St. Pauli. 30 Millionen Euro würde ein Investor ausgeben, um den alten Flakbunger an der Feldstraße auf dem Heiligengeistfeld zu begrünen.
Der Himmel über dem Heiligengeistfeld wird schon bald nicht mehr blau sein. Sondern grün. Der Blick wandert nach oben, an grauen Wänden entlang, und wo die zu Ende sind, trifft er demnächst auf Bäume, Sträucher, Gras und andere Pflanzen. Wenn denn alles so läuft wie geplant.
Grün ist die Hoffnung, und Mathias Müller-Using hat sie. Der 47-Jährige schaut von seiner Wohnung am Neuen Pferdemarkt direkt auf den Feldstraßenbunker. Auf der Dachterrasse warten Blumentöpfe auf etwas Aufmerksamkeit, drinnen im Raum steht ein langer Tisch, darauf liegen Pläne, die den Bunker ganz anders zeigen als jetzt. Nicht so karg und klotzig, sondern garniert mit einem riesigen, mehrstöckigen Garten. „Wir werden eine grüne Insel inmitten der Hässlichkeit erschaffen“, sagt Müller-Using. Neun Monate im Jahr, also immer wenn nicht gerade Dom sei, führe das Heiligengeistfeld ein tristes Dasein, das müsse doch nicht so sein, dachte sich Müller-Using im Oktober 2013 und rief seine Nachbarin Sonja Brier an. Wie wäre es, wenn man das Bunkerdach begrünen würde, dort eine Art Park für alle erschaffe? Das wäre großartig, antwortete Brier, und eine Idee war geboren.
Im Januar könnten die Arbeiten an dem Flakbunker beginnen
Mit Ideen kennt Müller-Using sich aus, sie sind sein Job: „Aber ein kreativer Einfall ist nichts wert, wenn er nicht umgesetzt wird.“ Der Mitgründer der interdisziplinären Interpol Studios hat diesbezüglich schon einiges erreicht. Er sammelte ein Team von Begeisterten um sich, die das Projekt Hilldegarden gründeten, er entwickelte mit den Partnern des Architekturbüros ein erstes Modell und überzeugte den Eigentümer des Bunkers.
Seit Ende letzten Jahres werden die zunächst utopisch erscheinenden Gedanken eines Dachgartens auf dem Bunker und der grünen Rampe in einem offenen Beteiligungsprozess in eine konkrete Planung gegossen. Im Oktober wird sie den Architekten übergeben, die den Bauantrag für den Aufbau, der als Fundament der Gärten und Parkflächen dient, bereits eingereicht haben. Im Januar könnten die Arbeiten beginnen und im Frühjahr 2017 der Garten öffnen. Vis-à-vis zur dann ebenfalls fertigen Elbphilharmonie. Fast zeitgleich erleben die Hamburger dann zwei Höhepunkte in der Baugeschichte ihrer Stadt. Bleibt abzuwarten, wer am Ende mehr Besucher anzieht.
Jeder soll mitwirken können bei dem 30-Millionen-Euro-Projekt
„Der Bunker wird eine Riesenbereicherung für den Stadtteil und uns alle“, sagt Sonja Brier. Ihr Sohn spielt beim FC St. Pauli, oft stand sie am Spielfeldrand mit anderen Eltern, und alle waren sich einig, dass dem Klotz nebenan ein bisschen Farbe guttäte. „Je mehr Grün wir in der Stadt schaffen, desto besser für alle“, sagt Brier.
Auf dem Weg dorthin verbringt sie allerdings erst einmal viel Zeit in einem Container. Er wurde vor den Bunker gestellt als Ideenzentrale, hier wollen die knapp 40 Mitglieder von Hilldegarden – so nennt sich das Projekt – informieren und gleichzeitig Ideen sammeln, jeder ist eingeladen, mitzumachen. Transparenz und Bürger-beteiligung sind zwei Schlagwörter, die oft fallen. Im Zeitalter der Gentrifizierung tut es wohl not, möglichst häufig auf den Ursprung des Bauprojekts hinzuweisen: Hier kommt kein Investor, der den Anwohnern etwas vorsetzt, sondern hier haben Anwohner dem Investor etwas vorgeschlagen. Und der war gleich begeistert.
Thomas J. C. Matzen hatte das marode Gebäude 1993 als Erbpächter von der Stadt übernommen und es so aufgepäppelt, wie es der Unternehmer von seinen zahlreichen Firmenkäufen und -gründungen gewohnt ist. Nur, bei diesem Geschäft kamen Emotionen ins Spiel. Er habe eine große Nähe gespürt, als er das eigentlich abstoßende Objekt zum ersten Mal betrat, sagt der 66-Jährige: „Inzwischen identifiziere ich mich seit 21 Jahren mit dem Bunker und freue mich darauf, dass wir dieses Denkmal weiterentwickeln werden.“
30 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt
Matzen war selbst mal Mieter, sein Sohn spielte Schlagzeug in einem der Übungsräume, er kennt das Gemäuer besser als seine Hosentasche, denn anders als sein Beinkleid muss er dieses ständig ausbessern lassen. 15 Millionen Euro hat er bislang investiert, voraussichtlich 30 Millionen sind für das Begrünungsprojekt veranschlagt. So viel kostet also ein Garten im Himmel.
Es war nicht der erste Vorschlag, der in den letzten Jahren auf Matzens Tisch landete. Ein Architekt wollte alles in Glas einhüllen, ein anderer eine Kugel mit 68 Meter Durchmesser auf dem Dach positionieren, der dritte Büroetagen aufsetzen. Der Erbpächter, Professor der TU Hamburg-Harburg und des Northern Institute of Technology (NIT), beschäftigte sich nie länger als 30 Minuten mit den Ideen, sie schienen ihm ungeeignet zu sein. Doch dann: das grüne Dach. „Wenn es machbar ist, dann mache ich es“, sagte er zu Mathias Müller-Using, dem verantwortlichem Architekten Michael Kuhn und dem Ingenieur Tim Schierwater. Die möchten das Gebäude mit ihrem Konzept öffnen, ihm etwas Einladendes geben und es so mehr an den Stadtteil anschließen. Jetzt steht es da ja tatsächlich etwas verloren herum, wie ein zu dicker, böse dreinschauender Junge, mit dem sich niemand zu spielen traut.
Der Plan sieht einen mehrstöckigen Aufbau mit 8000 Quadratmeter öffentlichen Grün- und Gemeinschaftsflächen vor, die man über eine 300 Meter lange Rampe erreicht, welche neben der U-Bahn Feldstraße beginnt und einmal um den ganzen Bunker führt. Im Inneren liegen öffentliche Räume, die von der Nachbarschaft kostenfrei für kulturelle und soziale Aktivitäten genutzt werden dürfen. Hinzu kommen eine Gedenkstätte, ein Amphitheater, ein 1000 Quadratmeter großer Kultursaal, wahrscheinlich ein Café und ein Gästehaus für Künstler. Eine Erd- und Substratschicht von bis zu 90 Zentimetern ist vorgesehen, rund 100 Bäume könnten gepflanzt werden, auch vertikale Beete an den Bunkerwänden sind denkbar. Die Architekten sagen, dass sich die Natur so die Stadt zurückerobert. Die aufwendigen Visualisierungen erinnern tatsächlich ein wenig an Szenen einer typischen TV-Doku, in denen ein Sprecher mit sehr dunkler Stimme beispielsweise fragt, was wäre, wenn alle New Yorker die Stadt auf einmal verließen? Dennoch hinkt das Bild ein bisschen. Die vorgesehene Natur auf dem Feldstraßenbunker holt sich nichts zurück, sie wird vom Menschen gemacht.
Bislang wurde kein Saatgut verstreut, geerntet werden kann dennoch schon: Respekt. „Das Projekt ist großartig, weil es als spektakuläre Begrünungsaktion einen tollen Kontrast in der Stadtarchitektur darstellt. Was für eine gigantische Idee: Der Anblick könnte ein überraschendes und erstaunliches Erlebnis bieten, denn die Bildmacht wird extrem stark sein“, sagt Börries von Notz. Der Jurist lobt den unverkrampften Entwurf, der ohne Schuldgefühle daherkommt und außerdem ikonografisch sehr wirksam sein könnte. „Die architektonische Form erinnert mich an zwei Weltwunder gleichzeitig: die Hängenden Gärten von Babylon und die Pyramiden von Gizeh.“ Börries von Notz vertritt als Alleinvorstand die Stiftung Historische Museen Hamburg, er interessiert sich vor allem für das geplante Museum. In ihm soll der am Bau beteiligten Zwangsarbeiter gedacht werden, der Flakhelfer sowie der Menschen, die im Bunker Schutz suchten. Bislang wüssten viele Hamburger über den Flakbunker nur, dass da ein großer dicker Klotz steht, in dem irgendwas mit Musik stattfindet, glaubt von Notz. „Es wäre doch wünschenswert, wenn man sich besser mit seiner Geschichte auskennt bzw. ein Zugang hierzu vorhanden wäre.“
Aber darf man aus diesem Grund auch ein Mahnmal in seiner Form verändern? Von Notz sieht den Umbau entspannt: „Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg haben nicht von selbst einen Mahnmal-Charakter. Die Relikte sind für sich neutral.“ Wehrtechnische Anlagen würden so divers genutzt wie das Leben divers ist. Darin ein Mahnmal zu sehen, sei etwas dünn. Das wäre so, als würde man einen Panzer oder eine Kanone unverändert an ihrem Platz lassen.
Die Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg ließen alle im Bunker erstarren
Für den Mahnmalgedanken findet der Hamburger es wichtiger, sich mit der Erinnerung zu beschäftigen. Genau das können die Aussagen der Zeitzeugen leisten. Ihre Geschichten gilt es zu konservieren. Letztlich stellen sie eine Mahnung dar: Selbst im reichen Hamburg können schreckliche Dinge geschehen, wenn man nicht aufpasst. „Unsere zivilisatorische Schicht ist keineswegs so stark, wie wir glauben“, sagt von Notz.
Ellen Dorothea Schabacker weiß leider genau, wovon der Mann spricht. In einem Sommer sammelte sie noch Gänseblümchen und spielte mit ihren Puppen bei der Mühle auf dem Heiligengeistfeld – im nächsten Sommer gab es die Mühle nicht mehr, und sie musste sich jede Nacht in den neuen Bunker flüchten. Schabacker wuchs in der Karolinenstraße auf. Heute wohnt die 83-Jährige in Osdorf, sie kann sich aber noch sehr gut daran erinnern, wie ihre Gänseblümchenzeit jäh beendet wurde. Im Alter von elf Jahren lernte sie das wichtigste Signal ihres Lebens: Fliegeralarm. Und dessen Konsequenz: Rennen! „Diese Wahnsinnsangriffe waren so schockierend, alle im Bunker erstarrten, kein Kind hat einen Ton von sich gegeben“, sagt Schabacker. Die kleine Ellen durfte mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern den Kinderwagen-Eingang benutzen, doch bei Panik kam es zu unfassbaren Szenen. Viele Erwachsene stiegen einfach über die Kinderwagen mit den Babys hinweg, um rechtzeitig in Sicherheit zu sein.