Hamburg. Kirche St. Johannis in Eppendorf feiert Jubiläum. Bis zu sieben Paare wurden hier an einem Tag getraut. Darunter Uwe und Ilka Seeler.

Zunächst zu einem weit verbreiteten Missverständnis: Am Turm der Kirche St. Johannis in Eppendorf steht unübersehbar die Jahresangabe 1751 – unzählige Hamburger haben sie schon gelesen. Sie bezeichnet aber keineswegs das Baujahr der Kirche, sondern 1751 wurde der Turm ummantelt. St. Johannis selbst ist deutlich älter: Auf den Tag genau heute vor 750 Jahren, am 11. Februar 1267, wurde die Kirche erstmals erwähnt.

„hec in ecclesia Eppendorp“ (hier in der Kirche Eppendorf) tagte damals ein Gericht. Unter Vorsitz des Grafen Gerhard I. von Holstein-Schauenburg wurde eine Anklage Hamburger Kaufleute gegen Otto von Barmstede verhandelt. Nachzulesen ist das in einer neuen Chronik der Theologin und Historikerin Veronika Janssen. Die Schrift kommt Pfingsten heraus, wenn das Kirchenjubiläum groß gefeiert wird.

Obwohl die Kirche 1267 vermutlich nicht extra für die Verhandlung erbaut worden war (also noch einige Jahre älter sein dürfte), gilt dieses Datum seitdem als ihr „Geburtstag“. Das kleine Gotteshaus hatte man offenbar als Veranstaltungsort ausgewählt, weil es das einzige Gebäude zwischen Hamburg und Ritter Ottos Burg in Barmstedt war, das dem Treffen einen würdigen Rahmen und genug Raum für die vornehmen Teilnehmer bieten konnte.

Turm könnte ältestes Gebäude der Stadt sein

Das Kirchspiel (also der Pfarrbezirk) war damals übrigens riesig. Es reichte nach heutigen Ortsbezeichnungen vom Dammtor bis nach Ochsenzoll und von Stellingen bis Steilshoop. Der einfache Weg zum sonntäglichen Gottesdienst konnte locker zwölf Kilometer betragen, die die meisten Gläubigen zu Fuß gehen mussten.

Wie viele Paare wurden hier auch Uwe und Ilka Seeler getraut (18. Februar 1959)
Wie viele Paare wurden hier auch Uwe und Ilka Seeler getraut (18. Februar 1959) © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Lehmann

Bei Renovierungsarbeiten im Jahr 1998 stellte der zuständige Architekt Paul-Gerhard Scharf fest, dass der zunächst separat stehende Turm sogar noch viel älter sein könnte und möglicherweise aus der Zeit um 950 stammt. Vielleicht diente er einst als Wachturm zum Schutz der Alster. Scharf schließt jedenfalls nicht aus, dass er das älteste überirdische Mauerwerk Hamburgs sein könnte, als das bisher der Leuchtturm von Neuwerk gilt.

Anders als dieser Turm von St. Johannis ist die erste Kirche schon lange nicht mehr erhalten. Nach der Zerstörung durch Feuer und Vandalismus wurde sie im Jahr 1622 am selben Ort neu aufgebaut. Erst seit damals schließt der Kirchenbau auch direkt an den Turm an, zunächst betrat man das Kirchenschiff aber noch durch Seiteneingänge. Der heutige Haupteingang stammt von 1829.

1751 wurde der Turm rechteckig mit Backsteinen ummantelt und mit einer 36 Meter hohen Spitze versehen. Die Feldsteinmauern des alten Turms sind heute noch an der Rückwand der Orgelempore zu erkennen.

1902 stand die Kirche vor dem Aus

Weitgehend unverändert überstand St. Johannis so die nächsten Jahrhunderte – zuletzt allerdings nur noch mühsam instand gehalten. Als im Jahr 1902 die erste, dringend notwendige Renovierung angeschoben wurde, wäre beinahe das Aus für die fast 300 Jahre alte Kirche eingeläutet worden. Die Gegend rund um den alten Fachwerkbau war mittlerweile von großen Etagenhäusern geprägt, die gelegentlich als „Scheune“ verspottete einstige Dorfkirche schien vielen nicht mehr zeitgemäß zu sein. Untersuchungen ergaben zudem, dass sich das Gebäude in einem desolaten Zustand befand: Die Südwand war völlig instabil, nicht nur das Dach stuften Sachverständige als „abgängig“ ein.

Edel wirkt der Innenraum heute mit viel Weiß und Gold
Edel wirkt der Innenraum heute mit viel Weiß und Gold © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Ein Neubau im neogotischen Stil wurde ernsthaft erwogen, in der Gemeinde war dafür sogar schon Geld zurückgelegt worden. Doch dann besann sich der Kirchenvorstand eines Besseren. St. Johannis bekam noch eine Chance, und die Renovierungsarbeiten unter Regie des Architekten Julius Faulwasser begannen.

Die Holzbalkendecke wurde durch ein Tonnengewölbe ersetzt, neue Bänke wurden eingebaut. Handwerker versetzten Kanzel und Altar, Orgelbauer Rother schuf eine neue Orgel, die erst 1904 fertig war. Die gesamten Arbeiten dauerten 34 Wochen und kosteten 83.000 Mark (das waren nach heutigem Wert rund 500.000 Euro). Ursprünglich waren 70.000 Mark und eine Arbeitszeit von drei bis vier Monaten veranschlagt worden.

Bei dieser Gelegenheit wurde auch gleich der unmittelbar angrenzende Friedhof aufgelöst. Unerwartet viele Gebeine fanden sich während der Renovierungsarbeiten unter dem Fußboden. In einer Quelle heißt es dazu: „Dadurch wurde der schon längst bemerkte eigenthümliche Geruch erklärlich, der in der Kirche herrschte.“ Helfer verpackten die Überreste der Verstorbenen in fünf große Kisten, die sie dann zur Umbettung auf den Ohlsdorfer Friedhof überführten.

Faktisch ist sie immer noch eine Dorfkirche

Der Turm der Kirche inmitten des Verkehrsgewühls
Der Turm der Kirche inmitten des Verkehrsgewühls © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Veränderungen und kein Ende: Die Überbleibsel des zweiten Kirchenfriedhofs an der Ecke Kümmellstraße/Eppendorfer Landstraße wurden nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen, das Gelände verkauft. Seit 1951 befand sich dort ein Kaufhausparkplatz, heute bildet diese Fläche den Marie-Jonas-Platz. Und das Pastorat, das einst direkt hinter St. Johannis gestanden hatte, wurde in den 1960er-Jahren bei einer Gasexplosion so schwer beschädigt, dass es abgerissen werden musste.

Geblieben ist die Kirche selbst – und sie scheint immer schöner zu werden, je stärker sich ihre Umgebung wandelt. Faktisch ist sie immer noch eine Dorfkirche inmitten des Großstadtgewühls. Kein Wunder also, dass St. Johannis als Hochzeitskirche beliebt ist, in der nicht nur Uwe Seeler sich trauen ließ.

Der Rekord liegt bei sieben Trauungen an nur einem Tag, erzählt Pastor Martin Hoerschelmann, der gleichzeitig den Vorsitz im Kirchenvorstand innehat. Pastor Hoerschelmann vermutet, dass es an der heimeligen Atmosphäre liegt – und wohl auch an der langen Tradition.

Was den Brautpaaren vermutlich nur höchst selten auffallen dürfte, ist eine Darstellung von 1669 an der Chorempore. Sie zeigt allegorisch die fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen mit Christus als Weltenrichter in der Mitte. Zu lesen ist dort ein Vers, der keinerlei Zweifel aufkommen lässt: „Wer nicht zur rechten Zeit zum Bräutigam wil gehen, Der muß mit Ach und Weh, daraussen bleiben stehen.“