Hamburg. Kleinkind aus Langenhorn in Lebensgefahr. Ermittlungen gegen Vater (33). Kinderschutzbund warnt Eltern.
Vier Stunden nach dem Unglück ist die Idylle in Langenhorn zerrissen. Auf den Steinfliesen vor dem gepflegten Mehrfamilienhaus fotografieren Polizisten jeden Zentimeter. Nachbarn kommen nach Hause, ahnungslos, dann erschrocken. Ein verzweifeltes Schreien und Schluchzen dröhnt durch die Stille, aus der Wohnung im obersten Stockwerk des Gebäudes bis hinaus auf den Gehweg.
Der 33-jährige Benjamin S. weint um seinen erst dreijährigen Sohn Luke, der am Dienstagmorgen bei einem tragischen Unfall aus dem Fenster fiel und schwerste Verletzungen erlitt. Die Ärzte im Krankenhaus Heidberg kämpfen noch um das Leben des Jungen – sein Zustand sei weiterhin kritisch und die Überlebenschancen gering, heißt es am Dienstagabend. Die Mordkommission ermittelt nach bisherigem Stand wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen Benjamin S. Das Unglück geschah in der familienfreundlichen Siedlung an der Walter-Schmedemann-Straße, adrette Grünflächen, eine bemalte Figur am Wegesrand, wenig Autoverkehr.
Dreijähriger fällt sieben Meter tief
Offenbar reichte ein Moment der Unachtsamkeit am bislang heißesten Tag des Jahres aus. Gegen 7.40 Uhr, so heißt es, klettert der dreijährige Luke am Dienstagmorgen auf ein Bett, das direkt unter der Dachschräge der Wohnung im dritten Obergeschoss liegt. Offenbar steht das Fenster darüber offen, ist nur von einem Fliegennetz gesichert. Als sich der Junge dagegen lehnt, reißt es. Er fällt über den unteren Teil der Dachschräge etwa sieben Meter in die Tiefe und schlägt auf dem Gehweg auf. Ein Passant, der an dem Haus vorbeigeht, entdeckt das Kind zuerst und alarmiert die Rettungskräfte.
Als der Notarzt eintrifft, gemeinsam mit einem Dutzend weiterer Feuerwehrleute, ist der Körper des Jungen bereits leblos. Auf dem Weg in das benachbarte Krankenhaus wird der Junge reanimiert. Die genauen Umstände des tragisches Sturzes und welche Art von Verletzungen sich das Kind zuzog, war am frühen Dienstagabend unklar. Die 28 Jahre alte Mutter des Kindes, Nadja B., hatte das Haus bereits am frühen Morgen verlassen, ist aber kurze Zeit nach dem Unglück wieder vor Ort.
Fenster war wohl offen, um zu lüften
Drei Betreuer des Kriseninterventionsteams vom Deutschen Roten Kreuz rücken an, um Erste Hilfe für die Psyche der Eltern zu leisten. Nach Abendblatt-Informationen konnte Benjamin S. noch nicht ausführlich zu dem Geschehen vernommen werden. „Wir können aus Rücksicht auf die Ermittlungen noch keine genauen Angaben zum Unfallhergang machen“, sagt ein Polizeisprecher. Beamte befragen am Dienstag auch die benachbarten Bewohner des Gebäudes in zweiter Reihe hinter der Straße.
Es liegt nahe, dass die Eltern das Fenster vor dem extrem heißen Dienstag entweder bereits in der Nacht offen ließen oder der Vater es am Morgen bewusst öffnete, um noch vergleichsweise kühle Luft in die Wohnung zu lassen.
Insgesamt erleiden laut der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ in Deutschland jährlich 125.000 Kinder unter fünf Jahren einen Sturzunfall mit Verletzung. Erst am Sonnabend war in Neumünster ein sechsjähriger Junge beim Spielen aus einem Fenster im zweiten Stockwerk gefallen – ein Gartenpavillion fing den Sturz des Jungen ab.
Betroffene Kinder sind meist unter vier Jahre alt
Zwei und vier Wochen zuvor hatten sich Kleinkinder in Rostock und Dortmund bei ähnlichen Stürzen wie dem in Langenhorn schwere Verletzungen zugezogen – Anfang Juli starb in Frankfurt eine Zweijährige bei einem solchen Unfall. Nach Daten der Zurich-Versicherung waren zwei Drittel der auf diese Art verunglückten Kinder höchstens vier Jahre alt.
Der Kinderschutzbund betont, dass gerade kleine Kinder bei offenen Fenstern niemals allein gelassen werden dürften: „Auch wenn man bei der Hitze gerne die Fenster sperrangelweit aufmachen möchte, ist die Aufsichtspflicht der Eltern hier besonders gefragt“. Neben der richtigen Sicherung der Fenster wird auch empfohlen, möglichst keine Gegenstände in der Nähe von Fenstern zu platzieren, die als Steighilfe dienen könnten.