Wilhelmsburg. Im Süden Hamburgs entstehen drei Neubaugebiete. Dafür müssen die letzten Überreste der alten Schnellstraße verschwinden. Die Pläne.
Zwei Bilder, zweimal Wilhelmsburg. Der Unterschied sind 14 Jahre und es hat sich viel verändert. Die Internationale Bauausstellung (IBA) und die Internationale Gartenschau (IGS) gaben der Wilhelmsburger Mitte ein neues Erscheinungsbild – und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Vor allem die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße an die Eisenbahnmagistrale eröffnet neue Räume für die Stadtplanung.
In den kommenden Jahren entstehen hier noch einmal drei Neubaugebiete mit 3700 Wohnungen. Dafür müssen auch die letzten Überreste der alten Schnellstraße noch verschwinden. Am Dienstag, 31. Januar wird dazu ein wichtiger Schritt gegangen: Die Brücke, mit der die Wilhelmsburger Reichsstraße am Wilhelmsburger Rathaus die Mengestraße querte, wird abgerissen.
Die alte Reichsstraße hatte zwei verschiedene Baukörper
Die (alte) Wilhelmsburger Reichsstraße wurde ab 1930 als Teil der Reichsstraße F4, der Fernverkehrsstraße Kiel-Nürnberg, geplant und gebaut. Vollendet wurde sie erst 1949 und eröffnet noch einmal zwei Jahre später. Obwohl es die Bundesrepublik damals schon gab und die alten Reichsstraßen mit Gründung der Bundesrepublik in Bundesstraßen umbenannt wurden, entschied man sich bei der Benennung der Wilhelmsburger Teilstrecke der Bundesstraße 4 für „Wilhelmsburger Reichsstraße“.
Das wurde seinerzeit und auch später kontrovers diskutiert, denn vom Reichsdenken hatten viele Menschen nach Habsburgern und Nazis die Nase voll. Es gibt einen Beschluss der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte den Namensteil „Reichsstraße“ spätestens mit Vollendung der Verlegung fallenzulassen. Die Bezirksversammlung hat jedoch lediglich ein Vorschlagsrecht bei Straßenbenennungen. Die benennungsberechtigte Senatskommission folgte dem Vorschlag nicht, so dass auch die neue Fernstraße den alten Namen – mit dem eingeklammerten Zusatz „neu“ – trägt.
Die alte Reichsstraße hatte zwei verschiedene Baukörper. Im seinerzeit fast durchweg ländlichen Süden der Elbinsel wurde die vierspurige Fernstraße ebenerdig gebaut. Im urbanen Norden waren bebaute Straßen und Kanäle mit Brücken zu queren. Um auf die nötige Fahrbahnhöhe für die Brücken zu kommen, wurde südlich der Mengestraße eine Rampe aus Sand gebaut und die Straße dann in Richtung Norden auf einem Damm bis zur Querung des Ernst-August-Kanals geführt.
Der südliche Teil ist mittlerweile nahezu restlos zurückgebaut. Im aktuellen Bild sieht man förmlich, wie hier der „Inselpark“ – ein Erbstück der IGS – zusammenwächst. Dass der Sand des Straßendamms im Norden noch nicht abgetragen ist, hat einen Grund: Er wird noch gebraucht.
Entlang der alten Fernstraßentrasse entstehen drei neue Wohngebiete
Entlang der alten Fernstraßentrasse entstehen unter Regie der IBA drei neue Wohngebiete: Das Wilhelmsburger Rathausviertel, grob von der Mengestraße bis zur Rotenhäuser Straße; das Elbinselquartier von der Rotenhäuser Straße bis zur ehemaligen Hannoversch-Hamburgischen Landesgrenze am Ernst-August-Kanal und das Spreehafenviertel nördlich davon. 3700 Wohnungen sollen hier errichtet werden. Grundsätzlich finden die Wilhelmsburger das gut, haben aber auch die eine oder andere Befürchtung deswegen.
„So wie die Viertel geplant sind, mit einem hohen Anteil von Sozialwohnungen einerseits und Baugemeinschaften andererseits, wird viel für einen gesunden Bevölkerungsmix auf der Elbinsel getan“, freut sich die Wilhelmsburger Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Sonja Lattwesen. „Und viele der geplanten Infrastruktur-Verbesserungen, wie eine neue Schule, die Taktverdichtung der S-Bahn oder die Verlängerung der U-Bahn hängen mit diesen Vierteln zusammen. Bis diese Verbesserungen aber kommen, befürchte ich eine Phase mit viel Chaos auf Straße und Schiene!“
Baugemeinschaften als Erfolgsmodell
Ali Kazanci, SPD-Abgeordneter in der Bezirksversammlung Hamburg Mitte, freut sich auch auf die neuen Viertel: Es gibt viele junge Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, die eine Wohnung im Stadtteil suchen und keine finden“, sagt er. „Deshalb ist es gut, dass viele Wohnungen gebaut werden. Wir müssen dann aber auch darauf achten, dass diese Wohnungen nicht vordringlich an Bewerber von außerhalb der Elbinsel vergeben werden!
Das Thema Baugemeinschaften sehe ich als Erfolgsmodell. Zunächst dachten wir, dass der angestrebte Anteil von 20 Prozent Baugemeinschaften zu hoch sei und sich nicht genügend Baugemeinschaften finden, aber es gibt jetzt mehr Bewerber, als Baufelder für Baugemeinschaften.“
Bis die Bebauung losgeht, dauert es noch einige Zeit: Bis Mitte 2023 wird der Bebauungsplan für das Wilhelmburger Rathausviertel rechtskräftig. Danach kann die wasserrechtliche Genehmigung eingeleitet werden. Sie ist notwendig, weil diverse große Entwässerungsgräben im Gebiet ver- oder ersetzt werden müssen. Mit einem Baubeginn rechnet die IBA im Frühjahr 2024. Dann wird zunächst der Baugrund entwässert.
Hier kommt der alte Straßendamm ins Spiel: Mit dessen Sand wird die Baufläche belastet und so Grundwasser herausgedrückt. „Mit der Hochbaureife für das Rathausviertel rechnen wir für 2026“, sagt IBA-Sprecher Arne von Maydell, „unterdessen werden sukzessive die anderen beiden Quartiere genehmigungs- und baureif, ungefähr im Jahrestakt.“
Brücke über die Mengestraße ist die letzte Reichsstraßenbrücke, die abgerissen wird
Wenn diese „neue Wilhelmsburger Mitte“ fertig ist, wird auch die Abfahrt „Wilhelmsburg Mitte“ der neuen Wilhelmsburger Reichsstraße sinnvoll erscheinen, den sie erschließt zwei dieser Quartiere, die es jetzt noch gar nicht gibt. Die alten Stadtteile von Wilhelmsburg können die neue Wilhelmsburger Reichsstraße jetzt und in Zukunft nur mit komplizierten oder weiten Umwegen erreichen.
Die Brücke über die Mengestraße ist die letzte Reichsstraßenbrücke, die abgerissen wird. Eine bleibt nämlich stehen: Das Bauwerk, das den Gert-Schwämmle-Weg und die daneben liegende Inselparkwettern überspannt und deren Brückenbogen innen mit zur IBA einem Sternenhimmel bemalt wurde, soll Landschaftsdenkmal für die alte Trasse werden.
Die Fläche auf der Brücke soll dann zugänglich sein und auch für kulturelle Zwecke genutzt werden. Wie genau das ausgestaltet werden soll, steht allerdings noch nicht fest.Während der Abrissarbeiten für die Mengestraßen-Brücke wird die Mengestraße über die alte Auffahrt „Wilhelmsburg“ umgeleitet.