Hamburg. Paritätischer Wohlfahrtsverband eröffnet Tagesstätte für durchreisende Flüchtlinge am Hachmannplatz. Die Zelte werden abgebaut.

Wir haben im Bieberhaus jetzt Toiletten und fließendes Wasser, wir sind nicht mehr Wind und Wetter ausgesetzt, und die Sicherheit ist auch größer als vorher“, sagte Sebastian Stahlke. Seit drei Monaten hilft der 25-Jährige Zehntausenden durchreisender Flüchtlinge am Hauptbahnhof. Bisher tat er das ehrenamtlich und in Zelten. Jetzt ist er einer von drei Hauptamtlichen, die im Bieberhaus die Flüchtlingshilfe koordinieren.

Seit Montag haben die Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen und oft auf Durchreise nach Skandinavien sind, am Hauptbahnhof eine feste Bleibe. Vier Monate lang wurden die Bürger aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Eritrea in Zelten versorgt. Bekamen zu essen oder zu trinken, Medikamente oder ein paar Stunden Ruhe geschenkt. Zuletzt kamen etwas weniger. „Aber wir wissen, dass an der kroatisch-slowenischen Grenze derzeit 8000 Menschen warten, die nach Deutschland oder Skandinavien wollen“, sagte Hakim, einer der ehrenamtlichen Helfer.

Die Zelte, die monatelang auf dem Hachmannplatz gestanden hatten, werden nun abgebaut. Als Erstes zog am Montag die mobile Kita aus einem Zelt in den größten der rund 20 Räume mit insgesamt 900 Quadratmetern in der ersten Etage des Bieberhauses. Dort haben Mütter mit ihren Kindern jetzt einen großen Raum zur Verfügung, in dem sie spielen und malen, basteln und sich ausruhen können. „Die meisten sind nach einer wochenlangen Flucht sehr erschöpft“, sagte Trixi Wildenauer-Schubert, Leiterin der mobilen Kita. Die Bedürfnisse seien unterschiedlich. „Das sehen Sie schon daran, dass die Jüngste 15 Tage und die älteste Durchreisende 94 Jahre alt war“, so die Kita-Fachberaterin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Der Geschäftsführer des Paritätischen, Joachim Speicher, sagte, die Tagesstätte sei nur möglich gewesen, weil ein großes Netzwerk aus Hilfsorganisationen, Ehrenamtlichen und Stadt an einem Strang gezogen habe. „Es ist eine wunderbare Erfahrung in diesen Monaten in Deutschland, dass Genehmigungen, die sonst 18 Monate dauern, jetzt manchmal in 18 Minuten vorliegen – in gleicher Qualität.“

Speicher bedankte sich bei der Alstria Office REIT AG, die ihre Räume bis August 2016 mietfrei zur Verfügung stellt, bei der Sozialbehörde, die das Projekt mit 200.000 Euro unterstützt, sowie beim Bezirksamt Mitte, der Finanzbehörde und dem Finanzamt, das in den oberen Etagen weiterhin regen Kundenverkehr hat. Die Tagesstätte ist von 8 bis 22 Uhr geöffnet. Schlafplätze gibt es nicht, die werden bei Bedarf durch das Netzwerk an anderen Orten organisiert. Das Konzept hat der Paritätische gemeinsam mit der Al-Nour-Moschee, Bahnhofsmission, Caritas, Hoffnungsorte Hamburg, dem Kirchenkreis Hamburg-Ost, dem Koordinierungsstab Flüchtlinge, der Stadt und den freiwilligen Helfern erarbeitet.

Eine Helferin hatte sich in der Kälte eine Lungenentzündung zugezogen

„Wir haben uns das in Mailand angeschaut, wo eine ähnliche Situation vorliegt“, sagte Ulrich Hermannes, Geschäftsführer Hoffnungsorte. Dort habe man 15 Monate für die Realisierung gebraucht. Auch in Mailand gebe es ein breites Bündnis aus karitativen Einrichtungen und freiwilligen Helfern. Dazu gehören in Hamburg  rund 40 Ärzte, die jetzt die medizinische Versorgung der Flüchtenden sicherstellen. Anja Bode sprach von einer enormen Verbesserung der Situation. Die Anästhesistin vom Agaplesion Diakonieklinikum koordiniert den Einsatz der ehrenamtlichen Mediziner, die ihre Patienten bisher in einem Container auf dem Hachmannplatz versorgt haben. „Jetzt haben wir ein Wartezimmer und einen Behandlungsraum“, sagte Bode. Die Erkrankungen reichen von Erkältungen und Durchfall bis zu Blinddarmentzündungen und plötzlich auftretenden Komplikationen bei Menschen, die eine Niere gespendet haben, um sich ihre Flucht zu finanzieren.

„In unserem Team sind Berufsanfänger, pensionierte Haus- sowie Krankenhausärzte“, sagte Anja Bode. Alle arbeiteten ehrenamtlich. Genau wie die vielen Erzieher. „Die Kinderbetreuung war bisher nur möglich, weil sich so viele freiwillig engagiert haben. So konnten die Kinder zumindest für kurze Zeit ein Stück Normalität erleben. Der Dank gilt allen, die hier trotz Kälte und Nässe Großartiges geleistet haben“, sagte Trixi Wildenauer-Schubert.

Viele sind an ihre Grenzen gegangen. So wie Mariam el Fazazi, 38, die seit September am Hauptbahnhof hilft. Sie spricht Arabisch und Französisch und ist nun ebenfalls eine von drei hauptamtlichen Helfern. Oft stand sie in den letzten Wochen bis in die Nacht bei Kälte und Regen draußen, um zu dolmetschen. Dabei hat sie sich eine Lungenentzündung zugezogen. „Auch für uns Helfer ist es im Bieberhaus jetzt viel angenehmer“, sagt die dreifache Mutter, die vor 14 Jahren aus Marokko nach Hamburg gekommen ist.