Bodenständig, bürgerlich - eine Wohnsiedlung mit industriellem Charme.

Auf den Karten sei ihr Stadtteil natürlich drauf, sagen die Borgfelder. Bloß in den Köpfen, da sei er nicht so richtig drin. "Borgfelde? Wo ist das noch mal?", fragt mancher Hamburger unsicher. Oder sogar: "Gehört das denn überhaupt noch zum Stadtgebiet?" Das kann eigentlich gar keine Frage sein.

Mit nur knapp 0,9 Quadratkilometer Fläche zählt Borgfelde zwar zu Hamburgs kleinsten Stadtteilen, dafür ist er aber besonders zentral gelegen: Nämlich gerade mal 2000 Meter vom Rathausmarkt entfernt befindet sich dieses uralte Hamburger Quartier zwischen St. Georg und Hamm. Zugegeben, die Architektur ist eher schlicht, geprägt von Zeilenhäusern aus Rotklinker. "Zerstört 1943, wieder aufgebaut 1954." Oder 1956, 1957 oder 1961. So steht es an fast jeder Hauswand in diesem Viertel, das im Feuersturm des Zweiten Weltkriegs niedergebombt wurde.

+++ Zahlen & Fakten +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Name & Geschichte +++

+++ Töchter & Söhne +++

Nobel - und hilfsbereit

Eine Wohnsiedlung ist Borgfelde heute. Mit teils gewerblichem Charme, denn auch viele Handwerksbetriebe und kleine Reparaturwerkstätten sind hier zu Hause. Doch früher, vom 17. Jahrhundert bis hinein ins 19. Jahrhundert, wurde in Borgfelde nicht nur gewohnt, sondern geradezu residiert. Denn der Stadtteil zählte zu den beliebtesten Gegenden für Sommersitze. Wer es sich leisten konnte, ließ hier ein Landhaus erbauen und einen herrschaftlichen Garten anlegen. Einige dieser parkähnlichen Privatanlagen galten laut zeitgenössischem Almanach als "schönste in ganz Europa".

Als sich Hamburg dann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer Industriestadt entwickelte und die Innenstadt zur City wurde, mussten dort viele alte Wohnstifte Kontorhäusern weichen. Verdrängung - oder Gentrifizierung, wie es heute heißt - gab es also schon damals. Und die Schlagzeile "Büros statt Sozialwohnungen" hat auch an Aktualität nicht eingebüßt.

Doch für Borgfelde entpuppte sich diese Entwicklung damals als durchaus positiv: Stadtauswärts, auf der linken Seite der Bürgerweide, entstand eine regelrechte Stiftsmeile mit bis heute beeindruckenden Bauwerken, darunter das Alida-Schmidt-Stift. Es wurde 1874/1875 von Ida Schmidt zum Gedächtnis an deren im Alter von 23 Jahren gestorbene Tochter Alida errichtet - als "Wohnhaus für hilfsbedürftige, unbescholtene Witwen und Jungfrauen christlicher Konfession". Noch heute wird hier Frauen in Not geholfen.

Wie das benachbarte Hiobs-Hospital, das zwischen 1883 und 1884 nach Plänen der Architekten Manfred Semper und Carl Friedrich Phillipp Krutisch erbaut wurde und durch den roten Backstein an Schlösser der deutschen Renaissance erinnert, steht auch das Alida-Schmidt-Stift mittlerweile unter Denkmalschutz.


Mangelhafte Infrastruktur

So schick wie der Mittelweg in Harvestehude ist die Klaus-Groth-Straße nicht - obwohl sie früher mal genauso hieß. Diese Straße, die Herzschlagader des kleinen Stadtteils, war einst eine Einkaufsstraße, in der sich das öffentliche Leben abspielte. Das Leben spielt hier immer noch - aber Geschäfte gibt es nur noch wenige. "Zu wenige", sagt Ralf Apelt. Und schreibt es auch. Der Künstler, der seit mehr als zehn Jahren in Borgfelde lebt, ist Macher der Internetzeitung "Quer Borgfelde". Ein ewiges Thema: die Infrastruktur und vor allem deren Mangel. "Mit zwei Hausärzten sind wir hier medizinisch fast ein bisschen unterversorgt", sagt Apelt. "Und es muss einfach möglich sein, dass gerade ältere Menschen, die nicht so beweglich sind, in unserem Quartier bequem einkaufen können." Dafür sorgen zum Glück die Deschlers.

Das Sortiment eines kleinen Supermarktes führt die Fleischerei Deschler, seit 1963 das wichtigste Geschäft im Viertel. "Unser Laden ist hier schon ein kleiner Lebensmittelpunkt", sagt Chefin Brigitta Deschler, die "zu jeder Scheibe Wurst eine Borgfelder Geschichte" erzählen kann. Bei Deschlers gibt es neben Fleisch und Wurst auch Butter und die Tageszeitung.

Nur das Brot, das kaufen die Borgfelder nebenan. In der wohl "kleinsten Bio-Backstube Hamburgs", dem Rettungsbrot. Oder wie man hier sagt: Man geht rüber zum Martin. Jeder sei in seiner Backstube willkommen, sagt Martin Kastner. "Nur die Raute, die kommt mir hier nicht rein", sagt der FC-St.-Pauli-Fan, der allerdings auch Schalke ganz gern mag. Denn Martin Kastner kommt eigentlich aus dem Ruhrgebiet. Vor ein paar Jahren ist er an die Elbe gezogen und hat den Laden an der Klaus-Groth-Straße eröffnet. Borgfelde habe er gar nicht gekannt, aber diese Ecke der Stadt habe ihm gleich auf Anhieb gefallen. So bodenständig und nett. "Eine hippe Bio-Ecke wie Ottensen oder die Schanze war das hier natürlich nie", sagt er. "Aber ich mag an Borgfelde diesen dörflichen Charakter." Sein Mohnstriezel ist beliebt und auch sein sogenanntes freigeschobenes Roggenbrot gilt als besondere Spezialität. Auch an Franzbrötchen ("Kannte ich gar nicht") wagte sich Martin Kastner - mit beachtlichem Erfolg. Manche seiner täglich 130 Kunden behaupten gar, er backe "die besten der Stadt".

Tür an Tür: Kirche und Kultur

Ein Wahrzeichen des Viertels ist die Erlöserkirche an der Klaus-Groth-Straße/Jungestraße. Der Blick richtet sich von hier aus auf St. Georg - und die ganze Welt. Jedenfalls, wenn sich deutsche und afrikanische Christen hier treffen, um einen lebendigen Gospel-Gottesdienst zu feiern.

Wie schön die Kirche war - der einst kuppelbekrönte Bau galt als "Ideal" der protestantischen Kirchenarchitektur -, ist leider nur noch auf historischen Fotos zu bewundern. Denn als Borgfelde 1943 in Schutt und Asche fiel, wurde auch die Erlöserkirche zerstört. Der 1952 errichtete Nachfolgebau mutet von außen zwar schlicht an, präsentiert sich dem Besucher jedoch innen heller und großzügiger als erwartet.

Von der Kirche zur Kultur sind es nur wenige Schritte. An der Klaus-Groth-Straße 23 liegt das Sprechwerk, eine große (10,50 mal 12,50 Meter) Off-Theaterbühne. "Wir sind ein Podium der freien Kulturszene", sagt Konstanze Ullmer, die das Sprechwerk gemeinsam mit Andreas Lübbers leitet. Die Zuschauer kommen aus der ganzen Stadt - aber natürlich auch aus Borgfelde, wo viele junge Leute leben. Zum Beispiel im Gustav-Radbruch-Haus an der Borgfelder Straße, dem zweitgrößten Studentenwohnheim der Stadt. Dort wohne man wie in einem Penthouse, soll mancher Studierender, der ein Zimmer im zwölften Stock bezogen hat, schon geschwärmt haben.

Sportlich nimmt man es in dem Stadtteil auch: Der Hamburger Turnerbund von 1862, kurz HTB 62, hat seinen Sitz in Borgfelde und gilt als "kleinster der Hamburger Großvereine".

Im Kleinen ziemlich groß, so ist eben Borgfelde. Und wer es erst mal auf der Karte gefunden und besucht hat, dem bleibt es dann sicher auch im Kopf.

+++ Die Stadtteil-Patin: Vanessa Seifert +++

Die Serie finden Sie auch unter www.abendblatt.de/stadtteilserie

In der nächsten Folge am 23.5.: Neuland