Hamburg. Damit folgt die Gemeinde dem Rat der Sicherheitsbehörden. Jetzt wird auch über den tatsächlichen Wohnort von Phlipp F. gerätselt.
Drei Tage ist es her, dass Philipp F. im Königreichssaal der Zeugen Jehovas an der Deelböge sieben Menschen und sich selbst erschoss. Trauer und Entsetzen herrschen in der Stadt, viele Fragen sind noch offen. Wie der NDR berichtet, veranstalten die 47 Gemeinden der Zeugen Jehovas in Hamburg auf Anraten der Sicherheitsbehörden ihre Gottesdienste digital.
Unterdessen werden immer mehr Details über das Leben des Todesschützen bekannt. Auf der Suche nach seiner Adresse stößt man auf ein weiß gestrichenes Hinterhaus in einem großzügigen Innenhof an der Dorotheenstraße, nur wenige Gehminuten von der Außenalster entfernt. In diesem Gebäude und weiteren benachbarten Immobilien vermietet ein Anbieter möblierte Apartments.
Amoklauf in Hamburg: Hier wohnte Philipp F.
Hier in Winterhude soll nach Abendblatt-Informationen in dem Hinterhaus mit der Hausnummer 3 a auch Philipp F., der am Donnerstagabend in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas in Alsterdorf sieben Menschen und sich selbst erschossen hat, eine Zeit lang gelebt haben.
Die günstigste Variante in dem Co-Living – so bezeichnete es der Anbieter auf seiner Internetseite – ist ein Acht-Quadratmeter-Zimmer ab 895 Euro Miete, inklusive Internet, einmal wöchentlicher Reinigung und Nutzung der Gemeinschaftsräume. Mindestaufenthalt ist ein Monat. Das Unternehmen, das an mehreren Standorten in Hamburg dieses Co-Living anbietet, reagierte am Sonntag nicht auf eine Abendblatt-Anfrage.
Philipp F. soll 2021 Arbeitslosengeld bezogen haben
Zumindest hatte der 35-Jährige dem Vernehmen nach im Februar 2022 der Agentur für Arbeit Hamburg die Anschrift an der Dorotheenstraße als seine neue Adresse mitgeteilt. Zuvor hatte Philipp F. nach Abendblatt-Informationen im Jahr 2021 Arbeitslosengeld I bezogen.
Sicher ist: Zuletzt hatte der gebürtige Memminger laut Polizei in Altona gelebt. Und in seiner Wohnung dort hatte der Attentäter, der Sportschütze im noblen Hanseatic Gun Club in der Innenstadt war, auch die Tatwaffe in einem Tresor gelagert. Die halbautomatische P30 des Herstellers Heckler & Koch war seit Dezember 2022 auf ihn registriert. In seinem Zuhause in Altona hatten ihn zwei Beamte der Waffenbehörde unangekündigt kontrolliert (wir berichteten), nachdem Ende Januar die Behörden ein anonymes Schreiben erhalten hatten, in dem gefordert wurde, dass Philipp F. überprüft werden solle.
F. soll einen Hass auf religiöse Anhänger gehabt haben
Der gebürtige Bayer könne an einer psychischen Erkrankung leiden, die aber bislang nicht ärztlich diagnostiziert wurde. F. soll einen Hass auf religiöse Anhänger, besonders auf die Zeugen Jehovas, und seinen ehemaligen Arbeitgeber gehabt haben. Dieses Schreiben soll nach Abendblatt-Informationen von seinem Bruder stammen.
Bei dem Hausbesuch der Beamten gab sich Philipp F. kooperativ. Wie vorgeschrieben lag die Pistole im Tresor, ebenso wie die Munition. Nur eine Hülse lag außen auf dem Tresor. Das reichte zwar für eine offizielle mündliche Verwarnung, aber nicht für mehr, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Freitag und betonte weiter. „Es gab keine relevanten Beanstandungen.“
Angehöriger: Philipp F. war psychisch „sehr angeschlagen“
Unterdessen erklärte der „Südkurier“, mit einem Angehörigen des Amokläufers gesprochen zu haben. „Ich hatte sofort die Befürchtung, dass er es ist“, beschreibt der Mann den Moment, als er von dem Angriff auf die Zeugen Jehovas in Hamburg erfuhr. Er habe gewusst, dass Philipp F. psychisch „sehr angeschlagen“ gewesen sei, vieles habe auf eine Psychose hingedeutet, sagte der Angehörige, der sich nur anonym äußern möchte. Er und die Familie hätten ihn immer wieder darum gebeten, sich Hilfe zu suchen – anscheinend vergeblich. Dem Bericht zufolge wuchs Philipp F. in einer Familie auf, die zur Gemeinde der Zeugen Jehovas in Kempten gehörte. Er habe ihn als „sehr sensibles Kind“ in Erinnerung, wird der Angehörige zitiert.
Seit 2014 lebte Philipp F. in Hamburg. Wie der Verwandte schildert, soll er hier erst 2020 wieder mit den Zeugen Jehovas in Kontakt getreten sein und schloss sich offenbar der Gemeinde an. Doch eineinhalb Jahre später sei er wieder ausgetreten „und dann in kompletten Wahn verfallen“, wie der Verwandte sagt. Was ist sonst über den Amokschützen bekannt, der offenbar ledig war? Seine Ausbildung machte er seinem LinkedIn-Profil zufolge – welches inzwischen dort nicht mehr zu finden ist – von 2009 bis 2011 auf der Fachhochschule Kempten, eine Hochschule für Technik und Wirtschaft. Es folgte offenbar ein Studium an der Hochschule München, wo er im Bereich „Finance und Controlling“ seinen Master of Science gemacht haben will.
Amoklauf: Philipp F. machte sich im vergangenen September selbstständig
Seine berufliche Laufbahn startete Philipp F. nach eigenen Angaben bei der Deutschen Bank in Kempten. Nach mehreren Beratertätigkeiten zog er vor neun Jahren nach Hamburg. Als Projektmanager Strategie und Finanzen arbeitete der spätere Todesschütze bei Tchibo. Doch bereits acht Monate später endete seine Laufbahn bei dem Kaffeeunternehmen. Knapp drei Jahre lang war er anschließend beim Energieunternehmen Varo Energy angestellt, ehe er im Oktober 2020 für 17 Monate ein Sabbatical einlegte, um „diverse persönliche Projekte“ umzusetzen. Es folgte – nach eigenen Angaben – eine Anstellung beim Energieversorger Vattenfall. Dort war der Todesschütze von Alsterdorf aber nur drei Monate beschäftigt. Anschließend machte er sich als Unternehmensberater im September vergangenen Jahres selbstständig.
Seinen Firmensitz hatte er laut seiner Internetseite – die nicht mehr aufgerufen werden kann – am Ballindamm 27 in der zweiten Etage des Hauses, in dem sich auch die Privatbank Donner und Reuschel befindet. Dort vermietet die Satellite Office GmbH Büroflächen und Firmensitze (wir berichteten). Wie es laut einer Sprecherin des Unternehmens heißt, bestand zwar ein festes Vertragsverhältnis mit Philipp F., allerdings habe er kein festes Büro gemietet und sich auch nicht in den Büros aufgehalten. Im Dezember vergangenen Jahres hatte Philipp F. zudem noch auf Englisch im Selbstverlag ein Buch veröffentlicht mit dem Titel (aus dem Englischen übersetzt): „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“.