In Klein Borstel leben Menschen zusammen, die auf Autos verzichten und gemeinschaftlich Ökostrom und Biolebensmittel beziehen.

Ein Hügel erhebt sich in der Mitte der kleeblütengesprenkelten Wiese, darauf wachsen Obstbäume. Ein Gartentisch und ein paar verstreute Stühle stehen im Gras, daneben lädt eine Sandkuhle zum Buddeln ein. Die idyllische Grünfläche ist das Zentrum der Klimaschutzsiedlung Kleine Horst in Klein Borstel. „Nachmittags und an den Wochenenden ist hier richtig was los“, sagt Myong-Sook Park, die mit Mann und zwei Töchtern in der Siedlung lebt. Diesen Abend wird es besonders turbulent: die Nachbarn feiern ihr großes Sommerfest. Myong-Sook Park freut sich über die Lebendigkeit. Denn neben dem Ansinnen, etwas für das Klima zu tun, war es auch der Wunsch nach einem guten nachbarschaftlichen Miteinander, der sie damals bewog, der Baugemeinschaft Autofreies Wohnen beizutreten.

„Unser Grundgedanke war, es der ersten autofreien Siedlung an der Saarlandstraße gleichzutun“, sagt Sabine Drieschner, Sprecherin der Klimaschutzsiedlung. „Zusätzlich wollen wir aber den Kohlendioxidausstoß auch durch energiesparendes Wohnen senken.“ Ende der 90er-Jahre hatte sie sich mit Gleichgesinnten zusammengetan und weitere Mitstreiter gesucht. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Suchanzeigen wuchs die Baugemeinschaft schnell auf 30 Parteien an. Myong-Sook Park etwa wurde auf das Projekt durch einen Aushang in einem Bioladen aufmerksam.

Suche nach dem Grundstück dauerte ein Jahrzehnt

„Uns schwebte eine bunte Siedlung vor, in der die Menschen miteinander wohnen statt nebeneinander“, so Drieschner. Mitten in der Stadt sollte sie liegen und doch ruhig und grün sein. Und sie sollte zeigen, dass sich auch Normalverdiener klimaschonendes Wohnen leisten können: Der Quadratmeterpreis lag bei höchstens 2700 Euro. Fast ein Jahrzehnt dauerte es, bis ein Grundstück gefunden war, die Entwürfe entstanden und die Gebäude errichtet waren. Zur Klimaschutzsiedlung gehören sieben Mehrfamilienhäuser. Drei Gebäude hat eine Genossenschaft im KFW60-Standard errichtet: Hier liegt der Wärmeverlust durch gute Dämmung 30 Prozent unter dem eines Standardhauses. In den vier Passivhäusern der Baugemeinschaft mit insgesamt 30 Eigentumswohnungen reicht oft schon die Wärme aus, die Menschen und technische Geräte abgeben, sowie die Sonne, die in die Wohnungen strahlt. An bedeckten Wintertagen sorgt eine klimaschonend mit Holzpellets betriebene Zentralheizung dafür, dass die Bewohner nicht frieren. Sie erhitzt dann auch das Wasser; an sonnigen Tagen sorgen dafür die Sonnenkollektoren auf dem Dach.

Bunt ist die Siedlung besonders im Sommer: Grün-weiße Genossenschaftshäuser und gelbe Passivhäuser liegen inmitten farbenprächtiger Blumen, die in Vorgärten, an Pergolen und auf den Balkonen wachsen. Buntes Spielzeug liegt herum, denn von den 160 Bewohnern sind fast die Hälfte Kinder. Neben Familien leben hier auch Singles, darunter ein Flüchtling aus Eritrea, kinderlose Paare und Rentnerinnen. Myong-Sook Park erzählt von der 75-jährigen Christa, die häufig auf Nachbarskinder aufpasst. „Im Gegenzug haben wir für sie eingekauft und gekocht, als sie krank war.“

Auch sonst zahlt sich der Gemeinsinn aus. Den Strom beziehen die Bewohner der Siedlung gemeinschaftlich und daher günstiger von einem Ökoanbieter. Kostensparend sind auch die Lieferungen eines Ökohofs, bei dem die Gemeinschaft Ernteanteile bestellt hat. Einmal pro Woche werden Gemüse, Milch, Brot, Käse, Eier und Getreide geliefert. Deponiert wird alles im „Food-Coop“-Keller. Am Vortag ist eine Lieferung gekommen. In Gemüsekisten lagern Sellerie und Kartoffeln, in den Kühlschränken Käse, Milch und Fleisch. Neben einer Getreidemühle stapeln sich Kartons mit Eiern. „Jeder holt, was er bestellt hat, bis Freitagabend ab“, erklärt Sabine Drieschner. „Bleibt etwas übrig, wird es sonnabends verschenkt.“

Niemand hier vermisst, es ein Auto zu haben

Strom und Lebensmittel, aber auch das Wohngeld werden vom Gemeinschaftskonto abgebucht. Für die Abrechnungen ist die siedlungsinterne Hausverwaltung verantwortlich. Sie liegt in der Hand von drei Bewohnern, darunter auch Sprecherin Drieschner. Zu ihren Aufgaben gehöre das Organisieren von Handwerkern, sagt sie. Neulich etwa musste ein Wasserschaden beseitigt werden. Auch die Pellet-Heizung war schon mehrmals kaputt. Viele Instandsetzungsarbeiten übernehmen die Bewohner selber. „Wir haben hier sehr viel Kompetenz“, sagt Sabine Drieschner. So gebe es Ingenieure, die die Solaranlage im Auge behielten, und eine Holzwerkstatt, in der kleinere Schäden behoben würden. Auch eine Fahrradwerkstatt ist im Keller vorhanden – nicht nur für die Räder der Bewohner: Regelmäßig dürfen auch Flüchtlinge aus einer nahen Wohnunterkunft hier Reifen flicken und Rücklichter reparieren.

Selbstverständlich kümmern sich die Bewohner auch gemeinschaftlich um die große Außenanlage. An fünf Gartentagen im Jahr wird gepflanzt, Unkraut gejätet, Gemüse geerntet und Rasen gemäht. Außer der zentralen Wiese gibt es auch eine schöne Obstwiese. „Diese Fläche wäre unser Parkplatz geworden“, sagt Sabine Drieschner. Von einer Wiese, die nun als Fußballfeld (mit zwei selbst gebauten Toren) oder Rückzugsort (mit gemeinschaftlich angeschafften Gartenmöbeln) genutzt wird, haben die Bewohner deutlich mehr.

Ein Auto zu haben vermisse keiner von ihnen, sagt Myong-Sook Park. „Wir erledigen alles mit dem Fahrrad oder der S-Bahn. Der Bahnhof Kornweg ist nah.“ Für weitere Strecken steht den Bewohnern ein Carsharing-Auto zur Verfügung. Es gibt welche, die haben es in acht Jahren noch nie genutzt.