Hamburg. Kuscheltherapeuten wollen Trost spenden. Wie die Aktion bei Patienten, Belegschaft und Besuchern ankommt und wie die Klinik reagiert.

Am Montagmorgen sind nur vereinzelt Wolken am Himmel. Die Frühlingssonne scheint, wärmt die Haut und sorgt einfach für gute Laune. Um diesen Effekt zu verstärken, hatten sich heute vor dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg fünf Kuscheltherapeuten versammelt, um Menschen an einem Ort, der im Alltag oft von Leid und Trauer geprägt ist, Zuversicht, Hoffnung und Trost zu spenden.

Das Quintett hält Schilder mit den Worten „Free Hugs“ (zu Deutsch: Gratis-Umarmungen) in die Höhe, lächeln vorbeigehende Passanten an und breiten einladend die Arme aus. Viele Menschen gehen vorbei, oft mit einem Lächeln im Gesicht. Andere bleiben stehen, umarmen einen oder mehrere Therapeuten. Manche verharren minutenlang in einer Umarmung, halten ihre Augen geschlossen.

UKE Hamburg: „Free Hugs“-Aktion von Sicherheitspersonal frühzeitig beendet

Doch die ungewöhnliche Aktion vor dem UKE währt nicht lange. Eigentlich wollten die Therapeuten vier Stunden vor dem Haupteingang des Krankenhauses Trost spenden, nach nur 30 Minuten werden sie vom Sicherheitspersonal aber gebeten, das Gelände zu verlassen.

Die Aktion wurde von Kuscheltherapeutin Alexandra Ueberschär und ihrem Team ins Leben gerufen, allerdings nicht offiziell angemeldet. „Free Hugs sind prinzipiell eine gute und gesundheitsfördernde Idee, die auch das UKE unterstützt“, sagt UKE-Sprecherin Julia Dziuba. Doch für so eine Aktion, bei der zusätzlich Fotos gemacht wurden, müsse zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Patienten, Besuchern und Mitarbeitern eine Genehmigung vorliegen, so Dziuba.

Auch das Sicherheitspersonal des UKE bekommt „free Hugs“

„Unser Sicherheitsdienst hat die Teilnehmenden daher gebeten, vor den UKE-Campus umzuziehen und die nächste Aktion vorab anzumelden – dann steht ,Free Hugs‘ nichts im Wege.“ Durch die fehlende Genehmigung mussten die Kuscheltherapeuten das Privatgelände verlassen – setzten ihre Aktion aber unweit des Eingangs, auf dem Bürgersteig, fort.

Für die 46-Jährige ist das alles andere als ein Rückschlag, so umarmt sie kurzerhand noch die zwei UKE-Sicherheitskräfte, die zunächst irritiert, aber dann doch mit einem Lächeln auf den Lippen zurück ins Gebäude gehen. Das Krankenhaus als Ort für die Aktion sei schnell gewählt gewesen. „Wir wissen selbst, wie die Berufe sind und wie schrecklich es ist, wenn man krank ist, aber keinen Beistand hat“, sagt Ueberschär, die selbst Erfahrung in der Krankenpflege und im systemischen Coaching hat.

UKE: Das steckt hinter der kuriosen Umarmungsaktion in Hamburg

„Ich habe gemerkt, dass Berührung und Umarmung manchmal viel wichtiger sind als kluge Coaching-Tipps“, so Ueberschär, die seit 2018 als Kuscheltherapeutin im Einsatz ist. „Durch Berührungen wird die Ausschüttung von Oxytocin angeregt. Ein Hormon, das unglaublich viele regulative Kräfte hat.“

Anspannung könne so innerhalb weniger Momente abgebaut werden. „Wir wollten zu dieser Zeit hier stehen, wenn Schichtwechsel ist und Leute entlassen werden“, so die 46-Jährige. Zum einen wolle man den Menschen „etwas Schönes schenken“, zum anderen über Berührungen, Kuscheltherapie und deren Auswirkungen aufklären.

„Free Hugs“-Aktion in Eppendorf: „Veränderung direkt gespürt“

„Einige wussten erst gar nicht, was die Schilder bedeuten“, berichtet Kuscheltherapeut Matthias Werner. Durch das Übersetzen seien dann viele Passanten für die Berührungen offen gewesen, so der Ingenieur, der bald in Pension geht. „Die Aktion ist total toll“, sagt eine Besucherin, nachdem sie sich aus einer Umarmung gelöst hat.

Kuscheltherapeut Kim Kwiatkowski stand mit einem „Free Hugs“-Schild auch schon an der Mönckebergstraße. Am Montag verteilte er vor dem UKE kostenlose Umarmungen.
Kuscheltherapeut Kim Kwiatkowski stand mit einem „Free Hugs“-Schild auch schon an der Mönckebergstraße. Am Montag verteilte er vor dem UKE kostenlose Umarmungen. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Eine weitere Frau freut sich über die ungewohnte Abwechslung zwischen den Untersuchungen ihres Mannes, der auf der Intensivstation des UKE liegt, wie Ueberschär berichtet. „Das war so schön, ihr Gesicht war nach der Umarmung entspannter, eine Veränderung hat man direkt gespürt“, so die Therapeutin. Die Frau habe nicht nur einen, sondern alle Therapeuten umarmt.

Umarmungen auch in der Kuschelpraxis – für 80 Euro pro Stunde

„Einsamkeit und Stress können uns krank machen“, so Ueberschär. Es sei bewiesen, dass freiwillige Berührungen die größte Regulationsfähigkeit besitzen. Bei einer zehnsekündigen Umarmung merke man, wie sich der Körper entspanne.

Umarmen, berühren und kuscheln kann man auch in der Kuschelpraxis in Altona. Dort empfangen Ueberschär und ihr Team in der von ihr gegründeten Praxis Menschen im Alter von 22 bis 80 Jahren. „Oft mit dem Hintergrund Depression und Einsamkeit, aber auch posttraumatische Belastungsstörungen, gerade bei Frauen nach Missbrauch in der Kindheit oder nach schweren Unfällen“, erklärt die Kuscheltherapeutin. Eine Stunde Kuscheln kostet 80 Euro, zwei Stunden gibt es für 140 Euro.

UKE: Umarmungen gibt es in Hamburg auch in Pflegeheimen und Hospizen

Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, in die Kuschelpraxis zu kommen, werden zu Hause, in Pflegeheimen und Hospizen besucht. „Häufig kommen Männer in die Praxis, auch mit dem Hintergrund, immer leisten, bestehen und stark sein zu müssen“, so die zweifache Mutter. Es komme nicht selten vor, dass diese dann nach einem kurzen Vertrauensgespräch in den Armen von Ueberschär nach nur wenigen Minuten einschlafen.

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„Seit der Corona-Zeit wissen wir, wie wichtig Berührung ist, wie sehr es vielen Menschen gefehlt hat“, sagt die Therapeutin. Sie will weiter für die Aufklärung dieses Grundbedürfnisses sorgen. In Zukunft sind auch weitere „Free Hugs“-Aktionen“ geplant. „Für das nächste Mal haben wir uns überlegt, uns zum Beispiel in eine Fußgängerzone zu stellen und beim Tag der offenen Tür eines Hospizes Umarmungen zu verteilen“, sagt Ueberschär.