen besser, dass alle Arbeitsmaterialien schnell zur Hand sind.

All diese Punkte hat die Kabinettgruppe im Blick und arbeitet an Verbesserungen. "Wir haben mehrere hundert Jahre deutsches Schulsystem auf den Kopf gestellt, da ist nicht alles sofort perfekt", sagt Susanne Bohle-Vorberg. Im Grunde müsste man die ganze Schule umbauen und mit viel mehr Aufenthaltsräumen und Nischen für die Schüler versehen. Rein finanziell seien aber nur kleine Schritte möglich. Als nächstes sollen neue Schließfächer kommen, und das Lager neben der Pausenhalle soll zum Aufenthaltsraum mit Computern umgebaut werden.